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Internationale Pressestimmen der vergangenen Woche

Gerhard M Friese15. Mai 2004

Regierungsarbeit von Kanzler Schröder / Deutsch-französische Kabinettssitzung / Neuer EU-Kommissionspräsident / Wahlen in Indien

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Europäische Themen und der Wahlausgang in Indien standen in dieser Woche im Interesse der internationalen Presse. Doch zunächst ein Blick auf die deutsche Innenpolitik:

Von Krise zu Koalitionskrise taumelt die Politik der rot-grünen Bundesregierung, mal durch koalitionsinternes Gerangel, mal durch parteipolitisches, meint die österreichische Tageszeitung DIE PRESSE und vermisst ein Machtwort des Bundeskanzlers:

"Trotz aller politischen Widrigkeiten aber, denen Gerhard Schröder ausgesetzt ist, gibt seine momentane Passivität Rätsel auf. Eine Krise, so heißt es, bietet die Chance, zu zeigen, was man kann. So gesehen müsste der deutsche Bundeskanzler eigentlich froh sein: Er hat derzeit wieder reichlich Gelegenheit zur Profilierung. Was aber tut Schröder? Der Steuermann übt sich in seltsamem Schweigen - er lässt einen Sturm nach dem anderen tatenlos vorüberziehen. Er vermag Deutschlands rot-grüner Regierung keine Richtung vorzugeben. Vielleicht weil es selbst nicht weiß, welche."

Die Zeitung NORD ECLAIR aus der nordfranzösischen Industriestadt Roubaix befasst sich mit dem deutsch-französischen Treffen:

"Gemeinsame Sitzung zweier Regierungen, das ist heute schon eine Tradition, die niemanden mehr erstaunt. Eine Seite ist auf unserem Kontinent umgeblättert worden, nach einem Jahrhundert beispielloser Tragödien. Die Bewegung von Gerhard Schröder war nicht gespielt, als er gestern öffentlich Frankreich für eine Einladung dankte, die viele Deutsche berühren wird: Erstmals ist ihr Kanzler am 6. Juni zu den Feierlichkeiten anlässlich des Jahrestags der Landung der Alliierten in der Normandie im Jahre 1944 eingeladen."

Die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG meint dagegen lakonisch:

"Aufwand und Umfang des Treffens, zu dem fast alle Regierungsmitglieder aus Berlin angereist waren, standen in keinem Verhältnis zum erkennbaren Resultat dieser Veranstaltung, die jeglicher erhellenden Inspiration zu entbehren schien."

Die russische Tageszeitung ISWESTIJA rechnet nach dem Treffen mit neuem Streit um die Europäische Verfassung:

"Frankreichs Staatspräsident Jacques Chirac und Schröder drohen all jenen EU-Mitgliedern mit Ausschluss, die nicht mit der neuen Verfassung einverstanden sind. Das ist die verdeckte Botschaft des Treffens der beiden Politiker. In der Öffentlichkeit formulierten Chirac und Schröder ihr Anliegen allerdings diplomatischer. Offenbar müssen 'Nein-Sager' in der Europäischen Union tatsächlich harte Strafen fürchten. Schröder und Chirac zogen es vor, dieses heikle Thema nur unter vier Augen zu besprechen."

Auch die polnische Zeitung RZECZPOSPOLITA macht sich Sorgen:

"Kanzler Schröder und Staatspräsident Chirac sind wegen der wirtschaftlichen Bedrohung für Deutschland und Frankreich seitens der neuen EU-Mitglieder beunruhigt. Um die Konkurrenz und damit die Gefahr abzubauen, erfolgte eine gemeinsame Aufforderung an die Europäische Union zur Harmonisierung des Steuerrechts. Dieses würde zur höheren Besteuerung auch in Polen führen. Es ist einfacher von den anderen eine Anhebung der Steuern zu fordern, als selbst die eigenen Haushaltsausgaben zu senken."

Eine schlechte Haushaltspolitik wirft nicht nur den beiden auch der österreichische STANDARD vor:

"Der Eindruck drängt sich auf, dass die Regeln dann außer Kraft gesetzt werden, wenn es die beiden großen EU-Staaten betrifft: Gegen Deutschland und Frankreich läuft bereits ein Verfahren wegen zu hohen Defizits, Italien hat noch eine Schonfrist bekommen. Auffällig ist aber auch, dass Österreichs Finanzminister nicht mehr zu den vehementen Verfechtern des Stabilitätspaktes gehört, seit auch in Wien das Defizit wieder kräftig ansteigt. Es wäre Zeit, endlich Tacheles zu reden, wie es um den Stabilitätspakt wirklich bestellt ist: Er ist längst tot."

Die Londoner Zeitung THE TIMES macht sich Gedanken um die Nachfolge des EU-Kommissionspräsidenten Romano Prodi, der zu Hause gegen Regierungschef Silvio Berlusconi antritt:

"Bei der Suche nach einem Nachfolger für Prodi müssen die EU-Regierungschefs zumindest sicherstellen, dass der Kandidat auch wirklich das Interesse der Union als Ganzes im Sinn hat. Das Problem ist, das kann man nicht erzwingen. Es gibt ja noch nicht einmal Kandidaten, sondern nur 'Namen', die genannt werden. Der Prozess der Auswahl ist so geheimnisvoll, dass nicht nur die Öffentlichkeit, sondern auch die meisten Politiker, im Dunkeln tappen."

Und in den SALZBURGER NACHRICHTEN aus Österreich heißt es:

"Er muss Jacques Chirac, Tony Blair, Gerhard Schröder oder Silvio Berlusconi die Stirn bieten, wenn sie wieder einmal allzu dreist die Geschicke der Union bestimmen wollen. Er muss in der Welt der Bushs und Putins den Platz Europas behaupten und nicht beim leisesten Gegenwind vor ihnen katzbuckeln. Vor allem aber muss er das vereinte Europa seinen jetzt 450 Millionen Einwohnern näher bringen, sich für mehr Demokratie und Transparenz einsetzen."


Themenwechsel: Als einen 'italienischen Triumph' hat die Mailänder Tageszeitung CORRIERE DELLA SERA den Wahlsieg der indischen Kongresspartei unter Sonia Gandhi bezeichnet. Weniger euphorisch ist da die römische Zeitung IL MESSAGERO:

"Was jetzt aber zählt ist, dass das zweitvolkreichste Land der Erde und die größte Demokratie der Welt nun wieder die Politik des Nationalismus verlässt, die auf gefährliche Weise von einem aggressiven hinduistischen Fundamentalismus durchzogen war, und zu seinen 'säkularen' Quellen zurückkehrt, von denen bereits die Väter der Unabhängigkeit träumten."

Die französische zeitung LE MONDE schreibt:

"Die Wähler in Indien sind begierig darauf, die Früchte des Wohlstands zu teilen. Der nächste Regierungschef wird sie zufrieden stellen müssen, ohne die wirtschaftliche Entwicklung und die internationale Öffnung Indiens zu gefährden. Sonia Gandhi wird beweisen müssen, dass sie nicht nur Erbin einer Dynastie und Witwe eines ermordeten Premierministers ist, sondern dass sie aus eigenem Vermögen die erforderlichen Qualitäten hat, ein Land mit über einer Milliarde Menschen zu regieren. Andernfalls könnten diese gleichen Wähler sie bei der nächsten Wahl wieder in die Opposition verbannen."

Neben der Armutsbekämpfung kommt, so das italienische Blatt LA STAMPA eine weitere Schwierigkeit auf Frau Gandhi zu:

"Das andere große Problem von Frau Gandhi und ihrer Kongresspartei geht die Außenpolitik an, was für Indien vor allem, wenn auch nicht ausschließlich, die Beziehungen zu Pakistan bedeutet, diesem entscheidenden und instabilen muslimischem Land, ein Nuklearland wie auch Indien, das noch dazu ein Objekt der atomaren Begierde von El Kaida ist. Das Tauwetter zwischen Neu-Delhi und Islamabad, trotz der Kaschmirfrage, das von der bisherigen indischen Regierung erreicht wurde, geht die ganze Welt an. Sonia hat versprochen, dass sie diesen Kurs nicht ändern wird. Glückwunsch an Sie und an uns alle."