1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Angespannte Stimmung

Viktoria Kleber21. Juni 2012

Noch immer ist unbekannt, wer Ägyptens neuer Präsident wird. Für den Fall, dass er nicht Mursi heißt, kündigen die Muslimbrüder eine zweite Revolution an. Der Militärrat fährt unterdessen seinen Sicherheitsapparat auf.

https://p.dw.com/p/15JBu
Ein Unterstüzter von Mohammed Mursi auf dem Tahrir-Platz in Ägypten (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

In einem kleinen Hinterzimmer eines Kairoer Wohnhauses hat Badr Mohammed Said einen Fernseher aufgebaut. Er ist Bawab von Beruf, so etwas wie ein Sicherheitsmann und Hausgehilfe in einem. Said kennt das ganze Haus, er hilft beim Tragen von Einkaufstüten, führt kleine Reparaturen aus und hat die Klimaanlage im Griff. Auf seinem kleinen Fernseher verfolgt er die Fußball-EM, Said ist Deutschlandfan. Doch was ihn noch mehr interessiert, ist der neue ägyptische Präsident; für aktuelle Ereignisse unterbricht er jedes Spiel. "Ich bin besorgt, dass die Ergebnisse noch nicht raus sind", sagt Said. "Das macht die Situation doch nur noch angespannter."

Tote auf den Wahllisten

Eigentlich sollte schon am Donnerstag (21.06.2012) feststehen, wer Ägyptens neuer Präsident wird. Doch Faruk Sultan, der Leiter der Wahlkommission, ließ dann verkünden, dass die offizielle Bekanntgabe der Ergebnisse sich auf unbestimmte Zeit verzögern werde. Vorwürfe von Wahlfälschungen hielten die Kommission noch beschäftigt, hieß es.

Wie schon in den vergangenen Wahlrunden standen Tote auf Wahllisten, manche gleich zweimal. Und auch Soldaten, die in Ägypten eigentlich nicht wählen dürfen, tauchten auf den Listen auf. Zudem wirft das Lager des islamistischen Kandidaten Mohammed Mursi dem Rivalen Ahmed Schafik vor, Wählerstimmen gekauft zu haben. Schafik, der letzte Ministerpräsident des gestürzten Präsidenten Husni Mubarak, beschuldigt Mursi wiederum, rund 1,5 Millionen Wahlzettel vorgedruckt zu haben, so dass der Wähler selbst kein Kreuzchen mehr machen musste. Entzieht die Wahlkommission, die aus alten Mubarak-Getreuen besteht, dem Muslimbruder Mursi diese Stimmen, wäre Schafik Ägyptens neuer Präsident.

Wahlzettel mit Bildern von Mursi und Schafik (Foto: AP)
Auf manchen Wahlzetteln soll das Kreuz bereits im Vorhinein gemacht worden seinBild: dapd

Insgesamt sind es 400 Fälle, die die Kommission nun schon seit Tagen beschäftigen. Bei der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen vor fast einem Monat waren es rund fünf Mal so viele Beschwerden. Dennoch wurden damals die Wahlergebnisse bereits zwei Tage nach Schließung der Wahllokale bekannt gegeben. Mohammed Khalifa von der Muslimbruderschaft ist skeptisch. "Sie wissen doch ganz genau, wer der Gewinner ist. Veröffentlichen wollen sie es trotzdem nicht", sagt er.

Die Muslimbrüder markieren Revier

Für Mohammed Kahlifa steht der Gewinner schon lange fest. Mohammed Mursi erklärte gleich in der ersten Nacht nach Schließung der Wahllokale seinen Sieg: Mit 52 Prozent sei er knapp Sieger geworden, seine Anhänger feiern ihn auf dem Tahrir-Platz (siehe Bild oben). Doch auch Schafik beansprucht den Wahlsieg - mit 51 Prozent. In einem Buch haben die Muslimbrüder sorgfältig ihre Ergebnisse der Präsidentschaftswahl aufgelistet, Wahlkreis für Wahlkreis, Wahllokal für Wahllokal.

Mit ihrer Offensive markieren sie ihr Revier, setzen auf Druck durch Öffentlichkeit. Und wenn die Wahlkommission den Muslimbrüdern dennoch Stimmen aberkennt und der Militärrat Schafik zum Präsidenten ernennt? "Das wäre ein Militärstreich", sagt Mohammed Khalifa. "Das werden wir nicht akzeptieren. Wir gehen dann auf die Straße und machen eine neue Revolution."

Mursi-Anhänger in der Nacht zum Donnerstag auf dem Tahrir-Platz (Foto: AP)
Mursi-Anhänger haben ihren Kandidaten wohl zu früh gefeiertBild: AP

Truppenverlegungen im mehreren Orten

Der Militärrat weiß das. Es scheint, als nehme er sich die Zeit, das Wahlergebnis verspätet bekannt zu geben, um Sicherheitskräfte und Militärfahrzeuge  zu verlegen. Allein in die Stadt Suez östlich von Kairo hat das Innenministerium gestern 3000 zusätzliche Soldaten und Polizisten geschickt, die angeblich Polizeistationen schützen sollen. Auch in anderen Städten berichten Aktivisten von einem erhöhten Sicherheitsaufgebot.

Wahlplakate von Schafik (l.) und Mursi (Foto: AP)
Die beiden Kandidaten bezichtigen sich gegenseitig der WahlfälschungBild: dapd/Montage DW

Zudem sind in der Nacht zum Donnerstag dutzende Militärfahrzeuge auf dem Weg von Kairo nach Alexandria gesichtet worden. Auf Twitter machen Gerüchte die Runde, dass für ganz Ägypten eine Ausgangssperre verhängt wird, sobald die Wahlergebnisse veröffentlicht sind. Damit könnte die Polizei jeden festnehmen, der sich dennoch auf die Straße traut. Es sind Szenen und Szenarien, die an die Revolution vor 16 Monaten erinnern.

Während Ägypten politisch in Aufruhr ist, Demonstranten Abend für Abend, wenn die Hitze erträglich ist, auf dem Tahrir-Platz gegen die Auflösung des Parlaments und die Machteinschränkung des Präsidenten protestieren, ist der ehemalige Herrscher Mubarak angeblich dem Tode nahe. Viele Ägypter sind skeptisch. Auch Badr Mohammed Said, der Hausmeister: "Der Militärrat will uns Ägypter doch nur vom Wesentlichen ablenken."

Ein medizinisches Wunder?

Tatsächlich fällt auf, dass Mubarak immer dann dem Tode nah zu sein scheint, wenn die Lage im Land politisch besonders brenzlig wird, wenn große Entscheidungen anstehen. Allein in den vergangenen drei Wochen ist Mubarak laut seinen Ärzten dreimal fast gestorben. Glaubt man seinem Anwalt, hat Mubaraks Herz in 20 Tagen sieben Mal aufgehört zu schlagen, dazu kommen noch zwei Schlaganfälle. "Ich hoffe, dass meine Ärzte auch so effizient sind, wenn mein Stündchen schlägt", scherzt @SanumGhafoor auf Twitter.

Doch es geht in Ägypten dieser Tage um mehr als um Sein oder Nichtsein des ehemaligen Präsidenten. Es geht darum, ob es dem Militär gelingt, seine Macht zu sichern oder ob sich Muslimbrüder und Revolutionäre erneut vereinen und auf die Straße gehen. Es sind entscheidende Tage.

Und wenn es wirklich eine zweite Revolution gibt? "Dann", sagt der Hausmeister Said. "wird unser Haus wieder verbarrikadiert." Um 42 Wohnparteien muss er sich kümmern und er will auch jeden einzelnen beschützen – so wie vor 16 Monaten. "So Gott will, passiert uns im Hause nichts und so Gott will, wird es dann aber wirklich eine richtige Revolution geben."