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Indizien, aber keine schlagenden Beweise

Grahame Lucas 25. September 2002

Die britische Regierung hat - Zufall oder Absicht? - am Dienstag (24.9.) nach der deutschen Bundestagswahl ein Dossier zum Thema Irak veröffentlicht. Grahame Lucas kommentiert.

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Im Wesentlichen beschreibt das Dossier eine Indizien-Kette. Und die Indizien lassen vermuten, dass Saddam Hussein tatsächlich versucht, Massenvernichtungswaffen zu entwickeln, vor allem nach dem Abzug der UN-Waffeninspektoren im Jahre 1998. So wird zum Beispiel dargelegt, wie der Irak angeblich versucht hat, Uran aus Afrika zu beziehen und Produkte zu kaufen, die für Nuklear-Technik genutzt werden könnten. Da der Irak kein ziviles Nuklear-Programm hat, ist die Sorge berechtigt, dass Saddam seine Bemühungen um Kernwaffen insgeheim fortsetzt - zumal irakische Spezialisten aufgefordert wurden, ins Land zurückzukehren. Saddam, heißt es in dem Dossier, könne in ein bis zwei Jahren eine Atombombe bauen.

Auch auf dem Gebiet der chemischen und biologischen Waffen besteht dem Dokument zufolge Grund zur Sorge: Um künftige UN-Inspektionen zu umgehen, sollen die Iraker neue mobile Produktionsstätten eingerichtet haben. Die chemischen und biologischen Waffen, die dort produziert werden, sollen innerhalb von 45 Minuten einsetzbar sein. Wenn dies stimmt, besitzt der Irak - zumindest teilweise - Trägersysteme, um den gesamten Nahen Osten sowie die NATO-Mitglieder Griechenland und die Türkei zu bedrohen.

Das Dossier hat aber eine große Schwäche: Es speist sich vorwiegend aus Informationen westlicher Geheimdienste. Und es liegt in der Natur der Sache, dass sich solche Informationen nicht verifizieren lassen und von den politischen Absichten der britischen Regierung gefärbt sein könnten. Klare Beweise dafür, dass der Irak andere Länder bedroht, erbringt das Dossier nicht. Die Analyse vergangener Repressalien gegen die Kurden und Oppositionellen sowie die Darstellung der Aggressionen gegen Iran und Kuwait geben naturgemäß keine Aufschlüsse über die künftige Intentionen des Regimes.

Vermutlich lagern in den Akten westlicher Geheimdienste ähnliche Studien über die Bedrohung, die von anderen so genannten "Schurkenstaaten" ausgeht - ohne dass bisher eine militärische Intervention politisch gefordert wurde oder gefordert wird. Doch der Fall Irak liegt seit dem 11. September 2001 anders: Aus anglo-amerikanischer Sicht gibt es direkte Verbindungen zwischen dem Irak und El Kaida. Osama bin Laden ist bis heute nicht gefasst und der Erfolgsdruck auf US-Präsident George W. Bush wächst. Die Zerschlagung eines Regimes wie das von Saddam Hussein bietet sich daher insbesondere in Wahlkampfzeiten der US-Regierung an.

Wenn der britische Premierminister Blair gehofft hat, die Veröffentlichung seines 55-seitigen Dossiers würde den Weg für einen einseitigen Präventativkrieg der Briten und Amerikaner gegen den Irak frei machen, hat er nur zum Teil Erfolg gehabt: Die innenpolitische Diskussion in Großbritannien hat er im Augenblick für sich entschieden, doch international dürfte die Angelegenheit nicht so einfach sein. Das Dossier hat eher Ländern wie Frankreich und Russland Argumente geliefert - Ländern also, die im UN-Sicherheitsrat zunächst auf die Umsetzung bisheriger Irak-Resolutionen pochen. Dass das Dokument nun einen gemeinsamen Standpunkt auf internationaler Ebene herbeigeführt hätte, kann man nicht sagen. Aber genau das wäre notwendig. Denn nur wenn alle an einem Strang ziehen, lässt sich das Problem Irak lösen - ob mit oder ohne militärische Gewalt.