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Ikonen der Sicherheit

24. November 2001

Im deutschen Herbst 2001 feiert der Determinismus seine Rückkehr: Gefahr scheint bestimmte Maßnahmen zu erfordern. Dass diese durchaus austauschbar sind, zeigt der Vergleich mit Frankreich und mit Großbritannien.

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Verschärfte SicherheitsmaßnahmenBild: AP

Nach den Anschlägen in den USA am 11. September haben alle EU-Staaten die Sicherheitsvorkehrungen erhöht. Und die großen EU-Länder drehen weiter an der Gesetzesschraube: Sie beschneiden Freiheits- und Persönlichkeitsrechte und räumen den Ermittlungsbehörden neue Befugnisse ein. Doch damit hören die Gemeinsamkeiten schon auf. Tatsächlich kocht jedes Land sein eigenes Sicherheits-Süppchen – und greift dabei auf Rezepte zurück, die schon seit Jahren in der Schublade liegen. Dass die tatsächliche oder vermeintliche Bedrohung nicht notwendigerweise einen bestimmten Katalog von Anti-Terror-Maßnahmen nach sie ziehen muss, zeigt der Blick auf die europäischen Nachbarn.

Abgeschraubte Mülleimer und Luftabwehrraketen

Zum Beispiel Frankreich: Hier setzt die Regierung auf sichtbare Zeichen der Terrorbekämpfung. So lässt sie etwa die Mülleimer in öffentlichen Gebäuden und an Transportknoten abschrauben – die Behälter könnten als Verstecke für Bomben dienen. Zusätzlich patroullieren martialisch aussehende Sicherheitskräfte in der Nähe exponierter Punkte – etwa des Eiffelturms, gegen den wiederholt Bombendrohungen ausgesprochen wurden. Die Maßnahmen sind Teil des "Plan Vigipirate", den die französische Regierung wenige Stunden nach den Anschlägen in den USA in Kraft setzte. Er hatte schon 1991 während des Golfkrieges und 1995 Anwendung gefunden, als die algerische Untergrundorganisation GIA eine Serie von Anschlägen in Paris verübte. Zusätzlich wurden nahe der atomaren Wiederaufbereitungsanlage La Hague und diverser Kernkraftwerke Luftabwehrraketen und Kampfflieger stationiert.

Die öffentliche Diskussion in Frankreich dreht sich um ein 13 Punkte umfassendes Anti-Terror-Paket, das die französische Regierung auf den Weg brachte. Danach sollen Polizei und private Wachdienste die Erlaubnis erhalten, in "sensiblen" Zonen wie Stadien und Einkaufszentren Personen zu kontrollieren und Gepäckstücke zu durchsuchen. Außerdem sollen der E-Mail-Verkehr und die Internetnutzung verstärkt überwacht werden. Der Unmut von französischen Bürgerrechtsgruppen regt sich vor allem gegen die verstärkten Personenkontrollen, die in Frankreich ansonsten eher unüblich sind.

Inbegriff des Obrigkeitsstaates

In Großbritannien trat Innenminister David Blunkett eine Diskussion über obligatorische Personalausweise los, die wie in Deutschland, Spanien, Griechenland und Belgien ständig mitgeführt werden sollen. Eine Melde- und Ausweispflicht gibt es in Großbritannien bisher nicht. Den Anfang werden ab Januar 2001 die Asylsuchenden machen: Sie erhalten eine Chipkarte, auf der ein Foto, der Fingerabdruck und elektronische Zahlungsmittel gespeichert sind. Mit der Karte soll eine bessere Versorgung und Kontrolle von Flüchtlingen gewährleistet werden, so Blunkett.

Nun gilt der Personalausweis in Großbritannien als Inbegriff des Obrigkeitsstaates. Gleichwohl sprachen sich in jüngsten Umfragen mehr als zwei Drittel der Befragten dafür aus, für alle Bewohner der Insel einen solchen Personalausweis einzuführen. Wenig umstritten ist in Großbritannien, dass der öffentliche Raum verstärkt mit Kameras überwacht werden soll. Schon jetzt filmen Videokameras nahezu flächendeckend öffentliche Plätze und Ausfallstraßen. Die britische Anti-Terror-Gesetzgebung ist vor allem auf Anschläge der IRA ausgerichtet. Im Februar wurde unter dem Eindruck von Presseberichten, die London als "Beirut-on-Thames" bezeichneten, ein Gesetz erlassen, das die Anstachelung zu Straftaten im Ausland sanktioniert. Eine traditionell starke Stellung im Königreich haben die Geheimdienste: MI 5 und MI 6 werden kaum kontrolliert, das Government Communications Headquarters (GCHQ) lauscht bei Telefonaten und liest E-Mails mit.

Deutschland rastert aus

In Deutschland gilt dagegen die sogenannte "Rasterfahndung" als "State of the Art" bei der Terrorismus-Bekämpfung ; sie ist zugleich in der Öffentlichkeit sehr umstritten. Die Methode – ihr Name kommt von "rastrum", das lateinische Wort für "Harke" – wurde zum ersten Mal im Kampf gegen die linksterroristische Rote Armee Fraktion (RAF) in den 70er Jahren angewendet. Bei der Rasterfahndung wird ein großer Bestand an Personendaten nach mehreren Merkmalen durchforstet – vergleichbar mit der Verknüpfung mehrerer Suchbegriffe in einer Internet-Suchmaschine. Konkret suchen polizeiliche Behörden nach jungen Männern im Alter zwischen 20 und 35 aus islamischen Ländern, die technische der naturwissenschaftliche Fächer studieren, legal in Deutschland leben und strafrechtlich nicht aufgefallen sind. Grundlage der "Ausrasterung" sind keine kriminalistischen Datenbanken die Computer werden mit Informationen von Einwohnermeldeämtern, Ausländerbehörden, Universitäten, Krankenkassen oder Stromversorgungsunternehmen gefüttert. Am Ende der Suche bleibt ein Restbestand von Daten übrig, der von Ermittlern aufgeklärt werden soll.

Datenschützern ist die Rasterfahndung ein Dorn im Auge: Die Erfolge seien mäßig, die Kriterien zu grobmaschig und die Zahl der ausgegebenen Datensätze folglich zu hoch. Der Republikanische Anwaltsverein befürchtet "schwerwiegende Eingriffe in Individualrechte" und die Förderung von Vorurteilen gegen arabisch-stämmige Menschen. Der Datenschutz hat in Deutschland Tradition: In den 80er Jahren bremsten Politiker die Sammellust von Ermittlungsbehörden. Das Bundesverfassungsgericht definierte 1983 in seinem Volkszählungsurteil ein Grundrecht auf "informationelle Selbstbestimmung".

Auch Englands und Frankreichs Polizei sammeln und verknüpfen Daten – ohne ihre Aktivitäten mit dem Reizwort "Rasterfahndung" zu benennen. Dafür sind Personalausweise und Personenkontrollen umstritten – in Deutschland längst gang und gäbe. Sind Sicherheitskonzepte kulturell bedingt? Jedenfalls laufen die Debatten in Deutschland, Frankreich und Großbritannien in unterschiedlichen Bahnen, nämlich in solchen, die durch eigene Terrorismus-Erfahrungen aus der Vergangenheit vorgegeben sind. Mithin greifen die Regierungen in Krisenzeiten auf bewährte Signale zurück – abgeschraubte Mülleimer, Videokameras und ratternde Computer sind die Ikonen. (jf)