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"Ich halte große Koalitionen für den absoluten Stillstand"

10. September 2005

Die Kanzlerkandidatin Angela Merkel steht Rede und Antwort im Interview mit DW-TV. Dabei erklärt sie unter anderem, was sie von einem Vergleich mit Margaret Thatcher hält und welche außenpolitischen Ziele sie verfolgt.

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DW-TV: Wenn die Demoskopen nicht völlig schief liegen, dann werden CDU und CSU die Bundestagswahl am 18. September gewinnen. Sie werden die erste deutsche Regierungschefin. Freuen Sie sich schon aufs Kanzleramt?

Angela Merkel: Wir kämpfen jetzt noch die verbleibenden Tage und wir wissen, dass Wahlen immer erst am Wahltag entschieden werden durch die Stimmen der Bürgerinnen und Bürger. Und deshalb verteile ich das Fell des Bären auch nicht, bevor er erlegt ist, aber wir sind gut vorbereitet auf die Möglichkeit, die Regierungsverantwortung zu übernehmen.

Im Ausland werden Sie oft mit einer berühmten britischen Premierministerin verglichen. Wollen Sie die deutsche Margaret Thatcher sein?

Ich glaube, dass solche Vergleiche immer ein Stück weit hinken. Margaret Thatcher war so sehr begeistert von der deutschen Einheit wie ich. Auf der anderen Seite ist es richtig, dass wir in einer Phase leben, in der auch Deutschland weiter reformiert werden muss. Das heißt, man kann sich an der Erfolgsträchtigkeit mancher Reformen von Margaret Thatcher schon ein Beispiel nehmen, aber insgesamt bin ich ich und Deutschland ist Deutschland.

Sie haben ja die ersten drei Lebensjahrzehnte in der DDR verbracht und sind als Quereinsteigerin in die Politik gekommen. Wer ist Ihnen politisches Vorbild.

Ich habe nicht ein einziges politisches Vorbild. Ich habe sicherlich am meisten von Helmut Kohl gelernt, in dessen Kabinett ich acht Jahre arbeiten konnte, und da habe ich auch große Teile meiner politischen Sozialisation erlebt. Und ich glaube, die Art und Weise, wie er die deutsche Einheit gestaltet hat, und wie er sich für Europa als Europäische Union eingesetzt hat, ist beispielhaft und von historischer Dimension.

Helmut Kohl ist ein Mann, welche Frau in der Politik bewundern Sie denn besonders?

So viele gibt es ja leider nicht. Ich habe manchmal die gleichen Frisurgeschichten wie Hillary Clinton, und wir haben bereits über Margaret Thatcher gesprochen. Ich habe mir meinen eigenen Weg gestaltet und da sind Männer und Frauen dabei, die meine Vorbilder auch sind, oder an denen ich mich ausrichte, aber es könnten durchaus mehr Frauen sein.

Sie haben angekündigt, dass Sie Deutschland durchregieren wollten, weil ja auch im Bundesrat, in der zweiten Kammer derzeit eine konservative Mehrheit ist. Sind Sie sicher, dass die CDU-Ministerpräsidenten Ihnen folgen werden bei Themen wie Subventionsabbau, Eigenheimzulage, Pendlerpauschale. Das tut den Deutschen doch weh?

Darüber gibt es überhaupt keinen Streit, darauf haben wir uns innerhalb des Präsidiums, des Vorstandes von CDU und CSU, geeinigt und da sind ja alle Ministerpräsidenten dabei. Ich kann natürlich auf die Dauer nicht ausschließen, dass es auch mal Interessenskonflikte zwischen den Interessen des Bundes und den Interessen der Länder gibt. Das gibt es in Oppositionszeiten, das gäbe es auch in Regierungszeiten, aber das, was uns unterscheidet von der heutigen Situation, wenn wir eine Mehrheit im Deutschen Bundestag bekämen, wäre, dass wir mit klarer Kraft Unionspolitik durchsetzen könnten, was heute mit den Sozialdemokraten und Rot-Grün natürlich nicht möglich ist. Das heißt, wir müssen dauernd Kompromisse machen, die letztlich nicht tragen, und wir haben es ja in der Schlussphase von Rot-Grün auch mit einer Regierung zu tun gehabt, wo die eigene Fraktion der Sozialdemokraten ihrem Bundeskanzler nicht mehr folgt, das heißt, das Ganze steht auf extrem unsicheren Füßen. Deshalb stelle ich mir vor, wenn wir die Mehrheit im Bundestag haben, dass wir dann auch einfacher unsere Linie durchsetzen könnten.

Das Steuerkonzept Ihres Schattenfinanzministers Paul Kirchhof hat Gegner in den eigenen Reihen, in Ihren Reihen. Ein Einheitssatz von 25 Prozent, so ist da zu hören, störe doch das Gerechtigkeitsempfinden der Deutschen.

Zur Debatte steht ja auch unser Regierungsprogramm. Und Paul Kirchhof ist in mein Kompetenzteam gekommen, weil er in diesem Regierungsprogramm zwei Drittel des Weges zu einem wirklich vereinfachten Steuersystem sieht. Und jetzt setzen wir erst einmal das um, denn damit haben wir ja alle Hände voll zu tun, da gibt es eine Menge Diskussion, denn wir schaffen auch in diesem Regierungsprogramm einige der Ausnahmen ab - Sie haben eben schon auf einiges hingewiesen. Und insofern heißt es jetzt, diesen Schritt zu gehen, und dann ist doch danach das Denken nicht verboten, man kann weiter denken. Paul Kirchhof hat weitergehende Vorstellungen, aber über die muss dann natürlich noch einmal gesprochen werden. Ich habe ihn deshalb in mein Kompetenzteam geholt, weil er ein Mann ist, der nicht vergisst, den Wald vor lauter Bäumen zu sehen. Manchmal ist es ja so, dass wir uns so im Detail verstricken, dass die große Richtung verloren geht, und das wird mit Paul Kirchhof nicht passieren.

Vorfahrt für Arbeit, die Binnennachfrage ankurbeln, das sind ihre wirtschaftspolitischen Ziele. Warum aber soll dann die Mehrwertsteuer um zwei Prozent erhöht werden. Das dämpft dann doch eher die Konsumfreude?

Wir müssen uns ja überlegen, in welcher Reihenfolge machen wir die Maßnahmen. Für mich ist wichtig, Vorfahrt für Arbeit, wie sie es gesagt haben, und das heißt, wir müssen den Prozess stoppen, dass über 1000 sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse pro Tag verschwinden, und dazu brauchen wir, u.a. ein Bündel von Maßnahmen, die Lohnzusatzkosten senken. Also Senkung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung. Und wenn wir das nicht auf Pump machen wollen, weil wir schon zu vieles auf Pump machen, also Schulden aufnehmen, dann bleibt nur der Weg, an einer anderen Stelle indirekte Steuern zu erhöhen.

Und wir sagen das den Menschen vor der Wahl, und wir wissen, oder ich bin davon sehr überzeugt, dass genau dieser Schritt dazu führen wird, dass mehr Arbeitsplätze entstehen und damit dann natürlich auch die Sicherheit für die Menschen wieder gegeben ist, dass sie die Gelder auch wieder ausgeben, nicht alles auf die hohe Kante legen, sondern dass sie bereit sind, mit der Zuversicht auch Konsum auszuüben. Zu glauben, man könnte Leute durch Aufforderung dazu bringen, jetzt zu konsumieren, das geht nicht, es muss Zuversicht in die Zukunft sein und die kriege ich nur, wenn die Arbeitsmarktlage in Deutschland wieder besser wird.

Lesen Sie im zweiten Teil des Interviews, wie Angela Merkel über den Irak-Konflikt und den EU-Beitritt der Türkei denkt und ob sie Bundeskanzler Schröder sympathisch findet.

In diesem Wahlkampf wird Ihnen vorgehalten, Sie hätten vor und während des Irak-Krieges keine klare Haltung eingenommen. Hätten wir Deutschen die USA in diesem Krieg unterstützen sollen?

Ich habe immer wieder gesagt, dass auch mit einer unionsgeführten Regierung keine deutschen Soldaten im Irak wären und es wird auch keine geben. Es gab auch im ersten Golfkrieg unter Bundeskanzler Helmut Kohl keine deutschen Soldaten im Irak-Krieg und daran gibt es überhaupt nichts zu rütteln. Die Kritik hat sich an einem anderen Punkt entzündet. Die Kritik hat sich an dem Punkt entzündet, dass der Bundeskanzler und die Bundesregierung sich sehr frühzeitig festgelegt haben und damit nach meiner Auffassung den internationalen Druck auf Saddam Hussein geschwächt haben, der vielleicht sonst noch dazu geführt hätte, dass wir diesen Krieg hätten überhaupt nicht führen müssen. So hat er stattgefunden. Aber ich kann jedem sagen: kein deutscher Soldat im Irak.

US-Präsident Bush befürwortet einen Beitritt der Türkei zur Europäischen Union. Sie sind strikt dagegen. Zieht da ein neuer transatlantischer Streit auf?

Was das transatlantische Verhältnis anbelangt, geht es ja nicht darum, dass man immer einer Meinung ist. Das hat es nie gegeben zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika. Ich habe in der Tat eine andere Meinung zu der Frage der Vollmitgliedschaft der Türkei. Die Türkei soll sicherheitspolitisch, also geostrategisch, fest an Europa gebunden werden, dazu kann man die Außen- und Sicherheitspolitik auch gemeinsam gestalten.

Die Türkei ist NATO-Mitglied, also würde sich das sehr gut ergeben, aber der Binnenmarkt, also die Europäische Integration ist ja inzwischen sehr tief und da glaube ich, dass die Integrationsfähigkeit der Europäischen Union überfordert würde, wenn wir die Türkei als Vollmitglied aufnehmen, und ich finde wir sollten das vorher deutlich sagen, als dass wir dann in zehn oder fünfzehn Jahren der Türkei sagen müssen, dass die Bevölkerung in einigen europäischen Ländern, zum Beispiel Frankreich, wo Volksabstimmungen stattfinden, nicht bereit ist, dem zuzustimmen. Dann entsteht ein wirklich großer außenpolitischer Schaden, den möchte ich verhindern.

Würden Sie denn als Kanzlerin versuchen, die Beitrittshandlungen zu stoppen oder würden Sie sie so führen, dass der Beitritt unmöglich würde?

Ich mache das, was außenpolitisch immer gemacht wird, wenn wir die Chance dazu bekommen, nämlich Pacta sunt servanda. Das heißt: Das, was die Vorgängerregierung an Verpflichtungen eingegangen ist, das würde auch die Nachfolgeregierung natürlich übernehmen. Wenn die Türkei also die Voraussetzungen erfüllt, dann werden die Beitrittsverhandlungen beginnen. Sie sind als ergebnisoffen deklariert, das heißt wir würden dann unsere Idee in den Verhandlungsprozess mit einbringen, das ist gar keine Frage, aber immer anknüpfend an das, was Vorgängerregierungen bereits beschlossen haben.

Beim TV-Duell mit dem Bundeskanzler ist mir aufgefallen, dass Sie und Bundeskanzler Schröder insgesamt sehr fair und pfleglich miteinander umgegangen sind. War das der Vorbote einer großen Koalition oder Ausdruck davon, dass sie sich gar nicht so unsympathisch sind?

Ich glaube weder noch. Sondern das war das Gebot, dass die Diskussion in Deutschland in einem solchen Duell in einer vernünftigen Form ausgetragen wird. Aber ich halte große Koalitionen für den absoluten Stillstand, deshalb kämpfe ich für einen Wechsel und zwar einen Wechsel mit Union und FDP. Und ein solcher Wechsel ist notwendig, um Deutschland wieder voranzubringen. Alle anderen politischen Konstellationen, die man sich vorstellen kann sind entweder ineffizient, wie die große Koalition oder aber labil, Rot-Rot-Grün zum Beispiel, oder eine Ampel aus SPD, Grünen und FDP. Also alles Konstellationen mit denen Deutschland keinen Millimeter weiterkommt und deshalb kann ich den Menschen nur sagen: diesmal CDU oder CSU wählen, damit wir wirklich diesen Wechsel hinbekommen.

Christian Trippe

Das Gespräch führte Christian F. Trippe, Leiter des Hauptstadtstudios von DW-TV