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In Zukunft einfach echt

Marcus Bösch10. Juni 2004

Kulturpessimisten hergehört! Gutes Fernsehen ist möglich. So schlicht und schön lautet die Botschaft der internationalen Fernsehkonferenz "input2004". Warum ambitionierten Dokumentarfilmen die Zukunft gehört ...

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Surreale Bahnwärter und singende HundertjährigeBild: Montparnasse Distribution

"Eine schnöde Digitalkamera und eine gute Idee - mehr hatte ich nicht." Der russische Filmemacher Victor Kossakovsky läuft durch Barcelonas brandneues Kongresszentrum und grinst schief. Gerade hat er seinen fertigen Film "Tishe!" (deutscher Titel: Pssst!) in einem der improvisierten Kinosääle gezeigt und sich in der anschließenden Diskussion mit Produzenten und Fernsehschaffenden amüsiert und königlich aufgeregt. Einen Produzenten für seinen Film hatte der Russe mit der Idee ein Jahr lang ab und zu ein bisschen die Straße vor seiner St. Petersburger Wohnung zu filmen im Jahr 2002 nämlich nicht gefunden.

Pssst!

Tishe! Dokumentarfilm von Victor Kossakovsky
Ausschitt aus dem Filmplakat zu Pssst! Tishe! von Viktor Kossakovsky, Verleih R. Richter, Bern.Bild: R.Richter

Jetzt hat es Kossakovsky allen gezeigt. Denn mit "Tishe!" ist etwas ganz einfaches und etwas ganz großes herausgekommen: ein poetischer Blick auf das ganz normale Leben, sonst nichts. Wir sehen mit dem Regisseur aus seinem Fenster, sehen Autos, Hunde, Putzkolonnen und die St. Peterburger Straßenwacht. Wir sehen einen wartenden Liebhaber, ein betrunkenes Paar und merken, dass das wirkliche Leben um einiges spannender, komischer und grotesker sein kann als jeder fiktionale Film. Mit "Tishe!" hat Kossakovsky bereits den Hauptpreis beim letzjährigen Münchner Dokumentarfilmfest gewonnen. Den Weltvertrieb besorgt er nun selbst von seiner Wohnung in St. Petersburg aus.

Andacht, Staunen und Begeisterung

Der schleichenden Verbreitung schnöder Realityformate im Fernsehprogramm setzen die Macher von "input2004" eine exquisite Auswahl ambitionierter Formate aus aller Welt entgegen. In Barcelona dominieren dieses Jahr ganz eindeutig die Dokumentarfilme das einwöchige Filmprogramm. Zu sehen gibt es subjektive Blicke auf die Wirklichkeit. Ob aus Kasachstan, Senegal, Mexiko oder Kanada - die filmischen Ergebnisse sind Dank der kostengünstigen Digitaltechnik beachtlich. Die Folge? Ein selten gewordenes Gefühl des Staunens, der Begeisterung und manchmal gar der Andacht vor dem Bildschirm.

766 Einwohner und eine Straße

La vie comme elle va, Dokumentarfilm von Jean-Henri Meunier
Alte Frau, Filmstill aus dem französichen Dokumentarfilm La vie comme elle va von Jean-Henri MeunierBild: Montparnasse Distribution

Mitunter braucht einer dieser guten Dokumentarfilme auch mal mehr Zeit als ein gut gereifter Käse. Der französische Filmemacher Jean-Henri Meunier hat sich die Zeit genommen und ist für seinen Film "La vie comme elle va" ins französische Hinterland gefahren. In Najac, wo es 766 Einwohner und genau eine Straße gibt, ist er geblieben - fast fünf Jahre lang. 13 Dorfbewohner hat Meunier mit seiner Kamera begleitet. Entstanden ist ein persönliches Portrait sympathisch eigenwilliger Charaktere aus dem menschlichen Mikrokosmos. Mit dabei: Arnaud Barre, der surreal müde Bahnwärter des Dorfes. Hubert Bouyssières, der frisch wiedergewählte 86jährige Bürgermeister. Und die 105 Jahre alte Madame Céline Causse, die in der Küche ihres Sohnes die "Internationale" anstimmt.

Eine andere Fernsehwelt

"Jedes Jahr versuchen wir der Welt zu zeigen, dass es eine Fernsehwelt gibt, die jenseits der üblichen Grenzen von Vermarktung und der gängigen Praxis des öffentlich rechtlichen Fernsehens liegt", erklärt Hansjürgen Rosenbauer, Präsident von "input2004". Und die eingeladenen Filmemacher aus mehr als zwei dutzend Ländern präsentieren in Barcelona eine mögliche Zukunft des Fernsehens. Eine Zukunft, die auf ambitionierte Blicke und auf die Realität setzt. Oder um es mit den Worten von Victor Kossakovsky zu sagen: "Ich filme was ich will und wenn ich Lust dazu habe."