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'Angriff eines Mobs'

22. Februar 2008

Nach den gewalttätigen Anti-Kosovo-Ausschreitungen in Belgrad ist Regierungschef Kostunica voll des Lobes über die "Jugend Serbiens". Die EU und USA sind dagegen entsetzt, Kroatien zieht eine Parallele zur Milosevic-Ära.

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Die brennende US-Botschaft in Belgrad
Die brennende US-Botschaft in BelgradBild: AP

Bei den mehrstündigen Krawallen durch tausende Jugendliche in der serbischen Hauptstadt Belgrad waren am Donnerstagabend (21.02.2008) mehrere Botschaften angegriffen und in Brand gesetzt worden. Dabei kam ein Mann ums Leben, mindestens 150 Menschen wurden verletzt, darunter 35 Polizisten und einige Journalisten. Ein Millionenschaden entstand durch zerstörte und ausgeplünderte Geschäfte. Die Polizei, die erst sehr spät eingriff, nahm über 190 Menschen fest. Zu den Ausschreitungen war es nach einer von der Regierung veranstalteten Massenkundgebung gegen die Unabhängigkeit der südlichen Provinz Kosovo gekommen.

(K)eine Rechtfertigung für Gewalt

Kostunica lobt die "Jugend Serbiens"
Kostunica lobt die "Jugend Serbiens"Bild: AP

Doch auch am Tag danach war zumindest bei der serbischen Regierung von Reue keine Spur. Im Gegenteil: Regierungschef Vojislav Kostunica lobte am Freitag die "Jugend Serbiens", die mit ihrer Teilnahme an der Massenkundgebung vom Donnerstag gezeigt habe, dass sie "für Recht, Gerechtigkeit und Freiheit ist". Zwar rief Kostunica seine Landsleute auf, künftig die "geringsten Zwischenfälle" zu vermeiden. Aber er spielte die Ausschreitungen auch als "isolierte Akte" herunter.

Der serbische Präsident Boris Tadic sah dies ganz anders: Er verurteilte die gewaltsamen Übergriffe tausender meist jugendlicher Demonstranten auf ausländische Botschaften, Banken und Geschäfte in der Innenstadt, auf das Schärfste. Für solche Gewalt gebe es keine Rechtfertigung und "niemand darf dies rechtfertigen".

"Angriffe eines Mobs"

Auch die EU-Kommission verurteilte den serbischen Gewaltausbruch scharf. Erweiterungskommissar Olli Rehn sagte in Brüssel: "Wir respektieren das demokratische Recht des serbischen Volkes, seine Meinung zu den Entwicklungen im Kosovo zu demonstrieren, aber mit Gewalt seine Meinung zu äußern, ist nicht akzeptabel." Die EU forderte einen besseren Schutz der Botschaften. EU-Chefdiplomat Javier Solana teilte am Freitag im slowenischen Brdo mit, die Europäische Union lege die Annäherung an Serbien vorerst auf Eis.

Auch der UN-Sicherheitsrat verurteilte in einer in New York verlesenen Erklärung "die Angriffe eines Mobs auf Botschaften in Belgrad in schärfster Form". Mit ungewöhnlicher Schärfe reagierte das Weiße Haus auf die Ereignisse in Belgrad. "Unsere Botschaft wurde von Verbrechern angegriffen", sagte Sprecherin Dana Perino.

"Wie bei Milosevic"

Haben die serbischen Polizisten zu spät eingegriffen?
Haben die serbischen Polizisten zu spät eingegriffen?Bild: AP

Die Bundesregierung forderte die serbische Regierung ultimativ auf, die ausländischen Botschaften in Belgrad besser vor Ausschreitungen zu schützen. Bei den Ausschreitungen war ein deutscher Sicherheitsbeamter leicht verletzt worden. Unterdessen zeigte sich der Generalsekretär des Europarats, Terry Davis, "schockiert und traurig". Die serbische Regierung hätte dafür sorgen müssen, dass die von ihr organisierte Demonstration nicht außer Kontrolle gerät, kritisierte Davis.

Der kosovarische Ministerpräsident Hashim Thaci ging in seiner Kritik noch weiter: Er zog eine Parallele zwischen der jüngsten Welle der Gewalt in Belgrad und der Ära des früheren serbischen Präsidenten Slobodan Milosevic. In seinem ersten Interview seit Ausrufung der Unabhängigkeit bezeichnete der Regierungschef am Freitag die Bilder von dem Überfall auf die US-Botschaft in Belgrad als schrecklich. Sie erinnerten an die Vergangenheit.

Trägt der Westen eine Mitschuld an der Gewalt?

Im Gegenzug warf der russische NATO-Botschafter Dmitri Rogosin den Kosovaren vor, sie ließen sich ihre Unabhängigkeitsbewegung von der Drogenmafia finanzieren. Angesichts der Unabhängigkeitsbestrebungen im eigenen Land - allen voran die abtrünnige Republik Tschetschenien - will Russland die Unabhängigkeit der ehemaligen serbischen Provinz nicht anerkennen. Rogosin droht gar mit "roher militärischer Gewalt", um Russland international Respekt zu verschaffen. Einen Krieg zwischen Russland und der NATO über das Kosovo schloss Rogosin aber aus.

Mit der Unterstützung der Unabhängigkeit habe der Westen nichtsdestotrotz "einen strategischen Fehler, ähnlich der Invasion im Irak" gemacht. Der russische Außenamtssprecher Michail Kaminin ging noch einen Schritt weiter und gab dem Westen eine Mitschuld an der Gewalt. Die Länder, die die Unabhängigkeitbestrebungen des Kosovo unterstützten und es als eigenständigen Staat anerkannten, hätten "mit den Konsequenzen eines solchen Schrittes" rechnen können.

"Elite" der EU erkennt das Kosovo an

Nach der einseitigen Ausrufung der Unabhängigkeit am vergangenen Sonntag haben mehr als zwölf Staaten das Kosovo als eigenen Staat anerkannt, darunter die USA und Deutschland. Auch die polnische Regierung will trotz Bedenken des Präsidenten Lech Kaczynski das Kosovo voraussichtlich am Dienstag als eigenständigen Staat anerkennen. Regierungschef Donald Tusk betonte, dass die wichtigsten Verbündeten Polens, darunter die USA und die "Elite" der EU, diese Entscheidung bereits getroffen haben.

Unterdessen kam es am Freitag erneut zu Ausschreitungen: Bei Demonstrationen in Kosovska Mitrovica im Norden des Kosovos schleuderten Serben aus Protest gegen die Unabhängigkeit der Provinz Steine und leere Flaschen auf UN-Polizisten. Berichte über Verletzte lagen nicht vor. (ag)