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Integrationsbeauftragte: "Abenteuerliche Vorstellungen"

Stephanie Höppner 14. Mai 2014

Noch immer haben Jugendliche mit Zuwanderungsgeschichte schlechtere Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Integrationsbeauftragte Aydan Özoğuz hofft auf den Abbau von Vorbehalten - und ein Ende übertriebener Bildungsmaßnahmen.

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Staatsministerin für Migration und Flüchtlinge Aydan Özoguz. (Foto:dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Deutsche Welle: Jugendliche mit Migrationshintergrund haben schlechtere Chancen auf dem Ausbildungsmarkt als Jugendliche ohne Migrationshintergrund. Lässt sich der Unterschied in Zahlen fassen?

Aydan Özoğuz: Wir haben neue Studien, die belegen können, dass jemand mit einem fremd klingenden Namen nahezu doppelt so viele Bewerbungen schreiben muss, wie derjenige, der einen deutsch klingenden Namen hat. Das sind Dinge, die uns sehr alarmieren. Wir müssen nun die Mechanismen herausfinden, die zum Aussortieren führen. In dem Versuch hatten wir junge Leute, die richtig gute Zeugnisse vorweisen konnten. Dennoch: Allein ein Name oder der Stadtteil, in dem man wohnt, kann darüber entscheiden, ob jemand überhaupt eine Ausbildungsstelle bekommt. Das finden wir nicht zukunftsfähig.

Welche Mechanismen vermuten Sie denn hinter dem Aussortieren?

Unternehmer sagen uns zum Beispiel, dass sie mitunter bei einem türkischen oder arabischen Namen das Gefühl haben - das muss jetzt irgendwie schwierig werden; die sind bestimmt ganz anders. Wir haben aber auch Unternehmer, und das finde ich sehr positiv, die sich darüber bewusst sind und die selbst zugeben, schon fast abenteuerliche Vorstellungen zu haben. Offensichtlich haben wir gewisse Strukturen im Kopf, die im Laufe der Jahre entstanden sind, die wir jetzt nach und nach versuchen abzubauen. Das zweite Punkt ist: Wir haben ein Rekordtief in der Ausbildung insgesamt. Wir müssen die Unternehmer überhaupt wieder dafür gewinnen, dass sie mehr ausbilden.

Gibt es Zahlen darüber, wie viele Jugendliche mit Migrationshintergrund die Hochschulreife erreichen, in ein Ausbildungsverhältnis gelangen oder aber ohne Abschluss die Schule verlassen?

Man kann grob sagen, dass es überall einen sehr positiven Trend gibt. Zwar sind diejenigen, die eine Zuwanderungsgeschichte haben, noch überproportional bei denjenigen vertreten, die keine Abschlüsse haben. Aber der Trend geht eindeutig dahin, dass mehr und bessere Abschlüsse gemacht werden. Die Hauptschulabschlusszahlen gehen eklatant zurück, es wird immer häufiger der Realschulabschluss oder das Abitur gemacht. Aber wir merken: Wir haben noch viel zu tun, weil es auch neue Zuwanderung in unser Land gibt. Viele Flüchtlinge haben bereits eine Ausbildung gemacht. Und nun gilt es, diese Abschlüsse hier abprüfen zu lassen und auch Nachbildungen zu ermöglichen.

Welche Verantwortung trägt das Schulsystem. Ist das dreigliedrige Schulsystem nicht durchlässig genug?

Wir haben in Deutschland ganz unterschiedliche Schulsysteme. Das dreigliedrige System ist zum Beispiel in Hamburg, wo ich lebe, abgeschafft. Wir wissen, dass häufig - wenn wir von "dreigliedrig" sprechen - überhaupt nicht dreigliedrig gemeint ist: Wir hatten teilweise fünf- bis siebengliedrige Schulsysteme, wenn wir die Förderschulen mitzählen, wo häufig Kinder, die nicht sofort sehr gut Deutsch lesen oder sprechen konnten, hingeschickt wurden. Dieses Aussortieren hat sicherlich nicht dazu beigetragen, junge Menschen stärker zu motivieren und ihre Leistungen zu verbessern. Aber gleichzeitig muss man natürlich auch sagen, dass wir eben mehr Förderung für junge Menschen brauchen - und das betrifft nicht nur die, deren Eltern aus einem anderen Land gekommen sind. Wir haben auch deutsche Kinder, die nicht genug Deutsch sprechen können. Wir haben einen allgemeinen Trend, der uns aufmerksam machen muss und wo wir in den Schulen besondere Förderung brauchen.

Welche Gründe könnten auch bei den Familien oder bei den Jugendlichen selber liegen?

Individuell gibt es natürlich auch immer wieder Gründe, die beispielsweise bei den Eltern liegen. Es gibt auch unter Eltern, die zugewandert sind welche, die sich nicht um die Ausbildung kümmern. Aber grundsätzlich lässt sich sagen, dass gerade bei denjenigen, die zum Beispiel vor Krieg geflohen sind, die Motivation hier anzukommen und die Kinder auch weiterkommen zu lassen, extrem hoch ist. Aber nicht immer schaffen das die Eltern - denn unser System ist wahnsinnig kompliziert. Nicht jeder kann dieses Schulsystem ohne Weiteres verstehen. Deswegen ist es auch eine meiner Aufgaben, in Zukunft den Ämtern und Ausländerbehörden noch mehr Hilfe zukommen zu lassen, um diejenigen, die in unser Land kommen, noch viel schneller auf das System einzustimmen und ihnen Tipps und Empfehlungen zu geben.

Wie lassen sich die Ausbildungschancen von Jugendlichen mit Migrationshintergrund verbessern?

Wir müssen schauen, dass wir die Ausbildungssituation verbessern. Das heißt auch, dass wir junge Menschen nicht zum Teil jahrelang in Maßnahmen schicken, aus denen sie gar nicht mehr herauskommen. Das wird auch das Thema unserer heutigen Fachkonferenz sein - der Bundeskonferenz aller Integrationsbeauftragten aus Bund, Ländern und Kommunen. Wie sorgen wir dafür, dass die Zeiten kürzer werden? Und dass auch junge Menschen, die eine Ausbildung machen wollen, nicht warten müssen, bis überhaupt ihr Asyl anerkannt ist oder die Eltern alle Papiere vorgelegt haben, sondern dass wir jedes Kind sofort in unser Bildungssystem integrieren.

Aydan Özoğuz ist Beauftragte der Bundesregierungfür Migration, Flüchtlinge und Integration.

Das Interview führte Stephanie Höppner