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Nähkurs für Flüchtlinge

Natalie Muller, Ruth Krause (asb)30. März 2016

Können Nadel und Faden dabei helfen, Flüchtlinge in Deutschland zu integrieren? Ja, sagen zwei Modedesignerinnen - und haben einen Nähkurs für Flüchtlinge ins Leben gerufen.

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Ramadan in Deutschland muslimische Näherin mit Kopftuch Leipzig
Bild: picture-alliance/Robert B. Fishman

In einer kleinen Werkstatt in Bornheim, einem Stadtteil von Frankfurt am Main, reihen sich Regale aneinander, vollgepackt mit gefalteten Stoffen. In den Ecken stehen große, bunte Stoffrollen. Esra, die hier eine Ausbildung zur Schneiderin macht, lehnt über einem Tisch in der Mitte des Raums. Mit Hilfe eines Musters schneidet sie vorsichtig ein helles, limettengrünes Stofftuch aus. Daraus soll eine Bluse werden.

Esra ist eine von über einer Millionen Flüchtlinge, die 2015 nach Deutschland gekommen sind. Die meisten flohen aus Syrien, Irak und Afghanistan. Nachdem sie die lange, beschwerliche Reise überstanden haben, steht die nächste Herausforderung an: Integration. In fast allen Fällen bedeutet das, die Sprache zu lernen und einen Job oder Ausbildungsplatz zu finden.

Bevor ihre Familie vor dem Bürgerkrieg in Syrien geflohen ist, hat Esra in Damaskus Modedesign studiert. Sie würde ihr Studium in Deutschland gerne fortsetzen, erzählt sie. Doch dazu muss sie erst ihre Sprachkenntnisse verbessern. Und während sie Deutsch paukt, hat sie die Möglichkeit praktische Näherfahrung zu sammeln – bei ihrem ersten Job in Deutschland.

Faden Nadel & Nähmaschine
Flüchtlinge integrieren - Stich für Stich und Schritt für SchrittBild: picture-alliance/dpa

Was können wir tun?

Das Projekt "Stitch by Stitch" (Stich für Stich) wurde von der Schneiderin Claudia Frick und der Grafikdesignerin Nici von Alvensleben in Leben gerufen. Sie haben die Hoffnung, dass sie Flüchtlingen dabei helfen können, sich an das Leben, die Kultur und die Arbeitswelt in Deutschland zu gewöhnen.

"Wir haben uns gefragt: Was können wir tun? Nicht, was kann Angela Merkel tun, um zu helfen, oder was können andere Menschen tun? Nein, was können wir tun?", erklärt Claudia Frick. Ihr Traum ist es, dass viele der Schneiderinnen in ein paar Jahren ihre eigene Schneiderwerkstatt aufmachen.

Für Esra war es bereits ein großer Schritt, überhaupt einen Job in Deutschland zu bekommen. Gründerin Nici von Alvensleben erinnert sich noch genau an den Moment, als sie Esras Familie zum ersten Mal kennenlernte und sich entschloss, Esra mit an Bord zu holen. "Ihr Vater saß uns gegenüber. Er holte sein Handy raus und machte ein Foto. Er war so stolz und ich habe realisiert, dass dieses Foto wahrscheinlich an Freunde, Nachbarn und Menschen aus seinem Heimatland geschickt werden wird, mit der Botschaft: 'Schaut, meine jüngste Tochter ist die erste, die einen Job in Deutschland bekommen hat'. Es hat sich angefühlt, als bewirken wir wirklich etwas".

Hindernisse überwinden

Es gibt aber auch jede Menge Herausforderungen, für die sich die beiden Unternehmerinnen wappnen müssen. Ihr Erfahrungsschatz ist zwar groß, schließlich leiten sie seit mehr als zehn Jahren ihr eigenes Unternehmen. Doch die Gründung von "Stitch by Stitch" bringt ganz neue Probleme mit sich. Nicht zuletzt der tägliche Kampf mit den Ämtern. Das ist neu für uns, berichtet von Alvensleben.

"Ich glaube, die größte Herausforderung für uns ist es, mit der Ausländerbehörde zusammenzuarbeiten. Es braucht nur eine Behörde oder eine Person, die das Projekt nicht unterstützt und alles fällt in sich zusammen".

Deutschland Berlin Flüchtlinge und Arbeitsmarkt Jobbörse im Berliner Hotel Estrel
Viele Flüchtlinge versuchen sofort nach ihrer Ankunft einen Job in Deutschland zu findenBild: DW/H. Kiesel

Dazu kommt, dass viele der Flüchtlinge traumatisiert sind von den Erfahrungen, die sie auf dem Weg nach Europa gemacht haben. Doch genau das haben Frick und von Alvensleben von Anfang an berücksichtigt. Während der Gründungsphase von "Stitch by Stitch" haben sie deshalb Trauma-Experten zu Rate gezogen. Denn sie wollen die Werkstatt in einen positiven Ort verwandeln, an dem die Nachwuchs-Schneiderinnen sich ganz auf ihre Fertigkeiten konzentrieren können. "Nach den schrecklichen Erfahrungen ist es fast beruhigend mit bunten Farben und schönem Material zu arbeiten. Das baut auf und am Ende des Tages hat man etwas kreiert", so von Alvensleben.

Positives Feedback

Das Projekt soll den Flüchtlingen zu Gute kommen, aber langfristig auch profitabel sein. Das Ziel ist daher, Designs für kleine deutsche Modellabels zu produzieren. Bisher ist die Resonanz fast ausschließlich positiv. Lokale Modefirmen hätten bereits Interesse bekundet und Aufträge in Aussicht gestellt, da sie gerne mit Flüchtlingen zusammenarbeiten wollen, erzähle die beiden Gründerinnen.

Bisher ist Esra die einzige Schneiderin, die bei "Stitch by Stitch" arbeitet. Doch bis Ende des Jahres wollen Frick und von Alvensleben fünf weitere Schneiderinnen einstellen. Und wenn alles läuft wie geplant, will das "Stitch by Stitch" Team schon bald in eine größere Arbeitswerkstatt umziehen und seine Ideen irgendwann auch in andere deutsche Städte bringen.