1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Internationale Pressestimmen der vergangenen Woche

Redaktion: Stephan Stickelmann 14. Februar 2004

Wechsel an der SPD-Spitze/ Nahost-Initiative von Minister Fischer/ Künftige Finanzierung der EU

https://p.dw.com/p/4g1D

Auch die ausländischen Tageszeitungen beschäftigen sich weiter mit dem Wechsel an der Spitze der SPD und seinen Auswirkungen auf die Partei selbst, vor allem aber auf die künftige Politik der Bundesregierung. Beachtung finden ferner die Nahost-Inititive von Außenminister Joschka Fischer wie auch der Streit um die Finanzierung der Europäischen Union.

Den Rücktritt von Kanzler Gerhard Schröder als SPD-Vorsitzender bewertet DE TELEGRAAF aus den Niederlanden wie folgt:

"Mit der Übergabe der Parteiführung an seinen treuen Soldaten Franz Müntefering geht Bundeskanzler Schröder ein gewaltiges Risiko ein. Schröder gibt die Hälfte seiner Macht ab und sorgt dafür, dass Müntefering jetzt spöttisch 'Schattenkanzler' genannt wird. Das greift die Autorität Schröders an. Müntefering ist ein Sozialist alter Schule. Er versteht genau, dass er jetzt voll auf die Bremse treten muss, um noch etwas Wählergunst zu retten. Es wirkt alles wie Panikfußball und 'Flucht nach vorne', auch wenn SPD-Sprecher Schröders Schritt als mutig charakterisieren. Nur bei einer Belebung der Wirtschaft wird Schröder seine volle Amtszeit bis 2006 erleben. Vorläufig ist er nur ein General ohne Truppen, der ein Problem mit der Glaubwürdigkeit hat."

Die dänische Tageszeitung INFORMATION konstatiert:

"Bundeskanzler Gerhard Schröder kennt die Geschichte von Helmut Schmidt. Damit sich die nicht wiederholt, hat er sich für die Einsetzung eines Statthalters als SPD-Parteichef entschieden. Müntefering ist in der Partei populär und genießt zugleich das volle Vertrauen Schröders. Das Puzzle sollte also aufgehen. Müntefering findet Gehör für Schröders Reformen, der überwindet die Vertrauenskrise, die Reformen beginnen zu funktionieren, das Wählervolk begeistert sich, und die SPD bekommt wieder Aufwind. Ob das Puzzle aber wirklich so aufgeht, ist eine offene Frage. Was geschieht zum Beispiel, wenn der Wirtschaftsaufschwung nicht durchschlägt? Würde Müntefering dann unter dem Eindruck von Unzufriedenheit der Parteibasis gezwungen werden, Schröder zur Vernunft zu bringen? Wenn es so kommt, bricht für Schröder alles zusammen. Schon jetzt deutet sich an, dass die Parteigliederungen nicht nach den Regeln spielen wollen, die Schröder für die Zusammenarbeit zwischen Kanzler und Parteichef aufgestellt hat."

Im niederländischen ALGEMEEN DAGBLAD heißt es:

"Nach dem Rücktritt von Bundeskanzler Schröder als Parteichef der sozialdemokratischen SPD ist deutlich, in welche Richtung sich die Partei bewegt - nach links. Über den Anzüge von Brioni tragenden und Zigarren rauchenden Schröder, der sich künftig auf die Leitung der Regierung beschränken muss, wird spöttisch gesagt, dass er als Genosse der Bosse mehr liberal als sozialistisch war. Von seinem Nachfolger Franz Müntefering kann das nicht gesagt werden. Dass der Bundeskanzler, der als Parteivorsitzender wenig Widerspruch duldete, Macht verloren hat, ist deutlich. Ob sein Ende eingeläutet worden ist, wie die Opposition voraussagt, hängt jetzt von der Fähigkeit Münteferings ab, die murrenden Parteikader zu beruhigen. Die Vorzeichen dafür sind aber ungünstig."

POLITIKEN aus Dänemark meint:

"Deutschlands sozialdemokratischer Kanzler Gerhard Schröder kann man nur schwerlich als gestärkten Mann einstufen, nachdem er seinen Rücktritt als Vorsitzender der SPD angekündigt hat. Mit seinem Beschluss hat er freiwillig noch mehr von seinem Einfluss auf die Partei abgegeben, in der viele sich mit den Wirtschaftsreformen schwer tun, die Deutschland auf den richtigen Kurs zurückbringen. Schröder hat oft die Fähigkeit bewiesen, augenscheinlich unvermeidliche Niederlagen in Siege umzuwandeln. Aber leider hat er auch gezeigt, dass er nicht zwangsläufig über mehrere Tage an derselben Auffassung festhält. In entscheidenden Situationen hat er unentschlossen gewirkt. Das Gegenteil wird derzeit benötigt. Deutschland steht nach der Wiedervereinigung vor mehr als zehn Jahrn immer noch vor einer Reihe fundamentaler Probleme und hat akuten Bedarf an Reformen unter anderem im Gesundheits- und Rentensektor."

Und das in Madrid herausgegebene Blatt ABC bemerkt:

"Wer den Tiger des Populismus reitet, muss dafür zahlen. Kurzfristig mögen einige Gewinne dabei herausspringen, aber auf lange Sicht landet der Populist immer in einer Sackgasse. Wenn sich hinter den Worten keine seriöse und verantwortungsvolle Amtsführung verbirgt, wird eine solche Regierung früher oder später demaskiert. Die Regierungsgeschäfte nach der Stimmungslage in der öffentlichen Meinung auszurichten, ist eine gefährliche Strategie. Irgendwann zeigen sich die Schandflecken, die sich hinter der Maske des Populismus verbergen."

----------

Außenminister Fischer hat für eine gemeinsame Nahost-Initiative von EU und NATO geworben. Nach seinen Vorstellungen muss mit den arabischen Staaten eng zusammengearbeitet werden, um deren Gesellschaften zu modernisieren. Dies ist für Fischer nicht zuletzt mit Blick auf die Terror-Bekämpfung notwendig. Dazu schreibt EL PAIS aus der spanischen Hauptstadt:

"Die transatlantische Initiative des deutschen Außenministers Joschka Fischer für den Nahen Osten war das wichtigste Ergebnis der 40. Sicherheitskonferenz in München. Sie soll als eine doppelte Brücke dienen, die die beiden Seiten des Atlantiks und des Mittelmeers miteinander verbindet. Im Grunde hat Fischer die Idee von den Amerikanern 'geklaut', die an einer ähnlichen Idee arbeiteten. Allerdings modifizierte er das Vorhaben der Amerikaner. Während Washington die NATO in den Irak holen möchte, will Fischer die Allianz in den allgemeinen regionalen Dialog einbeziehen. Die Vorschläge haben allerdings auch ihre Haken. Die NATO stößt zum Beispiel bei den arabischen Staaten auf Misstrauen."

Und LE MONDE aus Paris stellt fest:

"US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld hat nach Joschka Fischers Plädoyer zum Nahen Osten merkwürdig geschwiegen. Für den deutschen Außenminister geht es vor allem darum, 'nicht mehr den Status quo im Nahen und Mittleren Osten hinzunehmen', sondern von dem Prinzip auszugehen, dass militärische Mittel alleine nicht ausreichen, um die Bedrohung durch den neuen Totalitarismus zu überwinden, den ihm zufolge der 'Terrorismus des Dschihad' darstellt. Die fruchtlose Debatte in München zwischen Israelis und Palästinensern hat die Idee gestärkt, dass in diesem Friedensprozess eine dritte Partei nötig ist, um die Kriegsparteien zu trennen. In der NATO erwägen manche Strategen sogar, dass das Atlantische Bündnis dazwischen geht. Doch der Fischer-Plan scheint sich eher zu dem genauso unsicheren Plan für einen 'großen Mittleren Osten' zu gesellen, den die Bush-Regierung Ende Januar vorgestellt hat."

-----------

Die EU-Kommission verlangt mit Blick auf die Erweiterung der Union eine deutliche Erhöhung des EU-Etats von 2007 an. Dies wird von sechs Mitgliedsstaaten - darunter auch Deutschland - abgelehnt. Angesichts dieser Gemengelage fragen die in Straßburg erscheinenden LES DERNIERE NOUVELLE D'ALSACE:

"Wie soll das erweiterte Europa finanziert werden? Indem die Beiträge der Mitgliedstaaten schrittweise erhöht werden, sagte EU-Kommissionspräsident Romano Prodi. Aber Frankreich, Deutschland, Großbritannien, die Niederlande, Schweden und Österreich lehnen dies ab. Man liebt Europa, wenn man etwas bekommt. Nicht, wenn man Europa etwas geben muss. Doch was die Kommission vorschlägt, ist zugleich unzureichend und verschwenderisch. Unzureichend, weil die Bedürfnisse von Mittel- und Osteuropa immens sind. Verschwenderisch, weil die Steuerzahler ohne ein präzises europäisches Projekt den Eindruck haben, dass ihr Geld nur dazu dient, eine riesige Maschinerie am Laufen zu halten. Europa braucht ein Ziel. Ein Ziel, das ausgerechnet jene abgelehnt haben, die als erste die Hand aufhalten - obwohl der Entwurf der EU-Verfassung nur den kleinsten gemeinsamen Nenner darstellte."

Das LUXEMBURGER WORT führt aus:

"Wenn es um Geld geht, hört bekanntlich der Spaß auf. Das Diktum gilt auch für Europa. Die EU-Kommission hat ihren Haushaltsplan 2007 bis 2013 vorgestellt. Dabei sollen die Ausgaben nicht bloß absolut, sondern auch relativ ansteigen. Flugs ist Streit entbrannt. Nettoempfänger verteidigen die relative Ausgabensteigerung mit dem Argument der Solidarität, sechs große Nettozahler verlangen dagegen, die Ausgaben bei einem Prozent des Bruttonationaleinkommens der EU einzufrieren. Also Verfechter des Gemeinsinns gegen jene des nationalen Egoismus? Premierminister Juncker warnt davor, die Instrumente der europäischen Solidarität zu zerschlagen. Doch kaschiert der strapazierte Begriff Solidarität nicht häufig auch eigene Besitzstandswahrung? Die Verweigerungsfront leitet wohl auch der Eigennutz. Doch sollte die Union den Mut haben, die Erhöhung eines Budgetpostens durch die Kürzung eines oder mehrerer anderer ausgleichen."

Und DE VOLKSKRANT aus den Niederlanden resümiert:

"Die gegenseitige Solidarität in Europa steht bereits gehörig unter Druck. Es gibt eine Grenze für das, was man Nettozahlern zumuten kann. Aber dies ist kein Plädoyer für den Primat der Prokuristen. Das EU-Projekt ist mehr als eine laufende Rechnung. Es geht auch um eine Investition in eine gemeinsame Zukunft, die nur mit einiger Großzügigkeit zu erreichen ist. Deshalb muss man aufpassen, dass die Ein-Prozent-Norm nicht zum Glaubensartikel erhoben wird."