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Intelligent Wohnen

Jess Smee
15. Oktober 2017

Die Digitalisierung befeuert die deutsche Energiewende - weg von Atomkraft, hin zu erneuerbaren Energien. Häuser erzeugen selbst Strom, intelligente Netze und saubere Energiespeicher machen die Deutschen noch grüner.

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Das energieeffiziente Haus Effizienzhaus Plus mit Elektromobilität in Berlin, davor steht ein Baum
Bild: Schwarz/BMVBS

Auf den ersten Blick sieht es aus, als sei eine schwarz schimmernde Raumstation mitten in Berlin gelandet. Der schwarze Würfel inmitten historischer Häuser und Nachkriegsbauten ist aber alles andere als intergalaktisch. Er weist stattdessen geradewegs in eine sehr irdische Zukunft, denn das Objekt ist vom Flur bis zu den Deckenfenstern vollgestopft mit Hightech.

Dieser Prototyp eines intelligenten Hauses soll Deutschland auf den Weg in eine energieeffiziente, saubere Zukunft bringen.

Gut getarnte Solarpaneele an Dach und Wänden sorgen dafür, dass die Bewohner und ihre grünen Transportmittel immer über genügend erneuerbare Energien verfügen. In der Nähe des Eingangs können Elektroautos oder Elektrofahrräder geparkt und über berührungslose Ladestreifen aufgeladen werden, ganz ohne Stecker und Kabel.

"Das ist eine Art Mini-Kraftwerk", sagt Nikolas Klostermann-Rohleder. Der Experte des "Zentrums für Energie, Bauen, Architektur und Umwelt" in Hamburg hat an F87, so die offizielle Bezeichnung des intelligenten Hauses, mitgearbeitet.

Intelligent bedeutet in dem Fall, dass dieses Gebäude in der Lage ist, nicht nur seine eigene Energie zu produzieren. Es nutzt auch Wi-Fi oder Bluetooth, um Temperatur, Licht und andere Anwendungen zu steuern.

Die Energiewende in Deutschland soll mit Hightech-Projekten wie diesem neu belebt werden. Schließlich hat sich das Land verpflichtet, bis 2050 mindestens 80 Prozent seiner Energie aus sauberen Quellen zu beziehen.

Infografik Strommix in Deutschland 2016

Kleine Ideen mit großer Wirkung

Zurzeit erzeugt Europas größte Volkswirtschaft rund 35 Prozent der Energie aus erneuerbaren Quellen, am Wochenende, wenn die Nachfrage durch Firmen nachlässt, steigt dieser Wert. Windkraft, Biomasse und Sonnenenergie boomen dank üppiger staatlicher Unterstützung – momentan mehr als 20 Milliarden Euro im Jahr (auch wenn aktuelle Reformen den Ausbau von Windenergie einschränken). Am Ende geht es aber um mehr als Geld.

Lesen: "Klimaziele mit neuem EEG nicht erreichbar"

Nach wie vor ist Deutschland von der Atomkraft abhängig, aus der es über die nächsten fünf Jahre stufenweise aussteigen will. Auch der notorische Umweltverschmutzer Braunkohle macht immer noch ein Viertel des gesamten Energiemix' aus.

Selbst wenn der Anteil der erneuerbaren Energien schnell steigt, die gesamte Wirtschaft kann mit ihnen noch nicht versorgt werden. Außerdem werden fossile Brennstoffe und Atomkraft als Reserve für den Fall genutzt, dass Sonne und Wind nicht zuverlässig genug Energie liefern. Hier docken dann Innovationen wie bei F87 an.

Das Haus ist mit einer großzügigen Stromspeichereinheit ausgestattet, die aus benutzten Batterien von Elektroautos hergestellt wurde. Die Bewohner haben auch dann hausgemachte saubere Energie, wenn die Sonne nicht scheint.

F87 hat diese Aufgabe überzeugend gemeistert. Während eines Jahres, in dem eine vierköpfige Familie testweise hinter den gut isolierten Wänden lebte, erzeugte das Haus mehr Energie als benötigt. Ins Netz gespeist war der Überschuss gut 1600 Euro wert.

Ein Elektroauto lädt an der Außenseite des energieeffizienten Hauses Effizienzhaus Plus mit Elektromobilität in Berlin
Elektroautos, die über Funk aufgeladen werden, brauchen kein Kabel oder SteckerBild: Schwarz/BMVBS

Trendwende

Auch wenn F87 ein Prototyp ist, "ist es nicht länger einfach ein Modellprojekt", sagt Klostermann-Rohleder. Intelligente Anwendungen, die hier getestet wurden, sind mittlerweile deutschlandweit in mehr als 30 neuen Häusern eingebaut.

Björn Grindberg vom "Climate-KIC", einem in Berlin ansässigen öffentlich-privaten Netzwerk, das den Weg in eine kohlenstoffarme Zukunft forciert, beschreibt die Erfolgsgeschichte der Energiewende als "bunte Mischung". Aber es sind vor allem technische Innovationen, die eine Trendwende herbeigeführt haben, und die die Art und Weise verändern, wie wir in Zukunft Energie nutzen.

"Früher waren solche Innovationen eher schlecht designte Spielereien für eingefleischte Technikfans, aber heute werden die Anwendungen aus dem intelligenten Haus immer gebräuchlicher", sagt Grindberg.

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Das bestätigen auch Umfragen. Laut einer Erhebung der "Gesellschaft für Konsumforschung" (GfK) gefällt immerhin 72 Prozent der Befragten die Idee vom intelligenten Haus, 51 Prozent sind besonders an intelligenten Lösungen für Strom und Licht interessiert.

Intelligente Netze

Unter den Unternehmen, die mit der traditionellen Stromerzeugung nichts mehr am Hut haben, befindet sich die Münchener Firma "Tado". Sie stellt intelligente Thermostate her und Anwendungen, mit denen Nutzer über ihr Smartphone aus der Ferne die Klimaanlage bedienen und damit drastisch ihren Energieverbrauch senken können.

Andere Firmen bieten Speichersysteme für erneuerbare Energien an. Und immer häufiger können Verbraucher auf intelligente Netze aufsatteln, die mit Hilfe der digitalen Kommunikation Angebot und Nachfrage in bisher ungekannter Weise ausbalancieren.

Aus zwei Schloten eines Kernkraftwerks in Deutschland steigt Wasserdampf
Seit sich Deutschland von Atomkraft und fossilen Brennstoffen verabschiedet hat, wird die Stromproduktion dezentralisiertBild: picture-alliance/dpa

Praktisch heißt das, dass intelligente Messgeräte an Waschmaschinen, Kühlschränken oder auch Fabrikmaschinen an ein Netz angeschlossen und so programmiert werden können, dass sie Energie verbrauchen, wenn sie am billigsten ist. Etwa dann, wenn gerade die Sonne scheint oder der Wind bläst. Deshalb sehen Experten in intelligenten Netzen den Wegbereiter, um das Potential der zeitweise stark schwankenden erneuerbaren Energien voll auszunutzen. Sie stellen die Nachfrage auf das Angebot ein und nicht umgekehrt.

"Die Verbreitung von intelligenten Messgeräten und intelligenten Energiemanagementsystemen kann die Energiewende in Deutschland beschleunigen", sagt Andreas Krämer, Gründer und ehemaliger Direktor des Berliner "Ecologic Institut" der DW.

Energieautonomie

In dieser Revolution spielt "Sonnen", ein Anbieter von Energiespeichersystemen, eine führende Rolle. Gegründet wurde das Unternehmen 2010 in Wildpoldsried, einem bayerischen Dorf, das sich mittlerweile komplett durch erneuerbare Energien versorgt. Für die "Financial Times" ist "Sonnen" unter den 1000 am schnellsten wachsenden Unternehmen in Europa.

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Es hat intelligente Netze entwickelt, die Verbraucher zu Communities zusammenschließt. Die können in einem Teil des Landes Zugang zu günstiger Energie erhalten, die irgendwo anders produziert wurde, regionale Wetterbedingungen spielen keine Rolle. „Ihr Einstieg in die Unabhängigkeit" - mit diesem Werbespruch hat die Firma viele Kunden angezogen, die auf Energie-Selbstversorgung setzen.

Das bayerische Dorf Wildpoldsried, das ausschließlich erneuerbare Energien nutzt
Wildpoldsried in Süddeutschland nutzt ausschließlich Erneuerbare Energien und ist Standort der Firma Sonnen, die Solarstromspeicher herstelltBild: public domain/R.Mayer

"Die erste Phase der Energiewende in den frühen 2000er Jahren basierte auf Hardware. Aber die nächsten Schritte können nicht ohne intelligente IT-Technologie gemacht werden", sagt Vertriebs- und Marketingchef Philipp Schröder, der sich dabei auf die Entscheidung Deutschlands bezieht, Kohle und Atomkraft zu entsagen.

"Wir glauben, dass die Energie der Zukunft so aussehen wird, wie in unserer sonnenCommunity: Ein virtuelles Netzwerk, das aus Tausenden und später Millionen von dezentralisierten Energieerzeugern besteht, aus sogenannten Prosumern – jenen also, die sowohl produzieren als auch konsumieren, aus Speichereinheiten und aus Verbrauchern."

Thomas Klaas, der mit seiner Frau in einem roten Holzhaus im ruhigen Dorf Leegebruch nördlich von Berlin lebt, ist einer von ihnen. Er hat 52 Solarpaneele auf seinem Dach und diese kürzlich mit drei Batterien von "Sonnen" aufgerüstet, die er in einem Schrank gestapelt hat.

"Es fühlt sich gut an, autonom zu sein", sagt er und fügt hinzu, dass die Entscheidung dafür sich ausgezahlt hat, als früher im Jahr schwere Regengüsse in der Region zu einem Stromausfall führten. "Nachbarn kamen vorbei, um zu gucken, ob wir auch Stromausfall hatten. Es stellte sich heraus, wir waren die einzigen, die Licht hatten".

Dieser Beitrag ist Teil des Projekts "Die Lösungen liegen in Deutschland". Darin stellen "Global Ideas" der Deutschen Welle und das konstruktive Online-Medium "Perspective Daily" in 3 Etappen im Vorfeld der 23. Klimakonferenz im November 2017 in Bonn gemeinsam Lösungen zur Bewältigung des Klimawandels vor. Etappe 1 von "Perspective Daily" findet sich hier: Wärmewende in Deutschland.