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Ideenschmiede für die Diplomatie

Matthias von Hein15. Juni 2016

Politikprofis brauchen frische Ideen und einen unverstellten Blick. Zum Beispiel, wenn es um den Iran geht. Am Rande des Global Media Forums gab es dafür einen Open Situation Room. Reporter Matthias von Hein war dabei.

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Menschen diskutieren in kleinen Gruppen, stehend oder an Konferenztischen (Foto: DW/M. von Hein)
Versuchsanordnung Open Situation Room: Studenten, Experten, Diplomaten - drei Stunden Zeit - ein ProblemBild: DW/M. von Hein

Man nehme 30 Menschen aus unterschiedlichen Lebensbereichen: Studenten, Wissenschaftler, Schüler, Geschäftsleute, Journalisten. Man nehme einen Botschafter, diplomatisches Personal und eine Problemstellung. Wenn man dann noch einen Moderator hinzugibt, bekommt man einen "Open Situation Room". So geschehen am Rande des Global Media Forums in Bonn.

Eingeladen von Auswärtigen Amt in Berlin und dem Mercator Program Center for International Affairs treffen wir uns im Gremiensaal der Deutschen Welle: Drei Dutzend Menschen, die drei Stunden kreativ und konstruktiv der Frage nachgehen, wie man am sinnvollsten mit dem Iran nach dem Ende der Sanktionen umgehen sollte.

Wer hat's erfunden?

US-Präsident John F. Kennedy schuf 1962 die Urform des "Situation Room": In einer Krisensituation sitzen Regierungsexperten aus verschiedenen Ressorts zusammen und suchen gemeinsam nach Lösungen. Der Open Situation Room weitet den Kreis aus auf Teilnehmer aus der Zivilgesellschaft. Das Auswärtige Amt in Berlin investiert seit 2015 in dieses Format - natürlich nicht uneigennützig.

Dieter Reinl leitet im Berliner Außenministerium das Referat Netzwerk Außenpolitik. Der hochgewachsene Diplomat erläutert im DW-Gespräch, welche beiden zwei Ziele das Außenministerium mit den Open Situation Rooms verfolgt: Zum einen gehe es darum, sich stärker der Zivilgesellschaft zu öffnen und die Komplexität außenpolitischer Entscheidungen erlebbar zu machen. Weil Fragestellungen behandelt würden, auf die man im Auswärtigen Amt selbst nach Lösungen suche, hoffe man auf "kreative Denkanstöße, die unsere Entscheidungsfindung im Außenministerium bereichern", wie Reinl sagt.

Global Media Forum 2016 - DW Gremiensaal - Iran after sanctions
Frische Ideen aus der Zivilgesellschaft - das verspricht sich das Auswärtige Amt vom Open Situation RoomBild: DW/M. von Hein

Von der "Superkraft" über das Brainstorming zum Projekt

Der ganze Prozess ist auf Interaktion angelegt und auf Tempo. Moderator Nicola Forster überrascht erst mal die Runde: Er fragt jeden einzelnen Teilnehmer danach, welche "Superkraft" er für die Lösung der anstehenden Probleme einbringen will. Ich erkläre mich willens, meine Fähigkeit einzusetzen, "Lücken zu erkennen, aber auch Verbindungen".

Vom freien Brainstorming wird in Feedbackrunden immer stärker auf konkrete Fragen und Lösungsansätze fokussiert. Beim Open Situation Room "Iran nach den Sanktionen" werden wir zunächst in fünf Arbeitsgruppen mit je sechs Teilnehmern aufgeteilt.

Es folgt eine ausführliche und differenzierte Einführung zur Lage im Iran von einer hochrangigen Diplomatin. Am Ende wirft sie konkrete Fragen auf: Wie kann man den Austausch der Zivilgesellschaften beider Länder fördern? Wie sollte man mit der Geistlichkeit in der Islamischen Republik Iran umgehen? Wie kann man den privaten Wirtschaftssektor stärken?

Wie sich das Atomabkommen für die Iraner auszahlen könnte

Meine Arbeitsgruppe formuliert das Thema "Integration durch Wirtschaft". Denn es ist deutlich geworden: Die Menschen im Iran wünschen sich nach Jahrzehnten der Sanktionen zügig eine Dividende für das Atomabkommen vom letzten Juli. Sie wünschen sich politische Veränderungen, aber keine Revolution. Und sie wünschen sich vor allem wirtschaftliche Chancen.

Unsere Gruppe identifiziert schnell ein zentrales Hindernis beim Wirtschaftsaustausch: Noch immer ist es extrem schwer, Geld von und nach Iran zu überweisen. Viele Geschäfte müssen mit Bargeld abgewickelt werden - eine Folge der Sanktionen gegen den Finanzsektor. Hier scheint mittelfristig Besserung in Sicht.

Einem zweiten Punkt wenden wir uns näher zu: Erneuerbare Energien. Der Iran ist nicht nur ein bedeutender Exporteur von Energie. Er konsumiert auch beträchtliche Mengen fossiler Energie - und bekommt die Folgen von Umweltverschmutzung und Klimawandel bereits selbst massiv zu spüren: Hitzewellen, Wassermangel, Wüstenwachstum.

Solarpanels auf Hütten im Iran (Foto: MEHR)
Viel Potenzial - wenig genutzt: Regenerative Energien im IranBild: MEHR

Der Iran verfügt über ideale Voraussetzungen zur Nutzung regenerativer Energien. Die werden aber bislang nur wenig genutzt. Am Ende der drei Stunden haben wir, angetrieben durch den Moderator, ein - sicher noch ausbaufähiges - Konzept entworfen zur Zusammenarbeit beider Länder bei Energie aus Sonne und Wind.

Ebenso haben die anderen vier Arbeitsgruppen Konzepte ausgearbeitet: Das Team am Nachbartisch zum Beispiel hat ein Projekt zum interreligiösen Dialog ausgetüftelt. Schräg gegenüber ist die Idee entstanden, eine App für die Begegnung von Touristen und Einheimischen zu entwickeln.

Damit die Früchte dieses Nachmittags erhalten bleiben, werden die Ideen von den Arbeitsgruppen schriftlich zusammengefasst. Dann landen sie beim Auswärtigen Amt. Und wir alle fragen uns, was davon wohl wirklich umgesetzt wird.

Feilen am Format

In diesem Jahr gab es bereits drei Open Situation Rooms. Da ging es um "Flucht und Migration - Herausforderungen an die deutsche Außenpolitik". Es gab eine Veranstaltung zu Syrien und zuletzt eine in Brüssel zum Verhältnis der EU zur Türkei. "Alles relevante Themen, die in der Öffentlichkeit diskutiert werden", betont Dieter Reinl und fährt fort: "Das macht die Attraktivität der Teilnahme aus, dass man wirklich das Gefühl hat, man ist am Puls der Zeit mit seiner Teilnahme an solchen Formaten."

Das Auswärtige Amt feilt noch am Veranstaltungsformat. Die jetzigen Open Situation Rooms betrachtet man als Test. Den Dialog mit der Zivilgesellschaft will man aber auf jeden Fall weiter führen - und ausweiten.