1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

"Infektionskrankheiten sind sehr häufig"

Christoph Ricking13. August 2015

Steigende Flüchtlingszahlen sind auch für Ärzte eine große Herausforderung. Besonders bei der Behandlung von Kindern kann es zu Schwierigkeiten kommen, erklärt Kinder- und Jugendarzt Eckard Hamelmann.

https://p.dw.com/p/1GF34
Arzt untersucht Flüchtlingskind in Passau (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa/A. Weigel

Deutsche Welle: Welche Herausforderungen gibt es bei der Behandlung von Kindern aus Flüchtlingsfamilien?

Eckard Hamelmann: Die erste große Herausforderung ist die Verständigung. Das gelingt oft gar nicht oder nur mit Hilfe von Dolmetschern. Das ist ein großes Problem, wenn man herausfinden will, warum diese Familie oder diese Kinder den Arzt aufsuchen. Die Anamnese ist sehr schwierig, die Beschreibung von Problemen ist sehr schwierig. Die zweite Herausforderung ist, dass bei Kindern von Flüchtlingen häufig andere Erkrankungen auftauchen, als wir es hier gewohnt sind. Das heißt, dass neue Krankheitsbilder oder bereits vergessene Krankheitsbilder hier wieder vermehrt zu sehen sind.

Was sind das für Krankeiten?

Vor allem infektiöse Erkrankungen sind da sehr häufig, so wie wir sie früher auch in Deutschland hatten. Klassische Kinderkrankheiten, wie Masern und Mumps, findet man häufiger, weil der Impfstatus oft nicht komplett ist. Man findet auch exotischere Krankheiten, also parasitäre Erkrankungen mit Würmern zum Beispiel. Aber auch Tuberkulose, die ja bei uns mehr oder weniger ausgestorben ist, wird man bei diesen Kindern verstärkt diagnostizieren können.

Welche psychische Probleme bringen diese Kinder mit, die ja Krieg und Gewalt oft hautnah miterlebt haben?

Da sehen wir sehr traurige Fälle. Wir haben junge Mädchen, die vergewaltigt wurden und bereits Kinder abgetrieben haben. Sie sind psychisch natürlich dementsprechend beeinträchtigt. Die Familien tragen nicht nur körperliche Krankheiten mit sich, es sind die typischen Flüchtlingsschicksale dabei, wo sehr starke psychische Beeinträchtigungen aufgrund der Erlebnisse stattfinden.

Die Flüchtlinge bringen keine Versicherungen mit. Wer bezahlt die Ärzte, die Flüchtlinge und ihre Kinder behandeln?

Für die Klinik gilt, dass diese Patienten, wenn sie denn hier gemeldet wurden, auch versichert sind. Das übernimmt in diesem Fall die Bezirksregierung. Sie sind also versichert, so dass wir für die reguläre Krankenleistung, die wir hier erbringen - ob in der Notfallambulanz oder in der stationären Unterbringung - auch eine entsprechende Vergütung bekommen. Schwieriger ist es bei Patienten, die sich illegal in Deutschland aufhalten. Die sind natürlich nicht versichert.

Mehrleistungen – etwa dolmetschen, höherer Zeitaufwand, das Schaffen von Isolationsmöglichkeiten und so weiter, da kann man nicht erwarten, dass das kompensiert wird.

Prof. Eckard Hamelmann (Foto: Evangelisches Krankenhaus Bielefeld EvKB)
Eckard Hamelmann, Facharzt Kinder- und JugendmedizinBild: EvKB

Wie können Kliniken und Ärzte den Herausforderungen, die die Behandlung von Kindern aus Flüchtlingsfamilien mit sich bringt, umgehen?

Es ist wichtig, dass man die Strukturen aufbaut, um diesen Familien und ihren Kindern möglichst gut und möglichst früh helfen zu können. Das heißt, eigentlich müsste ein Kinderarzt schon bei der Erstaufnahmeeinrichtung anwesend sein, wenn die Vorsorgeuntersuchungen stattfinden. Man müsste entweder einen lückenlosen Impfschutz nachweisen können oder Impfungen anbieten. Es sollte Standard sein, dass wir besonders die Masernimpfung bei Erstkontakt in Deutschland durchführen. Und dann brauchen wir gute Strukturen, damit die Menschen in diesen zentralen Unterbringungseinrichtungen auch zum Arzt gehen können. Da müssen die niedergelassenen Kollegen mit eingebunden werden, denn das können nicht nur die Kliniken leisten.

Es ist wichtig, dass wir das Phänomen der erhöhten Flüchtlingszahlen nicht als etwas Vorübergehendes betrachten. Wir müssen uns wahrscheinlich damit abfinden, dass wir in den nächsten Monaten oder Jahren damit immer mehr konfrontiert werden. Das heißt, wir benötigen gute Strukturen. Wir benötigen so etwas wie einen runden Tisch, wo die niedergelassenen Kollegen, die Klinikärzte, die Bezirksregierungen, die Gesundheitsämter der Kommunen, seelsorgerische Einrichtungen, Kinder- und Jugendpsychatrien zusammenkommen und versuchen, die Prozesse so zu ordnen, dass wir diesen Kindern lückenlos und unbürokratisch helfen können.

Prof. Eckard Hamelmann ist Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin. Der Chefarzt des Evangelischen Krankenhauses Bielefeld leitet die "Bielefelder Pädiatrietage" vom 13. bis 15. August. Im Fokus der Veranstaltung stehen die Herausforderungen der Kindermedizin durch Migration.

Das Interview führte Christoph Ricking.