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ICTY-Anklage: Empörung in Kroatien

12. Mai 2005

Politik und Öffentlichkeit haben mit Entsetzen auf die Ausweitung der ICTY-Anklage gegen die ehemaligen Generäle Malden Markac und Ivan Cermak reagiert. Damit werde das ganze kroatische Volk des Völkermordes angeklagt.

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ICTY-Chefanklägerin Carla del Ponte und Kroatien: gespaltenes VerhältnisBild: AP

Die Verhandlungskammer des Haager Tribunals hatte am 8. März von der Staatsanwaltschaft gefordert, Fehlendes in den Anklagen gegen die kroatischen Generäle Malden Markac und Ivan Cermak zu vervollständigen. Vor allem in dem Teil, der sich auf die "Teilnahme an einem gemeinsamen verbrecherischen Unternehmen mit dem Ziel einer ethnischen Säuberung der Serben aus der Krajina im Sommer 1995" beziehe. Die Verteidiger von Markac und Cermak, die daraufhin die Anklage aufgefordert hatten, den Begriff "verbrecherisches Unternehmen" zu präzisieren, erhielten die Vorlage für die erweiterten Anklagen gegen ihre Mandanten. Dort wird wegen "krimineller Vereinigung" neben Franjo Tudjman, Gojko Susak, Janko Bobetko, Zvonimir Cervenko und Ante Gotovina die Anklage ausgeweitet auf "die ganze staatliche und militärische Spitze, aber auch auf niedrigere Ebenen der Regierung, die Teilnehmer eines verbrecherischen Unternehmens gewesen seien mit dem Ziel, die Serben zu vertreiben, was durch die Militär- und Polizeiaktion Oluja, also Sturm, umgesetzt worden sei." Darüber hinaus heißt es, diese kriminelle Vereinigung beziehe sich auch auf "kommunale und andere Ebenen der Regierung, Mitglieder der HDZ, Offiziere der kroatischen Armee, der Spezialeinheiten der Polizei, der zivilen Polizei und zwei Geheimdienste sowie, zuletzt, bekannte und unbekannte Personen."

Mesic: Kollektivschuld nicht annehmbar

Der kroatische Präsident Stipe Mesic sagte, dass er sich immer für eine individuelle Schuldzuweisung ausgesprochen habe. Für ihn sei jedoch die Ausweitung der Anklage des UN-Kriegsverbrechertribunals ICTY, die auf eine Kollektivschuld hinaus gehe, nicht annehmbar. "Ich bin nicht dafür, dass man eine Gruppe anklagt, sondern dass man jedem das zur Last legt, was er tatsächlich begangen hat", sagte Mesic.

Ministerpräsident Ivo Sanader meinte, diese Art der Anklage ließe sich leichter wiederlegen und erklärte, dass er es nie erlauben werde, dass irgendjemand die Geschichte des Vaterlandkrieges verändere. Ähnlich äußerste sich Parlamentspräsident Vladimir Seks: "Jetzt wird die Aktion Oluja auf der Basis von kollektiver Verantwortung in Gänze zu einem verbrecherischen Unternehmen erklärt. Das bedeutet, die Geschichte zu revidieren, das bedeutet eine Revision der Tatsachen, das bedeutet eine Revision der grundlegenden Postulate, auf denen die Tätigkeit des Haager Tribunals beruht." Nach den Worten von Oppositionsführer Ivica Racan steht diese Anklage auf wackligen Beinen: "ICTY-Chefanklägerin Carla del Ponte wird Belege für diese erweiterte Anklage vorlegen müssen, die in meinen Augen absurd ist." Auch der Verteidiger von General Markac, Miroslav Siparovic, der zur Zeit von Oluja Justizminister der Regierung von Nikica Valentic war, wies auf die veränderte Sicht der Geschichte hin. "Jetzt geht daraus also hervor, dass die Aktion Oluja nicht etwa der Befreiung eines zuvor besetzten Gebietes galt, sondern ausschließlich der Vertreibung der serbischen Bevölkerung."

Eine Nation auf der Anklagebank?

Die Sprecherin des Haager Staatsanwaltschaft, Florence Hartmann, erklärte dazu, dass die Anklage nie davon ausgegangen sei, dass Oluja als Ganzes ein verbrecherisches Unternehmen gewesen sei: Daran habe sich auch nichts geändert. Man müsse aber auf der Verantwortung für Schuld bestehen. Wenn man in Betracht zieht, dass eine strafrechtlich relevante Verantwortung in der Anklage nur über die Namensnennung erfolgen kann und daher keinen Platz für allgemeine Formulierungen wie die über 'bekannte und unbekannte' Personen ist, hat eine derartige Anklage allen denjenigen Raum gegeben, die behaupten, dass mit ihr nicht nur einzelne Personen der Staats- und Militärführung angeklagt werden, sondern das gesamte kroatische Volk.

Gordana Simonovic, Zagreb
DW-RADIO/Kroatisch, 11.5.2005, Fokus Ost-Südost