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Umstritten - Sterbehelfer in Deutschland

Wolfgang Dick24. Januar 2014

Die schwer kranke Ingrid hat darum gebeten, sie von unterträglichen Leiden zu erlösen. Ein Arzt soll ihr beim Sterben helfen. Für ihn ist das eine rechtliche Gratwanderung.

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Sterbehelfer Uwe Christian Arnold im Gespräch mit Ingrid Sander, die seine Sterbehilfe erbittet.
Bild: DW/W. Dick

Die Umarmung fällt lange und herzlich aus. Sterbehelfer Uwe-Christian Arnold und Ingrid Sander treffen sich wieder einmal, um über den Tod zu sprechen. Ingrid Sander ist als Fünfjährige an Kinderlähmung erkrankt. Bis heute leidet sie an stechenden Schmerzen, die sie mit schweren Medikamenten unterdrückt. "Es ist die Hölle, und jetzt hilft nicht einmal mehr das Morphin", erzählt die 75 Jährige. Sie sitzt im Rollstuhl. Schon lange hat sie für sich einen Entschluss gefasst, den auch ihre Kinder akzeptieren: "Wenn es gar nicht mehr zu ertragen ist, möchte ich selbstbestimmt sterben."

Helfen soll ihr dabei der Arzt und Arbeitsmediziner Uwe-Christian Arnold. Er ist ein Reisender in Sachen Sterbebegleitung. Auf Wunsch unheilbar Kranker steht er Menschen bei ihrem letzten Weg zur Seite. "Ein Arzt hat die Regeln der Menschlichkeit zu beachten", sagt Arnold. Er habe oft miterleben müssen, erzählt er, wie unheilbar kranke Menschen lange Jahre qualvoll leiden. Unmenschlich findet er das. Ein Arzt müsse Leid in solchen Fällen auf unterschiedliche Weise lindern dürfen. Als Ingrid Sander von Arnold erfuhr, nahm sie sofort Kontakt zu ihm auf. Sie bat ihn um Unterstützung. Sterbehelfer Arnold versprach zu helfen.

Keine leichtfertige Hilfe

Doch zunächst führen beide viele intensive Gespräche. Uwe-Christian Arnold prüft bei allen Sterbewilligen erst einmal ihre gesamte Situation: Welche Aussichten auf Heilung gibt es? Wie steht es um die Motivation und Entschlossenheit des kranken Menschen? Strenge Maßstäbe gelten. "Für so genannten 'Bilanzsuizid' von jenen, die einfach nur genug haben vom Leben, stehe ich nicht zur Verfügung", stellt er klar, "das lehne ich ab".

Sterbehelfer Uwe Christian Arnold Foto: DW
Uwe-Christian Arnold: "Sterbehilfe ist immer der letzte Schritt"Bild: DW/W. Dick

Menschen mit Depressionen müsse er alternative Hilfen aufzeigen. "Die brauchen Mut zum Leben!" Arnolds intensive Auseinandersetzung mit dem "letzten Schritt" hat Ingrid Sander sehr beeindruckt. "Er ist mein Retter in der Not, er gibt mir Kraft und hat mich nach Jahren sogar wieder zum Lachen gebracht“, freut sie sich. Er habe ihr geholfen, nichts zu überstürzen und sich ganz sicher zu sein, den "Notausgang" zu wählen, wenn sie es möchte.


Niemals Routine

In der Patientenverfügung von Ingrid Sander ist jetzt alles schriftlich festgehalten.
Sterbehelfer Arnold wird - an einem von Ingrid Sander bestimmten Tag - veranlassen, dass die nötigen Medikamente besorgt werden. Er wird sie in der richtigen Dosis zusammenstellen. Mehr nicht. Den Todescocktail würde Ingrid dann selbstständig einnehmen. "Das muss der Patient auf jeden Fall selbst tun", betont Arnold. Denn so gilt sein Handeln als "Beihilfe zur Selbsttötung" und verstößt nicht gegen deutsche Gesetze.

Doch die Aktion teilt die Gesellschaft in zwei Lager - in Befürworter und heftige Gegner. Arnold hat es am eigenen Leib erlebt. Jemand zeigte ihn bei der für ihn zuständigen Ärztekammer Berlin an, vergeblich. Konservative Regierungspolitiker in Deutschland fordern eine Debatte über Sterbehilfe im Bundestag. Ihr Ziel: möglichst bald jede Form von organisierter Sterbehilfe per Gesetz zu verbieten. "Das wäre ein Schritt zurück ins Mittelalter", glaubt Sterbehelfer Arnold.

Er verweist auf Umfragen. Danach begrüßen zwei Drittel der Bundesbürger "Tötung auf Verlangen" bei schwerer Erkrankung. Gut ein Drittel der Ärzte in Deutschland wäre bereit, "offener mit der Frage umzugehen". Öffnet das einem Missbrauch der Sterbehilfe Tür und Tor? "Wir haben eine gute Verfassung, die Fehlentwicklungen verhindert", ist Arnold sicher. Sorgen bereitet ihm der starke Einfluss der Kirchen auf die Politik. Er sieht darin einen Widerspruch zu einem säkularen Staat.

Wenn es soweit ist
Ingrid Sander versteht die Kritik an Sterbehelfern wie Arnold nicht. "Von den Politikern hat keiner eine Ahnung, wie es mir tatsächlich geht." Sie fühle sich in guten Händen, nimmt Arnold in Schutz und spricht von einem "menschlichen Akt", der sich nicht nur auf den tödlichen Medikamentenmix konzentriere. Arnold und seine Frau hätten ihr in den Wochen ihres Kontakts viel geholfen. Zuletzt besorgten sie ihr eine warme Daunendecke, die sie sich nicht hätte leisten können. "Es gibt einfach solche Menschen, und die sind für die Gesellschaft wichtig."

Was am Tag X geschieht? Sterbehelfer Arnold weiß, wie es sein könnte: "Es gab schon kleine Partys" , erzählt er, "wo alle Verwandten nach einem gemeinsamen Essen sich von der Sterbenden liebevoll verabschiedet und noch einmal Wärme und Nähe gespendet haben." So stellt es sich auch Ingrid Sander vor. So soll es auch bei ihr sein.

Portrait Ingrid Sander Foto: DW
Ich will es selbst tun - Ingrid SanderBild: DW/W. Dick
Sterbehelfer Uwe Christian Arnold Foto: DW
Die Richtige Dosis ist bei den Medikamenten wichtigBild: DW/W. Dick