1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Im Spagat zwischen Wahlkreis und Bundestag

18. November 2011

"Sitzungsfreie Wochen" sind für die Abgeordneten des Bundestages jene Wochen, in denen sie nicht im Berliner Parlament anwesend sein müssen. Ferien machen sie trotzdem nicht, denn sie arbeiten in ihren Wahlkreisen.

https://p.dw.com/p/13Cq5
Bundestagsabgeordneter Detlef Seif im Gespräch mit Vertretern der Seniorenunion
Bild: DW

Katja Dörner ist heiser und hat fast keine Stimme mehr. Beim Wahlkreistermin im Bonner Bistro "Pauke" spricht sie nur im Flüsterton. "Die Pauke" bietet Menschen, die auf dem regulären Arbeitsmarkt keine Chance haben, Jobs an. Allerdings wird eine Reform, die der Bundestag beschlossen hat, das Budget des Bistros einschränken. Katja Dörner soll nun als Bundestagsabgeordnete vermitteln: Sie kennt die Beschlüsse, die auf Bundesebene getroffen wurden, und erläutert sie heute für die Geschäftsführung der "Pauke" - und für die Presse.

Porträt der Bundestagsabgeordneten der Grünen, Katja Dörner
Bundestagsabgeordnete der Grünen, Katja DörnerBild: Bündnis 90/Die Grünen

Am Wochenende ist die 35-jährige Bundestagsabgeordnete aus Berlin zurückgekommen. Die Grünen-Politikerin hat eine Woche intensiver Arbeit im Haushaltsausschuss des Bundestags hinter sich. An diesem Montag kommt sie krank zum Wahlkreistermin in Bonn : Eine Folge der Doppelbelastung der Arbeit in zwei Städten? "Ich glaube, das ist einfach nur eine ganz normale Erkältung", sagt die rothaarige Grünen-Politikerin heiser.

"Weggebeamt" nach Berlin

Etwas mehr als die Hälfte der Zeit verbringen deutsche Bundestagsabgeordnete in ihren heimatllichen Wahlkreisen. Für Katja Dörner sind das pro Jahr 29 Arbeitswochen im Bonner Wahlkreis und 23 Sitzungswochen in Berlin. Die studierte Politikwissenschaftlerin hat ihren Hauptwohnsitz in Bonn und kommt nicht, wie einige Abgeordnete, nur zum Arbeiten zurück in den Wahlkreis: "Der Berliner Politikbetrieb ist durchaus etwas 'weggebeamt', finde ich. Für mich ist es immer gut, in den Wahlkreis zu kommen und mit Leuten zu tun zu haben, die eben nicht nur aus diesem Politikbereich kommen."

Prallgefüllter Terminkalender

In den Wahlkreiswochen können sich Vereine, Verbände, aber auch interessierte Bürger direkt an "ihre" Bundestagsabgeordneten wenden und Termine vereinbaren.

Bundestagsabgeordnete Katja Dörner auf einem Wahlkreistermin in Bonn mit einem Parteikollegen
Katja Dörner auf einem Wahlkreistermin in BonnBild: DW

So ist Katja Dörners Bonner Büro auch in der Zeit besetzt, in der sie im Bundestag in Berlin arbeitet. Ihre Bonner Mitarbeiter bereiten in dieser Zeit schon ein straffes Programm für die Wahlkreiswoche in Bonn vor: Eine Podiumsdiskussion zum Thema "Islam und Schule", ein Treffen mit Mitgliedern des Vereins für Gefährdetenhilfe, die sich für ehemalige Drogenabhängige engagieren, und natürlich Termine mit ihren Parteifreunden von den Bonner Grünen. Sie alle wollen, dass Katja Dörner ihre Anliegen bei der Arbeit im Bundestag berücksichtigt.

Diese Erfahrung macht auch Detlef Seif. Er ist CDU-Bundestagsabgeordneter für den Wahlkreis Euskirchen/Erftkreis. Pro Jahr bekommt er alleine 8000 Emails, in denen Bürger Wünsche an ihn äußern:

Porträt des Bundestagsabgeordneten der CDU, Detlef Seif
Abgeordneter Detlef Seif (CDU)Bild: Chaperon

"Da ist es ganz wichtig zu selektieren, delegieren, eliminieren", sagt Seif angesichts der Flut in seinem Mail-Eingang. Gerade ist er vom CDU-Bundesparteitag in Leipzig zurückgekommen und rechtfertigt die Beschlüsse des Parteitags nun vor älteren Christdemokraten auf einem Treffen der "Seniorenunion". Die Eurokrise beschäftigt hier viele. Ruhig und sachlich erklärt Seif einem aufgebrachten älteren Herrn, weshalb die Europäische Union nicht einfach das Finanzministerium des hoch verschuldeten Griechenlands übernehmen könne.

Die Eurokrise beschäftigt hier viele. Ruhig und sachlich erklärt Seif einem aufgebrachten älteren Herrn, weshalb die Europäische Union nicht einfach das Finanzministerium des hoch verschuldeten Griechenlands übernehmen könne.

Der Abgeordnete ist überzeugt, dass gerade Wahlkreistermine, auf denen so kontrovers diskutiert wird, wichtig sind: "Es kommen manchmal wirklich so gute Einwände, dass man sagt: 'Mensch, das ist ja wirklich wahr. Das nehme ich mit und diskutiere das in der Arbeitsgruppe in Berlin.'"

Nächste Bundestagswahl 2013

Abgeordneter Seif im Gespräch mit Vertretern der Seniorenunion
Abgeordneter Seif bei der SeniorenunionBild: DW

Aber der direkte Bürgerkontakt ist für die Abgeordneten nicht nur wichtig, um Hinweise aus der Bevölkerung zu erhalten, sondern auch, um die eigene Wiederwahl vorzubereiten: Dem deutschen bundestag gehören derzeit 622 Abgeordnete an. Davon sind ungefähr die Hälfte direkt von den Bürgern in den Wahlkreisen gewählt, die anderen kommen auf Listenplätzen ihrer Partei ins Parlament. Katja Dörner und Detlef Seif sitzen beide erst seit der letzten Bundestagswahl 2009 im deutschen Bundestag. Nach zwei Jahren sind sie nicht frustriert, sondern arbeiten auf ihre Wiederwahl 2013 hin.

Beiden gefällt die Rolle als Ansprechpartner im Wahlkreis auch wenn sie oft in ungewöhnlichen Situationen in politische Gespräche verwickelt werden. So erinnert sich Katja Dörner, dass sie noch um 23 Uhr nach dem Kino angesprochen wurde: "Und dann kommen zwei Menschen und wollen mit mir über die Eurorettung diskutieren. Dann kann ich auch nicht sagen: 'Das interessiert mich jetzt gar nicht.' Als Bundestagsabgeordnete ist man eigentlich immer Dienst."

Autorin: Heike Mohr
Redaktion: Hartmut Lüning