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Tempo, Tempo!

Silke Bartlick17. April 2013

Unser Alltag beschleunigt sich immer mehr, die Hektik nimmt zu. Trotz modernster Technik fehlt es uns ständig an Zeit. Warum nur? Das fragt nun eine Ausstellung im Berliner Museum für Kommunikation.

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Bild: Frank Löhmer

1934 wurde in den USA die erste Fernbedienung für Fernseher entwickelt, sie war noch per Kabel mit dem Gerät verbunden. Mitte der 1950er Jahre kamen drahtlose Fernbedienungen auf den Markt, in Deutschland sind sie seit den 1970er Jahren Standard. Eine praktische Erfindung, mit der man bequem und vor allen Dingen schnell durch die stetig wachsende Zahl der Programme zappen kann.

Die Fernbedienung, die nun im Berliner Museum für Kommunikation ausgestellt wird, stammt aus dem Jahr 1986 und gehört zu einem Fernseher der Marke Grundig. Sie ist eines von 250 Exponaten, anhand derer hier verdeutlicht wird, wie sehr unser Leben vom Phänomen der Beschleunigung geprägt ist. Und zwar keineswegs erst seit der Erfindung von Fernbedienung, PC und Smartphone, sondern mindestens seit Beginn der frühen Neuzeit.

Die Post geht ab!

"Zeit ist relativ und nur in Bewegung erfahrbar" - diese Erkenntnis verdanken wir Albert Einstein. Viele tausend Jahre haben sich die Menschen langsam, zu Fuß oder auf dem Rücken von Pferd, Esel, Kamel oder Elefant fortbewegt. Alle waren annähernd im gleichen Tempo unterwegs, und die Wege, die sie zurücklegten, entsprechend überschaubar. Die Post durchbrach diesen natürlichen Rhythmus Ende des 15. Jahrhunderts. Nun schickte sie nämlich nicht mehr einen einzelnen Boten los, sondern gleich mehrere, die sich unterwegs abwechseln konnten. Damit umging man Erholungszeiten, und Briefe und Waren kamen schneller ans Ziel. Zur Freude der Kaufleute, die frühzeitig erkannten, dass Zeit Geld ist und den Ausbau des Botenwesens aus wirtschaftlichen Gründen unterstützen.

Zielgesteuerte Paketverteilanlage im Postamt Braunschweig (Fotografie von Gerhard Stoletzki, 1968)
Zielgesteuerte Paketverteilanlage im Postamt Braunschweig, 1968Bild: Museumsstiftung Post und Telekommunikation

"Beschleunigung ist die Folge von Optimierung und Rationalisierung", sagt Klaus Beyrer, der die Ausstellung in Berlin gemeinsam mit seiner Kollegin Katrin Petersen kuratiert hat. Sie erfolgte schrittweise, aber kontinuierlich durch die Jahrhunderte. Davon erzählen im Museum für Kommunikation Stundenzettel aus dem frühen 18. Jahrhundert, mit denen die Pünktlichkeit von Postreitern kontrolliert wurde, Modelle von Postkutschen und Zügen, Fahrpläne, Stechuhren, Fernschreiber und ganz alltägliche Objekte wie ein Reißverschluss, der Tacker, ein Stenoblock und ein Kugelschreiber.

Zeit ist Geld

Die Industrialisierung zwang die Arbeiter zur Einhaltung fester Zeiten, das erforderte zuverlässige Zeitmesser. Womit die Uhr als Koordinationsinstrument im Alltag unentbehrlich wurde. Sie bezog ihren festen Platz auf Bahnhöfen, an Fabriktoren, als Wecker auf dem Nachttisch und als Standuhr im Wohnzimmer. Parallel zur Industrialisierung erfolgte die Rationalisierung anderer Lebensbereiche. Im Büro als neuem Ort der Arbeit sorgten Rechen- und Schreibmaschinen für flotte Abläufe, die Hausarbeit der zunehmend berufstätigen Frau konnte mit Fertiggerichten, Schnellkochtopf, Waschmaschine und Staubsauger zunehmend effizienter gestaltet werden. Zeit wurde immer mehr zu einem kostbaren und knappen Gut. Da passte es, dass die Elektrizität die Nacht zum Tag zu machen verstand, und die Industrie immer neue zeitgeistige Produkte entwickelte, die Worte wie "Tempo" schon im Namen hatten: vom Taschentuch bis zum Blitztortenguss.Mit der Beschleunigung der Verkehrsmittel hat sich das Verhältnis der Menschen zur Zeit verändert. Pünktlichkeit wurde zu einem Wert, Verspätungen, selbst von wenigen Minuten, sorgen seither in vielen Ländern für Unmut und gelten als verlorene Zeit. Und während in früheren Jahrhunderten der Weg das Ziel war, möchte man heute möglichst schnell ankommen. Zeit, das erzählt uns diese Ausstellung, ist längst kein Geschenk mehr, sondern eine ökonomische Größe. Und die will effektiv genutzt sein. Also werden immer schnellere Autos, Züge, Fahrräder und Flugzeuge entwickelt, Nachrichten mit rasender Geschwindigkeit und in immer größeren Mengen um die Welt katapultiert, Wissen wird kompakt und vorsortiert zur schnellen Verfügung gestellt, und mit Handy, PC und Freisprechanlage permanent Multitasking betrieben.

Links: Werbung Zweitonwecker 'Bivox' Junghans, Schramberg, 1950er Jahre © Deutsches Uhrenmuseum, Furtwangen // Mitte: Plakat 'In 10 Minuten kommt Mutti', VEB Graphische Werkstätten Leipzig, Plakat von Rolf Rehme, 1955 © Stadtgeschichtliches Museum Leipzig // Rechts: Plakat 'Zeit sparen, Fernschreiber und Fernschellzüge benützen' 1961

Tempo, Tempo!

Geschwindigkeit fasziniert die Menschen. Gebannt verfolgen sie die Rekorde von Rennfahrern und Athleten. Aber Geschwindigkeit macht auch Angst. Heute wie damals, als die ersten Dampflokomotiven mit erstaunlichen 40 Stundenkilometern durch die Gegend donnerten. Und während die einen Beschleunigprozesse euphorisch begrüßen, machen sie andere krank. Vom "nervösen Zeitalter" war schon um das Jahr 1900 die Rede, heute ist der Begriff "Burnout-Syndrom" in aller Munde. Fast jeder hat ständig das Gefühl, nicht genug Zeit zu haben. Unsere kommerzialisierte Welt hat auch darauf Antworten: Drogeriemärkte bieten Schlaf- und Nerventees an, Stress-Balsam-Kapseln und Beruhigungsmasken. Ratgeber zum Thema Zeitmanagement haben Hochkonjunktur, Energy-Drinks und der Coffee to go sollen effizient aufputschen. Und zum schnellen Auftanken locken landauf, landab florierende Wellness-Oasen.

Junge Frau in einem Thermalbecken (Foto: dpa)
Multitasking, auch in der ThermeBild: picture-alliance/dpa

Schnell, schnell kann man natürlich durch die Ausstellung im Museum für Kommunikation laufen. Und sogar die Zeit stoppen, die man hier verbracht hat. Aber vielleicht, und das ist das Anliegen der Ausstellungsmacher, verweilen die Besucher doch etwas länger und lassen sich zum Nachdenken anstiften. Über ihren eigenen Umgang mit der Zeit, über unser Wertegefüge und, natürlich, über die ökologischen Folgen des "Immer schneller, immer mehr".