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Präzision als Geschäft

8. April 2009

Die Schwarzwälder Traditionsfirma Testo ist Weltmarktführer im Bereich mobile Messtechnik und will auch in der Krise wachsen. Genauso präzise wie die Geräte funktioniert ihr Service - angepasst an die lokalen Märkte.

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Die Wärmebild-Kamera zeigt die warmen und kalten Flächen eines Gesichtes, je heller, desto wärmer (Foto: Testo) Ein Messgerät des Unternehmens Testo (Foto: Testo)
Versuchsbild einer Wärmebild-Kamera - ein Messgerät von TestoBild: Testo

Genauigkeit ist eine Tugend, die erlernt sein will. Bei der Testo AG im Hochschwarzwald nimmt man diese Volksweisheit äußerst ernst. Kein Wunder, schließlich wurden am Standort Lenzkirch, inmitten eines alten Gletschertals und Wäldern, noch Anfang des letzten Jahrhunderts zwei Millionen Großuhren mit dem Kuckuck gefertigt.

Das prägt, auch wenn die "Aktiengesellschaft für Uhrenfabrikation Lenzkirch" 1929 von der Weltwirtschaftskrise dahingerafft wurde. Ein Schicksal, das die heutige Testo AG nicht teilen will. Auch bei Testo fühlt man sich der Genauigkeit verpflichtet und ließ, knapp dreißig Jahre später, die Feinwerkmechanik-Tradition am Ort wieder aufleben. Seit 1957 spezialisiert sich das Unternehmen auf alles, was präzise messen soll und tragbar ist.

Tragbare Wärmebildkamera entlarvt Energiefresser

Ein Messgerät des Unternehmens TIS (Foto: Fuchs)
Messen ist bei Testo eine LeidenschaftBild: Testo

Das wird am Stammsitz des Unternehmens überall deutlich. Der kubische Glasempfangswürfel und die weiß getünchten Fabrikationshallen dahinter versprechen Präzision und Nüchternheit. Wie genau der Messgerätehersteller alles nimmt, lässt auch das vor der Türe platzierte überdimensionale Temperatur-Thermometer vermuten. Auf den Wänden der Besprechungsräume findet sich die Spielregel eins der 'Innovationsprojektkultur': "Besprechungen beginnen pünktlich und enden zehn Minuten vor der verabredeten Zeit".

Eilig müsste es die Aktiengesellschaft, die in wenigen Gesellschafterhänden liegt, eigentlich nicht haben: Das Unternehmen ist in vielen Produktbereichen für gutes Messen Weltmarktführer - gleich, ob es um Temperatur, Feuchtigkeit, Druck oder Emissionsausstoß geht. Selbst an Bord des neuen Riesenpassagierflugzeugs Airbus A-380 wird die Raumluft durch die Schwarzwälder kontrolliert. Und auch das neue Produkt liegt voll im Klima- und Umwelttrend: eine tragbare Wärmebildkamera. Mit ihren blau-roten Infrarotbildern entlarvt sie Energiefresser im Haus.

Service als zusätzliches Geschäftsfeld

Burkart Knospe, Vorstandsvorsitzender der Testo AG, telefoniert an seinem Schreibtisch (Foto: DW/Fuchs)
Burkart Knospe, Testo-VorstandsvorsitzenderBild: Testo

Trotzdem bewegt sich Geschäftsführer Burkart Knospe etwas ungeduldig auf seinem Chefsessel hin und her, den Blick auf den kleinen Fluss Haslach gerichtet. Auch im 52. Unternehmensjahr kann seine Firma mit 14 Prozent Umsatzwachstum wieder Rekordwerte vermelden - und selbst im Krisenjahr 2009 will Burkart Knospe zwei Prozent Wachstum erzielen.

Doch der agile Manager weiß auch, dass selbst Präzisionsgeräte heute kein Garant mehr für nachhaltigen Erfolg sind: "Am Anfang stand die technische Innovation im Vordergrund. Seit den 90er Jahren rutschte immer mehr die Gesamtlösung in den Blick." Das führte 1999 zur Ausgründung einer neuen Tochtergesellschaft. 200 Mitarbeiter bemühen sich ausschließlich um den Dienst. "Testo Industrial Services" (TIS) heißt das Abbild des Mutterkonzerns, am Fuß des Schwarzwalds gelegen.

Dort werden Projektpläne für Pharmaproduzenten, Lebensmittelfabrikanten, Autozulieferer oder Handwerker entworfen. Zu tun gibt es genug: Tausende Messgeräte müssen zur Qualitätssicherung regelmäßig gewartet und überprüft werden. Damit der laufende Betrieb der Kunden dadurch nicht gestört wird, bedarf es logistischer Großleistungen. Dafür die beste Lösung zu finden, ist Aufgabe der TIS.

Messfehler müssen im Toleranzbereich bleiben

Eine Mitarbeiterin baut ein Messgerät zusammen (Foto: DW/Fuchs)
Eine Mitarbeiterin baut ein Messgerät zusammen: Testo ist ein führender Hersteller tragbarer Messgeräte-TechnikBild: DW/Fuchs

Im Jahr 2008 wurde das Testo-Tochterunternehmen zum "Dienstleister des Jahres" ernannt, weil sie besonders ausgefeilte Ablaufpläne entwickelt hatten. Doch auch bei der Preisverleihung zeigte sich ein Problem, das TIS-Geschäftsführer Jürgen Hinn aus dem Alltag kennt: "Wir haben kein Produkt, was dazu führt, dass unser Verkäufer beim Kunden erstmal nichts auf den Tisch legen kann." Zudem stecke in vielen Köpfen noch immer der Gedanke, dass es den Service beim Kauf eines Produktes umsonst oben drauf gibt. Daher schlug das Unternehmen einen anderen Weg ein. "Wir sind seit gut zehn Jahren dabei, Dienstleistungen zu industrialisieren“, so Jürgen Hinn.

Messgeräte warten in schwarzen Koffern gestapelt auf den Versand (Foto: Testo)
Messgeräte für den weltweiten VersandBild: Testo

Hauptaufgabe ist das genaue Einstellen und Abgleichen mit einem meist staatlich kontrollieren Referenz- oder Normalwert, in der Fachsprache auch Kalibrieren genannt. "Man misst nur Mist", witzelt Jürgen Hinn - und erläutert dann wieder ernster: "Weil es absolute Genauigkeit nicht gibt, sind wir der Partner vor Ort, so dass Messfehler immer im Toleranzbereich bleiben." Dazu bietet TIS eine voll digitalisierte Dokumentation, ein Online-Archiv für die Mess-Zertifikate, damit ist der Service global zu nutzen. Selbst die nationalen Prüfvorschriften kennen Hinns Mitarbeiter - für Pharmafirmen bei der Wartung ihrer Geräte ein erheblicher Vorteil.

Dienstleistungen an die lokalen Märkte angepasst

Im ersten Krisenquartal 2009 wuchs der Umsatz der Dienstleistungstochter noch mit stolzen 15 Prozent - genau nach Plan. Die weltweit rund 1500 Mitarbeiter kennen Messgeräte aller Bauarten. Da ist es eine naheliegende Strategie, Kunden auch Wartungsarbeiten anzubieten.

Doch beim erfolgsverwöhnten Mittelständler macht man sich über die Zukunft keine Illusionen. Es werde immer schwer sein, Dienstleistungen zu exportieren, sagt Jürgen Hinn. Testo könne Know-how, Ausrüstung und Equipment exportieren, sogar mobile Prüflaboratorien aufbauen und Mitarbeiter schulen. "Aber Schluss endlich muss die Interaktion mit dem Kunden vor Ort erfolgen", so Hinn.

Und genau da wird Genauigkeit wieder zur Tugend des Unternehmens: Denn anstatt die Welt mit einem globalen Dienstleistungsnetz zu überziehen, integrieren die Schwarzwälder ihre Tochterfirmen in heute 24 Ländern möglichst angepasst an die lokalen Märkte. Mit diesem Rezept wollen sie der Krise trotzen: Der Kuckuck lässt grüßen.

Autor: Richard A. Fuchs

Redaktion: Julia Bernstorf