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"Ich will eine bessere Bundesrepublik!"

14. Oktober 2009

Planwirtschaft, Stasiüberwachung, selbstherrliche Parteifunktionäre - die DDR war ein Staat, in dem der Bürger eigentlich nichts zu lachen hatte. Aber gerade deswegen feierten geschickte Spötter große Erfolge.

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Der Kabarettist Peter Ensikat (Foto: DW)
Der Kabarettist Peter Ensikat

Es scheint so, als wäre dem Kabarettisten Peter Ensikat fast das Lachen vergangen, damals in den Tagen des Mauerfalls. Der hagere Mann ist jetzt Ende 60, und er spricht leise und mit großen Pausen über den November 1989 und die Wochen danach. "Die Nachricht von der Maueröffnung hat mich in Brüssel überrascht, ich hatte dort ein Engagement als Theatermacher", erinnert sich Ensikat. "Ich bin sofort nach Berlin zurück gefahren."

Dort sah er eine Stadt im Vereinigungstaumel. "'Wahnsinn, das ist Wahnsinn!' hat mir da einer auf dem Bahnhof Zoo zugerufen, und das war das einzige Wort, das gepasst hat." Aber Ensikat freut sich nicht darüber. Nicht damals, und wohl auch nicht so richtig heute. Eine Chance war verpasst. "Ich hab damals auch gesagt, das war der letzte Versuch von Krenz, die Leute von der Straße zu bekommen. Das ist ihm ja gelungen. In Ostberlin war die Revolution vorbei." Die Revolution, das war für Ensikat die große Demonstration vom 4. November in Ostberlin. Eine Demonstration gegen den Staatsratsvorsitzenden Egon Krenz und die Spitzelei der Staatsicherheit - und für eine Reform der DDR.

Endlich Klartext reden

Ensikat zog sich in sein Haus im Berliner Bezirk Hohenschönhausen zurück. Enttäuscht. Das Begrüßungsgeld holte er nicht ab. "Wohl als einziger", sagt er trotzig. Er schämte sich dafür, wie seine Mitbürger Freizügigkeit suchten und, wie er sagt, die Freiheit darüber vergaßen. Er, der privilegierte Künstler der DDR, Träger des Nationalpreises mit Reiseerlaubnis, war skeptisch, was den Westen anging. Angesichts der raschen Wiedervereinigung fühlte er sich hilflos. "Ich bin 1990 nur aus Altersgründen nicht Terrorist geworden", schreibt er 1993 in seinem Buch "Ab jetzt gebe ich nichts mehr zu". Aber da hatte er schon wieder zur Satire zurück gefunden.

Peter Ensikat 1991 bei einer Aufführung des Kabaretts 'Die Distel' (Foto: dpa)
"Exotenkabarett": Peter Ensikat bei einer Aufführung der 'Distel' im Jahr 1991Bild: picture-alliance/ ZB

Überhaupt begann Ensikat bald, die Absurditäten des Umbruchs und der Wiedervereinigung durch seinen Spott bloß zu stellen. In der Wendezeit arbeitete er so viel wie nie zuvor. "Wir konnten endlich so sprechen, wie wir das immer gewollt hatten: Klartext!" Jahrelang hatte man unter den Bedingungen der Diktatur gearbeitet, verschlüsselt gespottet, immer so, dass einen das Publikum verstand, aber der Zensor einem nichts nachweisen konnte. Die Angst vor der Zensur war Geschichte. Ensikat allerdings hatte neue Sorgen. "Jetzt hatte man Angst, dass das Publikum wegbleibt." Doch es blieb nicht weg - in das Kabarett "Distel" kamen nur ganz andere Leute als früher. "Während sich die Ostberliner im Westen die Nasen an den Schaufenstern platt drückten, kamen die Westberliner in unser Exotenkabarett."

Bestechung durch Kabarett-Tickets

Vor der Wende unterschied sich das Kabarett im Westen und im Osten deutlich. Im Arbeiter- und Bauernstaat kamen alle, die eine Karte ergattern konnten in die Vorstellung. Jung und Alt, Arbeiter, Stasileute, Akademiker. "Ich habe fast alle meine Handwerker mit Eintrittskarten bestochen, das war so etwas wie eine Schattenwährung in der DDR", sagt Ensikat. Das Publikum damals habe eine sehr gute Allgemeinbildung gehabt, darauf konnte man aufbauen. "Wir haben Witze gemacht über 'die da drüben' und uns selbst als Sozialisten, bei den Kabarettisten im Westen ging es immer um 'die da oben.'" Heute seien die Unterschiede zwischen Ost- und Westkabarett nicht mehr spürbar. "Es ist alles ziemlich flach und zielt auf die schnelle Pointe", urteilt Ensikat. "Wir waren systemkritischer als alles, was heute auf die Bühne kommt."

Satiriker im Dienste des Systems

Aber was hat es gebracht? Der Kabarettist macht sich nichts vor. Maßlos überschätzt habe man sich, weil man sagen konnte, was nirgends gesagt oder gedruckt wurde. "Wir waren Teil dieses Systems, wir waren das Ventil, über das mal Luft rausgelassen werden konnte." Satire sei immer systemsichernd, bekennt der Satiriker. So will sich Ensikat auch heute verstanden wissen mit seiner ausdauernden Kritik, mit der er auf die Wiedervereinigung und das heutige Deutschland blickt: "Mir wird immer gesagt, dass ich der DDR nachtrauere, aber das stimmt nicht. Ich will nur eine bessere Bundesrepublik."


Autor: Heiner Kiesel
Redaktion: Claudia Unseld