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Internationale Pressestimmen der vergangenen Woche

Frank Gerstenberg29. November 2003

EU-Stabilitätspakt: Keine Strafen für Deutschland und Frankreich / Georgien: Rücktritt von Schewardnadse / Nordirland: Wahlsieg der Radikalen

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Der EU-Stabilitätspakt und der Rücktritt des georgischen Präsidenten Eduard Schewardnadse standen in dieser Woche im Mittelpunkt der Kommentare in der internationalen Presse. Auch die Wahl in Nordirland wurde diskutiert.

Zu unserem ersten Thema: Die Entscheidung der EU-Finanzminister, Deutschland und Frankreich trotz hoher Haushaltsdefizite nicht zu bestrafen, wurde mehrheitlich kritisiert. Für den britischen GUARDIAN ist der Stabilitätspakt "gescheitert":

"Wenn man Regeln hat, setzt man sie entweder durch oder ändert sie. Die Minister haben sich für keine dieser beiden Möglichkeiten entschieden. Stattdessen haben sie zugelassen, dass gegen die Regeln verstoßen wurde, aber nichts dafür getan, sie zu ändern. Indem sie vor Sanktionen gegen die beiden Länder zurückschrecken, leisten die Finanzminister einer politischen und wirtschaftlichen Fiktion Vorschub."

Für die spanische Zeitung EL MUNDO aus Madrid hat die EU mit der Entscheidung dem EU-Stabilitätspakt den Totenschein ausgestellt:

"Der Stabilitätspakt war geschlossen worden, um die Inflation einzudämmen und die Stabilität des Euro zu sichern. Haben die Gesetze der Wirtschaft sich seither geändert? Nein. Vielmehr haben Deutschland und Frankreich eine so katastrophale Wirtschaftspolitik betrieben, dass beide Länder in einer tiefen Krise stecken. Berlin und Paris errangen in Brüssel nur einen Pyrrhussieg. Die Kosten werden immens sein. Der EU-Beschluss ist der Totenschein für den Stabilitätspakt."

LA REPUBBLICA aus Rom gab Italien die Schuld an der Entscheidung:

"Die kleinen Länder fühlen sich von den großen Ländern verraten. Die bevorstehende Regierungskonferenz läuft Gefahr, nach den Ankündigungen der Polen, Spanier und Niederländer in schweres Fahrwasser zu geraten. Diese Katastrophe, die in der Geschichte der europäischen Einigung wohl ohne Beispiel ist, trägt die Unterschrift des italienischen Finanzministers Giulio Tremonti."

Dagegen sah die schwedische Zeitung SVENSKA DAGBLADET im Verhalten des deutschen Finanzministers Hans Eichel eine "Herausforderung":

"Nein, Deutschland werde sich beim Stabilitätspakt nicht nach den EU-Regeln richten, hat Eichel gesagt. Sozialdemokratische Ankurbelungspolitik kommt vor der Stabilität der Staatsfinanzen. Dieses Verhalten ist typisch für die Machtsprache eines starken Staates und damit auch ein illustratives Beispiel dafür, dass es eine starke Kommission geben muss, um das Gleichgewicht der Macht innerhalb der EU aufrecht zu erhalten. Deutschland hat sein Spiel mit Hilfe einer Kommission von Sündern gewonnen",

schrieb SVENSKA DAGBLADET aus Stockholm.

Scharfe Kritik an Deutschland übte die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG aus der Schweiz:

"Die aus haushaltspolitischen Nöten heraus entstandene Rolle der Bundesregierung als Totengräberin des Stabilitätspaktes ist allerdings nur die besonders deutliche Ausprägung eines seit längerem zu beobachtenden europapolitischen Kurses. Berlin verfolgte unnachgiebiger als in der Vergangenheit seine nationalen Interessen in Brüssel und setzte dabei vermehrt auf intergouvernementale Zusammenarbeit. Der Kanzler untergrub mit abfälligen Bemerkungen die Autorität der Kommission, wenn er glaubte, dies nützte seinen Zielen. Des Öfteren bediente er sich dabei der Polemik und des Populismus - so wie jetzt, wenn er so tut, als sei der Stabilitätspakt eine Erfindung von Brüsseler Bürokraten und nicht des damaligen deutschen Finanzministers Waigel."

So weit die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG. Andere internationale Zeitungen können dem Votum aus Brüssel aber auch Positives abgewinnen. LES ECHOS aus Paris schrieb:

"Diese Entscheidung war politisch unrecht, aber vielleicht wirtschaftlich richtig. Europa muss nun um den Stabilitätspakt trauern und sich auf Wachstum und Stabilität konzentrieren. Wenn sich die Lage bessert, kann man den Ländern wieder eine strenge Disziplin auferlegen."

LE FIGARO aus Paris ging noch einen Schritt weiter und notierte:

"Europa hat eine gute Entscheidung getroffen. Man hat eigentlich nichts weiter getan, als die Rückkehr der Defizite unter die 3 Prozent-Grenze um höchstens zwei Jahre zu verschieben. Das öffentliche Defizit ist ja an sich kein Drama. Man kann es kontrolliert einsetzen, um die Wirtschaft anzukurbeln, wie es das Weiße Haus tut."

Dagegen argumentierte das tschechische Blatt PRAVO aus Prag:

"Deutschland und Frankreich nicht zu bestrafen ist so, als wenn ein Vater seinen ungezogenen Kindern Sanktionen androht, die Mutter ihnen aber auf Kosten der väterlichen Autorität alles vergibt. Die EU beginnt, mit verschiedenen Ellen zu messen: für das eine Mitglied gelten die Regeln unbarmherzig, für ein anderes wiederum werden sie weich geklopft."

Die SALZBURGER NACHRICHTEN befassten sich abschließend mit der Frage, wie es nun weiter gehen soll mit dem Stabilitätspakt:

"Das Zerschlagen des Porzellans hat einen Vorteil: Die EU-Länder sind nun gezwungen, den Pakt zu reformieren und seine Regeln zu adaptieren. Vor diesen Reformen hat man sich bislang gedrückt, mit der Folge, dass man dem Stabilitätspakt schwere Schäden zugefügt hat. Es wird nicht einfach sein, den Stabilitätspakt zu beleben. Aber begraben sollte man ihn nicht."

Mit diesem Auszug aus den SALZBURGER NACHRICHTEN kommen wir zum Rücktritt des georgischen Präsidenten Eduard Schewardnadse:

Die NEW YORK TIMES würdigte die Verdienste Schewardnadses:

"Wie schlecht auch immer Eduard Schewardnadse seine Bergrepublik Georgien regiert hat und wie spät auch immer er zurückgetreten ist, er ist mit dem intakten Nimbus eines der größten Staatsmänner zu Endzeiten des Kalten Krieges gegangen. Die georgische Opposition war ebenso weise zu versprechen, dass er sich respektvoll zurückziehen kann, so dass sein erzwungener Rücktritt als ein legitimer Machtwechsel wahrgenommen wird. Dennoch ist es bestürzend, dass ein Mann, der eine Weltmacht mit geführt hat, so als Führer eines Landes, das nur ein Fünfzigstel der Größe (der Ex- Sowjetunion) hat, versagte."

Eine ganz andere Meinung über Schewardnadse hat die französische Zeitung OUEST-FRANCE aus Rennes:

"Eduard Schewardnadse, der mitten im Zusammenbruch des sowjetischen Imperiums in seine Heimatrepublik zurückgekehrt war - die übrigens auch die Stalins war - hat in fast allen Bereichen versagt. Er konnte weder die Einheit des Landes bewahren, noch seinen Wohlstand sicherstellen. Er war unfähig, einer grassierenden Korruption ein Ende zu setzen; er hat keine Maßnahmen zur Ankurbelung der Wirtschaft in einer Region ergreifen können, die unter den Sowjets als Idylle galt."

Für die polnische Zeitung GAZETA WYBORZA aus Warschau hat der Georgier den richtigen Zeitpunkt für den Rücktritt verpasst:

"Wenn Schewardnadse vor zwei Jahren zurückgetreten wäre, wäre er heute georgischer Nationalheld. Aber in der Politik gibt es nichts schwierigeres, als rechtzeitig abzutreten. Schewardnadse hat nicht mehr verstanden, dass die Welt und Georgien sich verändern. Dass selbst eine begrenzte Demokratie einige Regeln respektieren muss. Wahlfälschung war der Bruch aller Regeln. Und das führte zu seiner Niederlage. Er war die Hoffnung Georgiens und wurde zu seinem Fluch. Aber er trat selbst ab, ohne dass es zu Blutvergießen kam."

Für die niederländische Zeitung DE VOLKSKRANT aus Den Haag ist Schewardnadse eine ambivalente Figur:

"Nach 1991 ist der sowjetische Staatschef Michail Gorbatschow von den russischen Wählern in ein politisches Niemandsland verbannt worden, wo er sich frei von jeder Verantwortlichkeit zu einer Art Weltgewissen entwickeln konnte. Schewardnadse blieb in der Politik aktiv. In der Praxis des Regierens und in einem verarmten Land ohne demokratische Tradition verleugnete er seine früheren demokratischen Ideen. Zurecht hat die Opposition unter Führung von Michail Saakaschwili Schewardnadse zum Rücktritt gezwungen. Der Westen darf jedoch nie vergessen, dass der Mann mit den melancholischen Augen einer der Politiker war, die 1989 die europäische Revolution in gute Bahnen gelenkt haben."

Aus diesem Grunde machte die Wiener KRONENZEITUNG einen unkonventionellen Vorschlag:

"Egal, wie er sich in den letzten Jahren als selbstherrlicher Staatschef des seit 1992 unabhängigen Georgiens verhalten hat, die Amerikaner und ihre Alliierten dürfen ihm nie vergessen, dass er die Sowjetunion im ersten Golfkrieg in die Front gegen Saddam eingereiht hat. Seine positive Rolle bei der Liquidierung des osteuropäischen Sowjetimperiums kann gar nicht überschätzt werden. Und die rasche Wiedervereinigung Deutschlands verdanken wir neben der Kohl- Gorbatschow-Freundschaft vor allem der Diplomatie und Offenheit dieses damals so wendigen Georgiers. Wenn er ins Exil muss, sollten ihn die Deutschen jedoch gut aufnehmen."

Die schwedische Zeitung DAGENS NYHETER befasste sich mit der Zukunft Georgiens und sieht das Land dabei auf einem gefährlichen Weg:

"Die entscheidende Frage für Georgien lautet, ob das Land jetzt einen Weg in Richtung bessere Zukunft eingeschlagen hat. Leider kann man nur schwer daran glauben. Zwar spricht die Regierung von EU und NATO als Zukunftsperspektive. Aber das Land ist in vielerlei Hinsicht derart abgewirtschaftet und von Korruption durchzogen, dass jeder eingeschlagene Weg zwangsläufig äußerst lang ausfallen muss. Wenn die neue Führung die Erwartungen der Menschen nicht erfüllen kann, könnte deren Ungeduld explosiv ausfallen."

Nun zu den Regionalwahlen in Nordirland, wo die radikalen Parteien Siege errrungen haben. Der STANDARD aus Wien sieht darin den Anbruch einer neuen Eiszeit:

"Pfarrer Ian Paisley spielt seit bald 40 Jahren die Rolle des Geistes, der stets verneint. Er und seine rabiate Protestantenpartei haben nie etwas Konstruktives geleistet. Nach dieser Wahl steht Paisley an seinem Lebensabend triumphierend an der Spitze der größten Partei Nordirlands. Hinter ihm stehen fähige Politiker, die dereinst den Ausgleich mit der katholischen Bevölkerungsmehrheit suchen werden, aber vorläufig herrscht Eiszeit."

Auch das LUXEMBURGER WORT bedauerte den Ausgang der Wahlen:

"Es entbehrt nicht einer traurigen Ironie, dass ausgerechnet die gemäßigten Parteien die Verlierer der Regionalwahlen in Nordirland sind. Protestanten wie Katholiken gehen offenbar lieber auf Nummer sicher, aus Furcht, der jeweiligen Gegenseite könnten zu viele Konzessionen gemacht werden."

Zum Abschluss dieser Presseschau hören Sie einen Kommentar des Zeitung BUSINESS DAY aus Johannesburg in Südafrika zum Terror-Anschlag in Istanbul:

"14 Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer und mehr als zwei Jahre nach der Attacke gegen das World Trade Center wird der Dritte Weltkrieg gegen den Terrorismus ausgefochten. Die beiden verheerenden Selbstmordanschläge in der Türkei innerhalb von nur einer Woche erinnern daran, dass es ein globaler Kampf ist und Unschuldige dabei getötet werden. Eine wirksame internationale Kooperation ist eine notwendige - wenn auch unzureichende - Bedingung für einen Erfolg in diesem Kampf. Wenn man von den jüngsten Anschlägen in arabischen Ländern ausgeht, sieht es so aus, als ob die Geheimdienste, die am besten für einen Durchbruch geeignet sind, dafür nur ungenügend ausgestattet sind."