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Im Kreis der Großen

Jochen Kürten20. Februar 2005

Künstlerisch mag die am Sonntag (20.2.) zu Ende gegangene 55. Berlinale eine Enttäuschung gewesen sein. Für den deutschen Film gibt es aber ein positives Fazit zu ziehen - und das ganz unaufgeregt.

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Mit der Preisverleihung haben die 55. Internationalen Filmfestspiele in Berlin am Samstag (19.2.) ihren Höhepunkt erreicht. Zwar stieß die Jury-Entscheidung, dem südafrikanischen Regisseur Mark Dornford-May für seine getanzte und gesungenen Bizet-Adaption "U Carmen" den Goldenen Bären zu verleihen, eher auf Unverständnis als auf breite Zustimmung, doch an überraschende Preisträger bei der Berlinale hat man sich in den letzten Jahren gewöhnt. Und die restlichen Auszeichnungen, die Silbernen Bären für die Schauspieler und für andere herausragende Einzelleistungen, gingen durchaus in Ordnung. Der Wettbewerb der 55. Ausgabe der Festspiele wird nicht lange in Erinnerung bleiben, das künstlerische Niveau war eher mäßig. Doch in den anderen Programmreihen waren viele gute Filme zu sehen. Auch das ist ein Phänomen in Berlin, das nicht neu ist. Neu dagegen ist die Normalität, die bei der Beurteilung des deutschen Films eingekehrt ist.

Für den deutschen Film bedeutete die Berlinale 2005 die endgültige Rückkehr zur Normalität. Noch im vergangenen Jahr war das anders. Als Fatih Akins Drama "Gegen die Wand" den Goldenen Bären zugesprochen bekam, brach die deutsche Filmszene in Jubelarien aus. Der deutsche Film habe sich zurückgemeldet auf der Landkarte des Weltkinos, endlich wieder ein Hauptpreis beim zweitwichtigsten Filmfestival der Welt für einen deutschen Film - so lauteten die Schlagzeilen. In diesem Jahr ist der Jubel über die zwei Silbernen Bären für die Regie und die Schauspielkunst in dem Film "Sophie Scholl - die letzten Tage" verhaltener. Die Preise werden schon als ein Stück Normalität betrachtet. Und das ist gut so.

Der Bär für die beste Schauspielerin war schon im Vorfeld der Berlinale der sicherste Tipp bei den Buchmachern. Die junge Julia Jentsch in der Rolle der Widerstandskämpferin Sophie Scholl ist der Shooting Star der Saison und lächelt derzeit von allen Magazin- und Zeitschriftentiteln herunter. Der Regie-Bär für Marc Rothemund ist zwar in Kritikerkreisen auf wenig Verständnis gestoßen, doch auch diese Entscheidung löste keine zornigen Debatten aus.

An Anerkennungen für das deutsche Kino hat es in den vergangenen Jahren keinen Mangel gegeben. Preise bei Festivals in aller Welt, gar ein Oscar in Hollywood für Regisseurin Caroline Link, dazu der enorme Zuspruch des Publikums hierzulande für die deutschen Filme im ganz normalen wöchentlichen Kinoangebot. All das hat das deutsche Kino wieder an die Seite erfolgsverwöhnter Nationen wie Frankreich, Italien oder die USA katapultiert.

Was die Berlinale betrifft, so hat der Aufschwung des deutschen Kinos auch etwas mit Dieter Kosslick, dem Chef des Festivals zu tun. Im vierten Jahr unter Kosslick hat sich die Veranstaltung endgültig zu einer Plattform für den einheimischen Film entwickelt. Drei Beiträge im Wettbewerb waren in den vergangenen Tagen zu sehen, dazu Dutzende in den anderen Programmsektionen, zwei Reihen stellten gar ausschließlich deutsches Kino vor. Die Kritik zieht inzwischen auch mit, positive Besprechungen sind an der Tagesordnung, man schielt nicht mehr neidisch über die Landesgrenzen. Deutschlands Filmemacher haben - und das ist viel entscheidender als die beiden Silbernen Bären - auf breitem Niveau gleichgezogen mit internationalen Kinostandards. "Sophie Scholl" gehörte - bei aller geäußerten Kritik an der biederen Inszenierung - zu den stärkeren Filmen im Wettbewerb. "One Day in Europe" von Hannes Stöhr war auch nicht schlechter als die Konkurrenz aus Italien, Frankreich oder Skandinavien. Und der dritte deutsche Film, "Gespenster" von Christian Petzold, war sogar der Lieblingsfilm vieler Kritiker. Ein halbes Dutzend deutsche Filme in anderen Programmteilen hätte ebenso gut und gerne im Wettbewerb gezeigt werden können.

Das deutsche Kino arbeitet also inzwischen auf einem breiten künstlerischen und auch kommerziellen Fundament. Es sind nicht nur herausragende Einzelleistungen wie in der Vergangenheit, die die Aufmerksamkeit auch der internationalen Filmpresse auf sich ziehen. Wenn die beiden nominierten deutschen Filme "Der Untergang" und "Die Geschichte vom weinenden Kamel" also in der kommenden Woche bei der Oscar-Verleihung in Hollywood leer ausgehen sollten, dann sollte das kein Grund zur Trauer sein. Die 55. Berlinale hat gezeigt, dass das deutsche Kino wieder mitspielt im Kreis der großen Kinonationen.