1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Mehr Waffen gegen die Angst in Deutschland

Wolfgang Dick27. Januar 2016

Seit einigen Wochen verzeichnen Waffenverkäufer und Ordnungsämter bei Anträgen auf einen Waffenschein eine stärkere Nachfrage. Auch Selbstverteidigungskurse werden häufiger besucht. Noch kein Problem, sagt die Polizei.

https://p.dw.com/p/1HkQG
Pistole zielt auf Fotoapparat. Copyright: Colourbox
Bild: Colourbox

Am besten soll die Pistole in die Handttasche oder in eine schmale Nachttisch-Schublade passen, berichten Verkäufer in Waffenläden über Kundenwünsche. "Die Leute fühlen sich nicht mehr sicher, denn sonst würden sie hier nicht so viel kaufen", sagt ein Anbieter in Nordrhein-Westfalen. Seit wenigen Wochen verkauft er - wie viele seiner Kollegen - im Schnitt drei Mal so viele Schreckschuss-, Gas- und Signalwaffen wie vor den Übergriffen auf Frauen in der Silvesternacht in Köln, die weltweit für Schlagzeilen sorgten und in weiten Teilen der Bevölkerung Ängste vor Flüchtlingen verstärkt haben. Die seitdem bundesweit erreichten enormen Absatzsteigerungen bestätigt der Verband Deutscher Büchsenmacher und Waffenfachhändler (VDB).

In Deutschland gelten eigentlich sehr strenge Gesetze, die den Erwerb von Waffen nur unter bestimmten, besonderen Bedingungen erlauben, aber mit einem sogenannten "Kleinen Waffenschein" ist der Kauf und Besitz zum Beispiel von Schreckschusspistolen erlaubt. Sie dürfen auch außerhalb des eigenen Hauses mit sich getragen werden. 50 bis 60 Euro kostet ein Antrag auf den kleinen Waffenschein. Begründet werden muss er nicht. Sachkenntnisse wie bei Jagd- und Sportwaffen sind ebenfalls nicht zwingend notwendig. Voraussetzung ist lediglich, dass der Antragsteller volljährig, also älter als 18 Jahre ist.

"Die zuständige Polizeibehörde macht eine umfangreiche Überprüfung ihrer Person und ihres Hintergrundes, und nur, wenn da eine absolut weiße Weste vorhanden ist, bekommen Sie diesen kleinen Waffenschein", klärt der Waffenfachverkäufer eine Kundin auf. Sie gibt offen zu, warum sie gekommen ist. "Ich habe eine 23-jährige Tochter, die studiert in Köln und möchte eigentlich immer gerne Karneval feiern. Jetzt hat sie ein bisschen Angst". Die Behörden, die die Verfahren zum kleinen Waffenschein bearbeiten, verzeichnen eine Verdopplung der Anträge. Die Aufrüstung beginnt meist schon im Netz mit einer Recherche. Felix Beilharz, Social-Media-Experte aus Köln verdeutlicht das Ausmaß der Verunsicherung im Google Trend.

Screenshot von Google Trends Thema Waffen. Copyright: https://www.google.de/trends/explore#q=pistole%20kaufen
Google Trends zeigt die Entwicklung der Suchanfragen zum Thema "Pistole kaufen"Bild: https://www.google.de/trends

Aufrüstung im Netz

"Das ist eine Zunahme von locker tausend oder mehr Prozent, das ist erst seit Januar der Fall," so Beilharz über die Suchanfragen. "Gerade Facebook und Co. haben zu einer Radikalisierung und Panikmache beigetragen, einfach deswegen, weil durch die Algorithmen jeder nur die Beiträge zu sehen bekommt, die seine Meinung noch verstärken. Das kann dann auch zu solchen Panikkäufen von Waffen aller Art führen."

Derzeit profitieren von der Sorge und der Verängstigung vieler Bürger auch die Anbieter von Kursen zur Selbstverteidigung. Viele dieser Angebote sind auf Wochen komplett ausgebucht, was im vergangenen Jahr nicht immer der Fall war.

Einblick in die Gedanken der Waffenkäufer geben auch zahlreiche Videos im Internet. Da steht zum Beispiel ein älterer Herr in seinem Wohnzimmer, nimmt zuerst die Freizügigkeit der USA in Sachen Waffen in Schutz und sagt dann frei heraus: "Die Bewaffnung wird auch in Deutschland notwendig, denn unsere Polizei kann uns vor Einbrechern nicht mehr schützen."

In einem anderen Video gibt ebenfalls ein Mann Tipps zur Selbstverteidigung – mit Waffen. In einem dieser Videos präsentiert er auf dem Tisch drei Pistolen und preist deren Vorzüge und Unterschiede. Mit breitem bayrischen Akzent erklärt er: "Wenn acht oder fünf Schuss den Angreifer nicht stoppen, dann bringen auch keine 15 Schuss etwas. Dann hilft eigentlich nur noch weglaufen." Stolze 175.000 Zugriffe, Tendenz steigend, verzeichnet das Video mit dieser Einsicht.

Schreckschusspistole
Schreckschusswaffen sind von echten, "scharfen Waffen" kaum zu unterscheidenBild: Picture-alliance/dpa/C. Rehder

Die Polizeibehörden sehen der momentanen Entwicklung, dem von vielen Bürgern offen vorgetragenen Misstrauen gegenüber der Staatsgewalt, etwas abwartend gegenüber. Rainer Wendt von der Deutschen Polizeigewerkschaft kommentiert die gestiegenen Waffenkäufe so: "Natürlich macht uns das große Sorgen, denn die Zahlen, die uns gemeldet werden, sie sind schon sensationell." Aber für besonders besorgniserregend hält er sie in der Masse nicht. "Gerade einmal 0,2 Prozent der Bürgerinnen und Bürger in Berlin haben einen kleinen Waffenschein beantragt."

Einschreiten wird die Polizei gegen die Selbstbewaffnung der Bürger zunächst nicht. Rainer Wendt dazu: "Auf keinen Fall. Es ist ja gesetzlich zulässig." Gesetze zu verschärfen, dem erteilt Wendt eine Absage. "Das ist der falsche Weg. Die Leute sind reif genug, um damit umzugehen. Die werden ja aufgeklärt, dann ist das auch nicht besorgniserregend, also kein Alarmismus."

Viele Polizeidirektionen allerdings warnen vor Schreckschusswaffen. Sie sehen oft täuschend echt aus und könnten im Ernstfall Angreifer besonders provozieren und eher zur Eskalation beitragen, als zur eigenen Sicherheit.