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Identitätsfragen - der Schriftsteller Steven Uhly

27. Dezember 2011

Für den deutsch-bengalischen Autor Steven Uhly ist sein neuer Roman "Adams Fuge" ein Denkanstoß für die Migrationsdebatte in Deutschland. Nicht nur Einwanderer haderten mit ihrer Identität, sagt er im DW-Gespräch.

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Steven Uhly (Foto: PA/dpa)
Steven Uhly hat sich intensiv mit Migrationsfragen beschäftigtBild: picture-alliance/dpa

Steven Uhlys zweiter Roman "Adams Fuge" erzählt die komplexe Geschichte des Deutsch-Türken Adem Öztürk, der zum Spielball politischer Ränkespiele wird. In Deutschland gerät Adem in ein wüstes Geflecht zwischen Deutschen, Türken und Kurden, Doppelagenten, deutschem und israelischem Geheimdienst. Uhlys Protagonisten wechseln mehrfach ihre Identität. Aus der Hauptfigur Adem zum Beispiel wird Adam. Figuren und Charaktere lösen sich auf. In Uhlys Roman geht es um Identität und Integration. Aber nicht nur das: Es geht auch um rechtsnationale Umtriebe in Deutschland, um rassistische Computerspiele und die Rolle von Verbindungsmännern in der rechten Szene.

Eingeholt von aktuellen Ereignissen...

DW-WORLD.DE: Ihr Buch "Adams Fuge" liest sich nach den jüngsten Ereignissen in Deutschland um die rechtsradikale Terrorgruppe, die sogenannte "Zwickauer Zelle", erschreckend aktuell. Freut es einen Schriftsteller eigentlich, wenn das eigene Buch plötzlich so eine Tagesaktualität erlangt?

Steven Uhly: Das ist eine äußere Sache. Mich freut es, wenn ich eine Kritik lese, in der das Buch als Ganzes verstanden wird. Das ist das, was jeden Schriftsteller am meisten freut. Man schreibt ja nicht zwei Szenen, die durch irgendeinen Zufall dann möglicherweise eine Aktualität erlangen. Man schreibt ein ganzes Buch. Wenn ich merke, dass Leute die Konstruktionsweise des Buches wirklich verstanden haben, und auch verstanden haben, was das Buch will in seiner ganzen Vertracktheit und komplizierten Anlage, dann ist das wie ein Dialog. Dann hat man eine Art Gesprächspartner gefunden. Die Sache mit Zwickau, das war eine Außenansicht. Da kommt was von außen, und dann denkt man, vielleicht wird das Buch jetzt anders wahrgenommen. Das sieht dann auch erst so aus. Aber ich habe schnell festgestellt, es bleibt dann auch nur dabei, also: Das Buch nehme etwas vorweg, das Buch sei jetzt aktueller. In seiner Gesamtheit wird es aber nur sehr bedingt wahrgenommen.

Buchcover Adams Fuge (foto: Secession Verlag für Literatur)
"Adams Fuge"Bild: Secession Verlag für Literatur

Ich habe das Buch gelesen als Denkanstoß zu Themen wie Rollentausch, Rollenklischees, Rollenspielen und Identitätsfragen. Wobei das Buch mehr Fragen stellt, als dass es Antworten gibt…

Damit bin ich einverstanden. Es freut mich, dass Sie das so sehen.

Die Handlung Ihres Buches ist sehr komplex und schwer nachzuerzählen. Nur soviel: Wie ist denn die Hauptfigur Adem Öztürk in Ihr Buch gekommen?

Die Hauptfigur gibt es schon ganz lange, schon seit zehn Jahren. Auch die Idee zu diesem Computerspiel, dem Holocaust-Spiel, auch die gibt es schon ganz lange. Sie waberten aber nur in meinem Kopf herum. Da gab es keinen Kontext. Die Figur dieses Deutsch-Türken war ursprünglich eine Nebenfigur. Sie rückte dann aber durch irgendwelche unbewussten Vorgänge ins Zentrum. Eigentlich erst in dem Moment, als ich begann das Buch zu schreiben. Dann stellte ich fest, dass wir einiges gemeinsam haben.

Die Welt ist schneller als wir

Ich habe die Figur dann so angelegt, dass sie tatsächlich auch zwischen zwei Kulturen steht. Dazu konnte ich was sagen, also zu dem inneren Konflikt, den sie durchlebt. Der Adem Öztürk ist ein Mensch, der sich in zwei Geschwindigkeiten bewegt. Er bewegt sich in der äußeren Welt. Da bewegt er sich sehr schnell, da geht ja auch alles sehr schnell. Aber in ihm drin geht alles sehr langsam ab. Er verarbeitet alles sehr langsam. Deshalb kann er auch erst ganz am Ende etwas verändern. Ich glaube, so geht es uns allen. Dass die äußere Welt meistens viel schneller ist als wir. Wir versuchen eigentlich nur irgendwie mitzukommen. Oder die äußeren Ereignisse so abzubremsen, dass es nicht so schwer ist, mitzukommen. Bei meiner Hauptfigur habe ich das auf die Spitze getrieben.

Anhänger der rechtsextremen NPD im vergangenen Jahr in Zwickau (Foto: Hendrik Schmidt dpa/lsn)
Anhänger der rechtsextremen Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD)Bild: picture alliance/dpa

Es sind ja auch mehrere Kulturen, die auf diesen Adam einbrechen…

Ich wollte darstellen, dass man sowieso immer ein Identitätsproblem hat. Egal, wo man herkommt. Und mein Adem Öztürk bietet mir natürlich auch die Möglichkeit, die ganze Zeit die Innenansicht darzustellen.

War es auch eine Intention des Buches, ein Abbild von Deutschland im Jahr 2011 zu zeigen, mit den vielen verschiedenen Einflüssen, den Kulturen, den Milieus?

Es geht bei mir (wie auch in meinem ersten Roman "Mein Leben in Aspik") immer um Deutschland, um die Frage: 'Was ist das für ein Land?'. Nachdem ich lange Zeit gehadert habe mit Deutschland - was ja nicht so selten ist, das kennt ja fast jeder Deutsche, dass er mit Deutschland hadert -, finde ich es inzwischen sehr spannend. Es ist ein so schweres Erbe mit dem Holocaust. Das ist eigentlich so eine Art Pilotprojekt mit diesem Land. Ich kenne kein anderes Land, das sich so etwas geleistet hat und dann aber so damit umgeht. Natürlich auch durch äußere Zwänge, durch die Alliierten, die immer mit dem Finger darauf gezeigt haben, durch Israel, das den Finger immer in die Wunde legt. Aber die Deutschen haben sich mit dieser Schuldfrage auseinandergesetzt. Vor allem Westdeutschland, das sich nicht hinter dem Sozialismus verbarrikadieren konnte und den Antifaschismus für sich beanspruchen konnte. Das finde ich total spannend, weil es ein Unikum ist, was da entsteht.

Reales und Fiktives

Wie viel Wirklichkeit steckt in Ihrem Buch?

Es steckt überall Wirklichkeit in dem Buch. Ich habe überall auch 1:1 Realismus eingebaut. Das wollte ich aber nicht die ganze Zeit so raushängen lassen. Ich schreibe ja ein Kunstwerk. Ein Buch ist ein Kunstwerk. Ich wollte nicht als Reporter-Autor auflaufen, der die ganze Zeit sagt, 'Ich habe hier etwas zu sagen, das ist wichtig, das ist wirklich!' Das finde ich nicht kunstvoll. Ich wollte genau das Gegenteil. Ich wollte unterhalten und das, was ich zu sagen habe, wie nebenbei erzählen.

Ich nehme mal an, auch die Frage, wie viel des Buches auf der eigenen Geschichte fußt, würden Sie ähnlich beantworten?

Das ist genau das gleiche.

Die Rolle von Verbindungsmännern

Sie behandeln in Ihrem Buch auch ein weiteres aktuelles Thema, das gerade durch die Zeitungen geht. Nach den Vorfällen in der rechten Szene ist das die Rolle von Verbindungsmännern. In Ihrem Buch sagt ein V-Mann über sich "Und so fühlte Harald sich bald völlig integriert, was umso besser war, als seine verdeckte Arbeit nun so verdeckt war, dass es fast nichts mehr zu verdecken gab." Das bringt meiner Meinung nach auf den Punkt, was Sie sagen wollen.

Demonstranten im Mai 1993 vor dem ausgebrannten Haus der Familie Genc in Solingen (Foto: AP Photo/Karsten Thielker)
Demonstranten im Mai 1993 vor dem ausgebrannten Haus der Familie Genc in SolingenBild: AP

Der V-Mann ist jemand, der gegenüber dem Staat loyal ist und sich in die illegalen Machenschaften einer Gruppierung, die für die Verfassung eine Gefahr darstellt, hineinmogeln muss, um dem Staat Argumente zu liefern. Ich beziehe mich da auch auf einen Fall, den ich 1994 im "Spiegel" gelesen habe. Damals ging es um einen V-Mann, der diejenigen Leute aus der rechtsradikalen Szene ausgebildet hatte, die dann in Solingen das Haus der Familie Genc angezündet haben. Das war ein Riesenproblem. Man wusste nicht, wo dieser Mann eigentlich steht.

Als jetzt dieser ganze Hype um mein Buch losging, dass ich die Realität vorweggenommen habe, haben viele einfach vergessen, dass dieses Detail gar nicht vorweggenommen wurde. Es wurde von mir nur wieder aufgenommen, weil ich es nicht vergessen habe. Ich finde, dass der V-Mann, der überläuft, der sich in einem Zwiespalt bewegt – im Übrigen auch Doppelagenten (die in meinem Buch ja auch vorkommen) –, dass das eine sehr schöne Metapher für den Menschen an sich ist. Für die Problematik des Menschen. Wir fahren häufig zweigleisig – auch ohne, dass es uns bewusst ist.

Steven Uhly ist deutsch-bengalischer Abstammung und lebt in München. Außerdem ist er verwurzelt in der spanischen Kultur und lebte mehrere Jahre in Brasilien. Er arbeitet unter anderem als Übersetzer von Lyrik und Prosa aus dem Spanischen, Portugiesischen und Englischem. 2010 erschien sein Debütroman "Mein Leben in Aspik". "Adams Fuge" wurde kürzlich mit dem Tukan-Preis der Stadt München ausgezeichnet.

Das Gespräch führte Jochen Kürten
Redaktion: Laura Döing