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Internationale Pressestimmen der vergangenen Woche

zusammengestellt von Martin Muno 20. März 2004

Spanien nach der Wahl und den Anschlägen / Lage im Kosovo

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Im Blickpunkt der internationalen Presse stehen in dieser Woche vor allem die neu aufgeflammten Gewalttaten im Kosovo. Außerdem befassen sich die Leitartikler mit der Lage nach der spanischen Parlamentswahl und nach den Anschlägen von Madrid.

Die französische Tageszeitung LE MONDE schreibt über den designierten neuen spanischen Regierungschef:

"Rodríguez Zapatero hat versprochen, als eine seiner ersten Entscheidungen die im Irak stationierten spanischen Truppen abzuziehen. Zweifellos wird es jedoch leichter gewesen sein, diese Entscheidung anzukündigen als sie umzusetzen. In jedem Fall wird US-Präsident George W. Bush jetzt einen seiner treuesten und entschlossensten Verbündeten verlieren."

Kritik an der Haltung Zapateros übt die NEW YORK TIMES:

"Das ist der gefährlichste Moment seit dem 11. September 2001. (...) Was Spanien jetzt plant, ist deshalb verrückt. Zum einen kann man die Terroristen nicht mit einem Truppenabzug besänftigen. Und zum zweiten unterstützen die Soldaten gerade das erste Projekt in einem arabischen Land zur Bildung einer Demokratie."

Das sieht der in Großbritannien herausgegebene DAILY TELEGRAPH ähnlich:

"Die Politik von José Luis Rodríguez Zapatero scheint so wenig staatsmännisch wie seine Rhetorik. Schon hat er den Abzug der 1300 spanischen Soldaten aus dem Irak angekündigt. Das sozialistische Spanien lässt Amerika und Großbritannien im Stich und verbündet sich mit Frankreich. Mister Zapatero wechselt die Fronten - und er zerstört dabei die Kriegskoalition."

Mit den europäischen Auswirkungen des Regierungswechsels befasst sich das französische Blatt OUEST-FRANCE:

"Auf dem Alten Kontinent sind London und Warschau, die besten Verbündeten der USA in Irak, geschwächt. Für die Polen ist der feste Willen Spaniens, sich nun an das deutsch-französische Tandem anzuhängen und sich für eine möglichst rasche Verabschiedung der EU-Verfassung einzusetzen, ein harter Schlag. Sie riskieren nun, allein zu sein mit dem Versuch, die Annahme neuer Spielregeln in der EU zu verhindern."

Zum Wahlausgang in Spanien nach den Attentaten schreibt die französische Tageszeitung LE FIGARO:

"Die Attentate von Madrid haben nicht nur getötet, verletzt, aufgewühlt. Sie haben nicht nur einfach die Parlamentswahlen in Spanien von ihrem Kurs abgebracht. Vielmehr zwingen sie vor allem Europa, aber auch Washington, eine neue Gesamtsituation auf. Denn die Vorstellung, dass der Terrorismus auf diese Weise der Demokratie eine Falle zu stellen vermag, kann sicherlich nicht hingenommen werden. So hätte die innenpolitische Bilanz des Verlierers Aznar einen anderen Wahlausgang verdient gehabt. Niemand weiß, ob die Spanier aus Angst so gewählt haben oder weil man sie in Bezug auf die Ermittlungen belogen hat. Gewonnen hat jedenfalls der Terrorismus. Leider."

Die französische Zeitung LIBERATION geht allgemein auf die Gefahr weiterer Anschläge in Europa ein:

"Angesichts des fundamentalen Terrors brauchen wir mehr Europa. (...) Die Antwort in diesem Bereich, wie in anderen, kann nur sein, die Auswirkungen der Globalisierung zu regulieren, ihre Gefahr zu neutralisieren und vor allem die europäische Integration voranzubringen. Mehr Europa, das heißt nicht unbedingt mehr Bürokratie, sondern mehr politische Bereitschaft dazu - in jedem Land der EU. Das ist kein frommer Wunsch, sondern eine dringende Angelegenheit. Denn der Anschlag vom Atocha-Bahnhof scheint nur ein Vorspiel zu sein für andere Massaker auf europäischem Boden."

Der niederländische TELEGRAAF bemerkt:

"Auch auf europäischer Ebene muss der Kampf gegen den rücksichtslosen Terrorismus intensiviert und koordiniert werden. Viel zu lange hat man den Dingen ihren Lauf gelassen, in der Hoffnung, dass der Terrorismus an diesem alten Weltteil vorbei gehen würde. Europa ist für die religiös motivierten Terroristen jedoch ein ebenso großer Feind wie etwa die Vereinigten Staaten."

Der niederländische VOLKSKRANT geht auf die neu aufgelammten Gewalttaten im Kosovo ein:

"Die Unruhen sind nicht aus einer neuen Entwicklung hervorgegangen, sondern vielmehr daraus, dass eine solche Entwicklung ausgeblieben ist. Albaner und Serben finden die heutige Situation immer unerträglicher. (...) Seit den Anschlägen vom 11. September und dem daraus entstandenen 'Kampf gegen den Terrorismus' hat das Interesse am Kosovo stark nachgelassen. Die daraus erwachsenden Risiken werden aber immer größer."

Die britische TIMES meint dazu:

"Die Explosion im Kosovo ist eine deutliche Erinnerung daran, dass eine Lösung des ethnischen Konflikts dort auch heute noch so weit entfernt ist wie vor fünf Jahren. Die Nato, das muss gesagt werden, hat schnell reagiert. Aber die Vereinten Nationen haben versucht, sich vor dem Problem zu drücken. Durch den Irak-Konflikt wurde die Aufmerksamkeit des UN-Sicherheitsrates abgelenkt. Früher oder später, das ist klar, muss die Kosovo-Frage mit einer Einigung über die Zukunft der Provinz gelöst werden. Bis dahin scheint eine Fortsetzung der Gewalt unvermeidlich."

Die italienische Zeitung CORRIERE DELLA SIERRA macht die internationale Staatengemeinschaft für die blutigen Unruhen im Kosovo verantwortlich:

"Anstatt Serbien Würde und Wohlstand zurückzugeben, haben wir es gedemütigt. Amerika hat mit seinen Hilfen Handel getrieben, um die Auslieferung der serbischen Führer an Den Haag zu erreichen: eine Politik, die zur Folge den Tod eines Ministerpräsidenten (Zoran Djindjic), den Aufstieg der nationalistischen Partei und den Erfolg der Sozialisten von Ex-Präsident Slobodan Milosevic zur Folge gehabt hat. (...) Es wird daher nicht ausreichen, in Mitrovica und Pristina die Ordnung wieder herzustellen. Man wird das Werk zu Ende führen und eine neue Landkarte Ex-Jugoslawiens zeichnen müssen. Auch auf die Gefahr hin, die Vereinbarungen von Dayton und die prekären Ergebnisse des Krieges im Kosovo wieder zur Diskussion zu stellen."

Die bulgarische Zeitung SEGA befürchtet, dass sich der Konflikt ausweitet:

"Sollten sie es noch nicht getan haben, dann müssen die Serben Kosovo jetzt vergessen. (...) Es besteht aber die Gefahr, dass ein unabhängiges Kosovo einen Dominoeffekt auslöst. Die albanische Minderheit in Mazedonien, die auf dem Wege ist, eine Mehrheit zu werden, wird nicht zögern, auch die Abspaltung seines westlichen Teiles zu fordern. Nach der selben Logik könnten auch die Serben in Bosnien Unabhängigkeit beantragen, zumal sie ja eine eigene Republik haben. Jetzt haben die Albaner Schwung und werden nicht leicht Halt machen, bis sie die ersehnte Unabhängigkeit bekommen."

Die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG aus der Schweiz mahnt:

"Die ethnische Teilung wäre eine Kapitulation vor den gewaltbereiten Extremisten in Kosovo und ein später Triumph für die Nationalisten anderswo auf dem westlichen Balkan, die in den neunziger Jahren mit ihren Parolen von der Trennung der Volksgruppen die ganze Region in grosses Elend gestürzt haben."

Die kroatische Zeitung VJESNIK zeigt sich pessimistisch:

"Die Geschichte von Serben und Albanern im Kosovo der letzten mehr als einhundert Jahre wurde mit Blut geschrieben. Offener gegenseitiger Hass hat immer dominiert. Während der Herrschaft von Slobodan Milosevic mit seiner groß-serbischen Politik wurde der böse Geist endgültig aus der Flasche herausgelassen und er wütet ununterbrochen bis heute."

Die russische Tageszeitung NESAWISSIMAJA GASETA kommentiert die internationalen Auswirkungen der Unruhen:

"Der Balkan war eigentlich schon auf den Hinterhof der internationalen Politik geraten. Dass die Region wieder in den Mittelpunkt gerückt ist, bereitet vor allem den Amerikanern und den Europäern große Unannehmlichkeiten. Der neue Krieg passt US-Präsident George W. Bush überhaupt nicht ins Wahlkampf-Konzept. Das Weiße Haus zählte den Frieden auf dem Balkan zu seinen wichtigsten außenpolitischen Errungenschaften. Gleiches gilt für die europäischen Staatschefs, die in letzter Zeit eine Führungsrolle bei der Stabilisierung beansprucht hatten."

Zum Schluss ein Blick in die österreichische Tageszeitung DIE PRESSE:

"Was interessiert schon der Balkan, wenn islamistische Terroristen mit blutigen Attentaten und wilden Drohungen ganz Westeuropa in Atem halten und die Lage im strategisch wichtigen Irak zunehmend aus dem Ruder läuft? Bis vor kurzem offenbar zu wenig. Doch nun ist alles anders. Die Unruhen im Kosovo und in Serbien haben Europa und die USA unsanft aus dem Schlaf gerüttelt. Wenn westliche Politiker heute so tun, als wären sie vom Ausbruch der Gewalt völlig überrascht worden, dann grenzt das freilich an Heuchelei. Die Warnzeichen waren nicht zu übersehen."