1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

In vino veritas!

Markus Reher9. Mai 2006

Kriege im 21. Jahrhundert würden um Rohstoffe geführt, heißt es immer wieder - zum Beispiel um Wasser. Doch mit einem Krieg um Wein hätten Experten in ihren kühnsten Szenarien wohl nicht gerechnet.

https://p.dw.com/p/8S5i

Moskaus jüngster Feldzug begann Ende März mit einem Importstopp gegen moldawischen und georgischen Wein. Der Most sei mit Pestizid-Rückständen und Schwermetallspuren belastet - bemängelte die Verbraucherschutzbehörde - und damit hochgradig gesundheitsgefährdend.

Im Handstreich räumten die Gesundheitshüter Weinhandlungen und Restaurantkeller. In Supermärkten verwaisten ganze Regalreihen. Bald kamen auch Sekt und Kognak auf den Index. Wein im Wert von rund 700 Millionen Dollar zogen die Russen aus dem Verkehr, die sonst beim Griff zur Flasche weniger zimperlich sind.

Allein im vergangenen Jahr 2005 starben 36.000 Menschen an Alkoholvergiftung. Doch nicht etwa an importiertem Wein, sondern die meisten von ihnen an maßlosem Genuss illegal, also selbst gebrannten Wodkas.

Moldawien und Georgien trifft der Schlag hart. Beide Staaten verlieren für ihre Exportschlager ihren wichtigsten Absatzmarkt.

Erst vergangenes Wochenenden luden die Propaganda-Regimenter vom Gesundheitsamt nach und verboten selbst die populären georgischen Heilwässer. Offiziell ebenfalls wegen gesundheitlicher Bedenken. Dabei hatte das staatlich kontrollierte Fernsehen sie noch am Vorabend in bunten Spots als Wohl für Leib und Seele beworben.

Amüsante Anekdoten am Rande eines abstrusen Handelskrieges. Inzwischen will kaum ein russischer Weinhändler jemals georgischen Wein verkauft haben. Schließlich verstehe man etwas vom Fach und habe schon immer gewusst, dass Wein aus den benachbarten einstigen Sowjetrepubliken nichts tauge.

Nur die Kunden nehmen kein Blatt vor den Mund. Georgischer Wein gilt ihnen weiter als etwas Besonderes. Das sei doch alles Politik, und es geschehe den Moldawiern und Georgien ganz recht mit ihrer "frechen" Politik gegenüber Moskau. Die beiden einstigen Sowjetrepubliken streben in die EU und die NATO. Moskau befürchtet eine Blockade der beiden Ländern bei seinen Beitrittsverhandlungen zur WTO. Außerdem belasten Territorialkonflikte das Verhältnis. Der Kreml unterstützt in beiden Fällen mehrheitlich von Russen bewohnte, abtrünnige Teilrepubliken: Transnistrien in Moldawien, und Südossetien und Abchasien in Georgien.

Auch während des Embargos müssen die Russen also nicht auf Wein und Weinbrand aus der Region verzichten. Während die Flaschen aus Georgien und Moldawien verbannt wurden, sind solche aus Transnistrien und Abchasien weiter überall zu haben.

Und auch das gibt es noch in Moskau, trotz alledem: echten georgischen Wein! Bei einer Getränkemarktkette mit Sonderlizenz und Exklusivimportvertrag. "Gesundheitsgefährdende Zusatzstoffe im Wein?", wundert sich die Verkäuferin. "Wissen Sie, was ich finden will, das finde ich auch! - Wir haben diesen Wein all die Jahre getrunken, und es ist noch niemand daran gestorben."

Der politische Hintergrund dieser Angelegenheit sei offensichtlich, monierte unlängst auch ein russischer Politologe in einer großen Tageszeitung: "Wir vermögen es noch nicht, mit zivilisierten Mitteln politisch einzuwirken. Erinnert sei allein an den Gas-Skandal. Dabei wurde zwar ein begründetes Problem gestellt, realisiert wurde aber alles in der Form einer Erpressung."

Dieser Wahrheit ist wohl nichts hinzuzufügen!