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Internationale Pressestimmen der vergangenen Woche

Frank Gerstenberg27. Dezember 2003

Deutschland nach den Reformen / Libyens Verzicht auf Massenvernichtungswaffen / Weltweite Terrorismusgefahr

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Die internationale Presse hat sich auch während der Feiertage Gedanken um Deutschland und die Welt gemacht. Dabei gab es für Deutschlands Reformfähigkeit wenig lobende Worte. Kritisch wurde auch der Verzicht des libyischen Revolutionsführers Muammar el Gaddafi auf Vernichtungswaffen betrachtet. Überdies stand der weltweite Terrorismus im Blickpunkt:

Das britische Wochenmagazin THE ECONOMIST aus London bezeichnete die Deutschen als "Weltmeister im Pessimismus":

"Auf den meisten Gebieten mögen sie ihre Führungsposition verloren haben, aber in einem sind die Deutschen noch Weltklasse: darin, das Glas halb leer statt halb voll zu sehen. Am frühen Morgen des 15. Dezember haben sich die sozialdemokratisch geführte Regierung und die christdemokratische Opposition schließlich auf die so genannte Agenda 2010 geeinigt, die als das ehrgeizigste Reformprojekt in der deutschen Nachkriegsgeschichte betrachtet werden könnte. Doch die Medien waren voll von Begriffen wie 'Reförmchen', 'unausgegoren' und 'kleiner Schritt'."

Auch die in Wien erscheinende österreichische Zeitung DER STANDARD befasste sich mit der deutschen Reformpolitik, speziell mit dem Steuersystem. Das Blatt nannte Bundeskanzler Gerhard Schröder einen "Steuerpopulisten":

"Der SPD-Chef rief zur 'gesellschaftlichen Ächtung' der Steuerflüchtlinge auf. Das ist Populismus pur. Denn Schröder und seine Regierung können sehr wohl etwas zur Eindämmung dieser Steuerflucht tun. Ins Reformpaket wurde eine Amnestie für Steuersünder gepackt. Solange jedoch nicht Klarheit darüber besteht, wie viel jemand mit großem Vermögen künftig in Deutschland versteuern muss, wird es nicht gelingen, dass beträchtliche Summen zurück in die Bundesrepublik fließen. Das deutsche Steuerrecht ist insgesamt ungerecht, da es die Möglichkeit bietet, dass sich Reiche arm rechnen können, indem sie Abschreibungsmöglichkeiten exzessiv nutzen. Viel gerechter wäre es, ein einfaches Steuermodell zu entwickeln, das darüber hinaus nachvollziehbar ist. Denn im Dschungel der Vorschriften verheddern sich inzwischen sogar Fachleute. Es reicht deshalb nicht aus, nur eine Senkung der Tarife, wie gerade im Zuge der Steuerreform 2004 geschehen, durchzusetzen. Notwendig wäre eine radikale Vereinfachung des Steuersystems. In diesem Sinne ist nach der Reform vor der Reform."



Soweit der österreichische STANDARD. Nun zu einem anderen vielbeachteten Thema dieser Woche: dem Verzicht des libyischen Staatschefs Muammar el Gaddafi auf Massenvernichtungswaffen. Die britische Zeitung THE DAILY TELEGRAPH hielt das Entgegenkommen Gaddafis für eine unmittelbare Folge des Irak-Krieges:

"Muammar el Gaddafi, der sich einst um Atombomben bemühte, präsentiert sich jetzt als reuiger Sünder. Was in seiner Darstellung verdächtigerweise fehlt, ist jedwedes Eingeständnis, dass Libyen durch das Schicksal Saddam Husseins dazu angespornt worden ist, seine Programme für atomare, biologische und chemische Waffen aufzugeben. Denn die Gespräche zwischen Tripolis und amerikanischen und britischen Diplomaten begannen just zu dem Zeitpunkt, als alliierte Truppen von Kuwait aus in den Irak rollten. Wie auch immer Oberst Gaddafi sein Umschwenken zu erklären versucht, die Botschaft ist klar: Anders als die vorherige US-Regierung ist die Regierung Bush dazu bereit, multilaterale Übereinkünfte durch unilaterale Aktionen zu erzwingen. Die Invasion des Iraks trägt dazu bei, diese Welt sicherer zu machen. Frankreich, Deutschland und Russland sollten das bitte zur Kenntnis nehmen."

Der Ansicht des DAILY TELEGRAPH stand der Kommentar der britischen Tageszeitung THE GUARDIAN diametral entgegen:

"Geduldige Diplomatie, Dialog, Verhandlungen, klar formulierte Prinzipien und Grenzen, Respekt, gegenseitiges Vertrauen und attraktive Anreize - das waren die zivilen Werkzeuge, die den vielleicht bedeutendsten greifbaren Durchbruch bei der Waffen- kontrolle seit den strategischen Waffenverträgen aus der Endzeit des Kalten Krieges zu Stande gebracht haben. Wie schade, dass der Fall der vermeintlichen irakischen Massenvernichtungswaffen nicht auf eine ähnlich intelligente, gewaltfreie Weise geregelt werden konnte. Gewisse (britische) Minister behaupten jetzt, Libyens Handeln sei eine Art nachträgliche Rechtfertigung des Irak-Krieges; das Land kooperiere aus Angst. Das ist eine traurige, armselige Argumentation. Tripolis hatte schwerwiegende wirtschaftliche und politische Gründe für sein Handeln. Libyen hat selbst angedeutet, dass der Irak-Krieg eine Einigung erschwert hat; sie wurde letztlich trotz, nicht wegen des Irak-Krieges erzielt. Wenn dies irgendetwas zeigt, dann dass US-Präsident George W. Bush im falschen Land einmarschiert ist. Die legendären Massenvernichtungswaffen waren die ganze Zeit in Libyen. Ein Grund mehr, nächstes Mal auf Worte statt auf Waffen zu setzen",

schrieb der GUARDIAN aus London. Auch die NEUE ZÜRICHER ZEITUNG aus der Schweiz warnt vor einer Instrumentalisierung der libyischen Volte für eine Rechtfertigung des Irak-Krieges:

"Es ist zu hoffen, dass weder Blair noch Bush aus innenpolitischen Gründen - um die 'Richtigkeit' ihrer Strategien im Irak zu belegen - Gaddafis Wandel zum Nennwert nehmen. Wenn die Erfahrungen im bald abgelaufenen Jahr eines gezeigt haben, dann das, dass Massen- vernichtungswaffen für Demokratien unzuverlässige Kriegsgründe sein und auf mysteriöse Weise verschwinden können. Inspektoren diverser Provenienz, der UNO wie auch der Amerikaner, tappen im Dunkeln und finden sie nicht. Gleichzeitig staunt die Fachwelt immer wieder darüber, wie viel im Geheimen produziert werden kann. Im Fall Libyen zeigten sich die eingeladenen Kontrolleure verblüfft, wie fortgeschritten das Atomwaffenprogramm Gaddafis war."

Vor diesem Hintergrund befasste sich die italienische Zeitung CORRIERE DELLA SERA mit dem transatlantischen Verhältnis:

"Wenn der Bruch zwischen den USA und der Europäischen Union weiterhin bestehen bleibt, dann werden in Washington die politischen Falken Triumphe feiern, und dies selbst im Fall eines Sieges der Demokraten im Rennen um das Weiße Haus. Und in den europäischen Hauptstädten wird in einem solchem Fall eine überhebliche Ohnmacht um sich greifen, die nicht dazu in der Lage ist, mit der Neuen Welt einen Dialog zu führen. Die Vereinigten Staaten allein können zwar keine Krise meistern, aber ohne sie ist auch keine Krise lösbar."

Die niederländische Zeitung DE VOLKSKRANT plädierte hingegen für ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Europa und den USA:

"Präsident Bush und Premierminister Blair hoffen, dass Länder wie Iran und Nordkorea dem Beispiel von Gaddafi folgen. Sie sind erfreut, demonstrieren zu können, dass ihre Politik nicht nur militärische Lösungen umfasst, sondern auch diplomatische. Außer der 'Peitsche' präventiver Kriege ist darin auch Raum für das 'Zuckerbrot' der Aufhebung internationaler Isolierung, falls Libyen seine Ankündigung wahrmacht. Die Botschaft für Teheran, Pjöngjang und Damaskus ist klar. Der libysche Durchbruch kommt kurz nach der iranischen Zusage an eine europäische diplomatische Mission, dass unangekündigte Atominspekteure der UN willkommen seien. Beide Fälle sind ermutigend, denn sie zeigen, dass amerikanische und europäische Politik einander sehr wohl ergänzen können."

Dies war DE VOLKSKRANT aus Den Haag. Von Gaddafi zur Bedrohung durch den internationalen Terrorismus, der nach Ansicht des ALGEMEEN DAGBLAD aus den Niederlanden nach wie vor die größte Bedrohung weltweit darstellt:

"Die traditionellen Friedensbotschaften zu Weihnachten standen in diesem Jahr in schrillem Kontrast zur grimmiger werdenden Wirklichkeit, die der Welt immer mehr Angst einjagt. Krieg und Gewalt als Ergebnis wachsender Gegensätze, die nicht mehr zu kontrollieren sind, nähren Gefühle von Unsicherheit und Schutzlosigkeit. Der internationale Kampf gegen den Terrorismus, mit dem die verheerenden Anschläge vom Jahr 2001 in den USA beantwortet wurden, wirft einen immer größer werdenden Schatten über den Alltag von Menschen in allen Teilen der Welt. Der Kampf gegen den Terrorismus darf vor allem nicht blind machen. Ein Klima, in dem Gruppen von Menschen allmählich elementare Rechte genommen werden, schafft nur neue Gegensätze. Die Warnungen und Aufrufe zu Toleranz und Respekt sollten mehr zu Herzen genommen werden."

Für die italienische Zeitung IL MESSAGGERO hat die Sicherheit in der Welt auch nach der Festnahme Saddam Husseins nicht zugenommen. Beleg dafür sei die Ausrufung der zweithöchsten Terror-Warnstufe in den USA:

"In der Vergangenheit war die US-Regierung wegen der Häufigkeit, mit der sie die Warnstufe erhöht hatte, kritisiert worden. Viele hegten sogar den Verdacht, dass dahinter das politische Kalkül stand, das Land in einem ständigen Zustand der Beunruhigung zu halten, damit es sich um den Präsidenten und seine Politik schart. Aber diesmal kann die Maßnahme Präsident Bush nichts nützen. Seitdem Saddam Hussein im Irak gefangen hat, wiederholt er, dass die USA sicherer sind. Seine Gegner haben jetzt festgestellt, dass das offenbar nicht stimmt. Das wird Howard Dean, dem Favoriten unter den Demokraten für die Präsidentschafts-Kandidatur, helfen. Für ihn war klar, dass Saddams Gefangennahme den Terror nicht stoppen würde. 'Unser wahrer Feind ist Osama bin Laden' hat er immer wieder gesagt. Heute scheint ihm das Weiße Haus Recht zu geben."

Vor diesem Hintergrund kommentierte die französische Zeitung LE MONDE die Attentatsversuche auf den pakistanischen Staatschef Pervez Musharraf:

"Ganz gewiss ist der Präsident, der vor vier Jahren dank eines Staatsstreichs an die Macht gekommen war, in keiner beneidenswerten Lage. Wenn er den einen - den USA- nachgibt, bedrohen ihn die anderen. Macht er die Politik eines Teils der lokalen Eliten (vor allem aus Militär und Wissenschaft), kritisiert ihn der große amerikanische Verbündete. Dieses Kunststück des politischen Ausgleichs ist voller Gefahren. Alles sieht so aus, als hätte Musharraf in seinem Bemühen, absolute Gegensätze unter einen Hut zu bringen, die Grenze erreicht."



Nach LE MONDE hören Sie zu zum Schluss den KURIER aus Wien, der sich mit dem Erdbeben im Iran befasste:

"Für die Wissenschaft, die alles kühl und rational zu erklären vermag, war es ein für diese Region typisches Subduktionsbeben, Folge der Verschiebung der arabischen Platte unter das iranische Hochland. Um zwei bis drei Zentimeter jährlich. Das Beben erreichte die Stärke 6,3 auf der Richterskala. Diese international genormte Zahl bedeutet in dicht besiedeltem Gebiet Tod und Zerstörung. Während bei uns fröhliche Weihnachten gefeiert wurden, stürzte im Iran die Welt ein. Zufall der Gleichzeitigkeit. Dennoch sollte uns dieses maßlose Unglück zu denken geben. Über die Relativität all dessen, was uns bewegt. Auch zu Weihnachten und den Feiertagen."