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"Diffuses Gefühl der Sorge"

Sonja Jordans20. Januar 2016

Können sich Juden in Deutschland noch sicher fühlen? In vielen Gemeinden wächst die Sorge vor zunehmendem Antisemitismus durch Flüchtlinge aus arabischen Ländern. Sonja Jordans hat sich in Frankfurt umgehört.

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Bild: picture-alliance/dpa/F. Rumpenhorst

Lena Stein zündet sich eine Zigarette an, bevor sie antwortet. Auf die Frage, ob sie sich als Jüdin in Deutschland noch sicher fühlt "kann ich nicht einfach mit ja oder nein antworten", sagt die Studentin aus Frankfurt am Main und pustet Rauchwölkchen in die eisige Winterluft. "Das ist ein zu komplexes Thema".

Den "Kontrollblick" über die Schulter, sagt etwa Julian-Chaim Soussan, den behalte er bei. "Zwar ist Deutschland im europäischen Vergleich eines der sichersten Länder aus jüdischer Sicht", so Soussan. "Man ist hier auch seitens der Politik sehr vorsichtig, Antisemitismus nicht aufkommen zu lassen." Dennoch höre auch er davon, dass es durchaus Bedenken gebe, ob sich Juden in Deutschland sicher fühlen können.

Ein Spieler der 2. Fußball-Mannschaft von TuS Makkabi Berlin Freies Format
Staatsschutz-Ermittlungen: Spieler des jüdischen TuS Makkabi in Berlin werden immer öfter angefeindetBild: picture-alliance/ dpa

Sorge vor islamistischen Fundamentalisten

Soussan ist Rabbiner in Frankfurt am Main, mit rund 7000 Mitgliedern eine der vier größten jüdischen Gemeinden in Deutschland. Kindergarten, Schule, Jugendzentrum, Sportvereine, Friedhof – jüdische Einrichtungen gehören ebenso zum Stadtbild wie jene anderer Konfessionen. "Frankfurt ist multikulturell, ich denke, hier lebt jeder nach seiner Fasson, aber trotzdem leben alle gemeinsam", beschreibt Soussan das Lebensgefühl in der Stadt mit ihren mehr als 700.000 Einwohnern. "Wir werden hier unterstützt und beschützt", sagt der Rabbiner. Dennoch betrachte er seine Umgebung genau, "besonders, wenn ich mit der Familie unterwegs bin und Kippa trage". Allerdings, betont Soussan, inzwischen weniger aus Angst vor Rechtsextremisten, sondern aus Besorgnis wegen "islamistischer Fundamentalisten".

Dass diese Angst nicht unbegründet ist, zeigt ein Vorfall aus dem südfranzösischen Marseille. Dort war jüngst ein Lehrer einer jüdischen Schule auf der Straße mit einem Messer verletzt worden. Die Angreifer hätten sich als Unterstützer der Terrormiliz des sogenannten Islamischen Staats ausgegeben, hieß es damals laut Medienberichten. Der Geschichtslehrer sei von drei Personen angegriffen worden, die antisemitische Parolen geäußert hätten.

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Werden sich jüdische Mitbürger künftig sicher fühlen in Deutschland?Bild: picture-alliance/dpa/D. Bockwoldt

"Auch wir Juden waren immer wieder auf der Flucht"

Sorge, dass sich junge muslimische Männer auch hierzulande radikalisieren könnten, hat der Rabbiner aus Frankfurt durchaus auch, obwohl er grundsätzlich Einwanderern aufgeschlossen gegenüber steht. "Wir sind da wirklich in einer Zwickmühle", sagt er mit Blick auf seine Gemeinde. Einerseits sei es "vordringlich für uns, Menschen, die sich auf den Weg machen vor Krieg und Terror, ein Zuhause zu bieten und sie reinzulassen", betont Soussan. "Auch wir Juden waren in unserer Geschichte immer wieder auf der Flucht und wissen, was das für die Menschen bedeutet." Dennoch könne er auch verstehen, wenn vorsichtig und zurückhaltend auf die neuen Flüchtlinge geblickt werde. "Einige dieser Menschen sind nun mal aufgewachsen mit dem Bild, Israel und Juden als Feinde zu sehen", ergänzt Soussan. Aber dann sei es Aufgabe der Gesellschaft, diese Menschen dazu zu bewegen, sich der Mehrheit in diesem Land anzuschließen, die nicht radikal ist.

Der Offenbacher Mendel Gurewitz und seine Söhne werden fast jeden Tag auf der Straße angefeindet, vor allem von Jugendlichen mit arabischen Wurzeln. "Es ist richtig, dass wir Flüchtlinge aufnehmen", erklärt der Rabbiner. "Aber wir haben nicht bedacht, dass sie aus Ländern stammen, in denen sie antisemitisch erzogen wurden. Darauf waren wir nicht vorbereitet." Integration allein reiche nicht aus, um diese Vorurteile zu beseitigen. "Mann muss diesen Menschen erklären, dass es in Deutschland keinen Platz für Antisemitismus gibt."

So sieht es auch Daniel Neumann, Geschäftsführer der jüdischen Gemeinde im südhessischen Darmstadt. "Es ist unsere moralische Pflicht, Menschen zu helfen, die auf der Flucht sind." Dass dadurch Probleme auf Juden in Deutschland und Europa zukommen könnten, schließt er aber nicht aus. Denn: "Radikales Gedankengut bekommt man nicht so schnell aus den Köpfen hinaus." Er fürchte jedoch vielmehr, dass sich Radikale aus arabischen Ländern mit den hier vorhandenen Rechtsextremen zusammenschließen könnten. "Man hat in der Vergangenheit schon gesehen, dass dies möglich ist", so Neumann. "Denn diese Gruppen haben etwas gemeinsam: Vorurteile und Hass auf Juden." Eine solche Gemengelage mache Neumann Sorgen.

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Die jüdischen Gemeinden in Deutschland hatten 2014 mehr als 100.000 Mitglieder.Bild: picture-alliance/dpa/M. Gambarini

Vorsichtshalber ohne Kippa auf die Straße

Dass allein Flüchtlinge zu einer Bedrohung für Juden in Deutschland werden könnten, fürchtet auch Studentin Lena nicht. "Diese Menschen sind doch selbst vor Terror und Krieg geflohen, sie wollen auch in Ruhe und Frieden leben und nicht von Fundamentalisten unterdrückt werden", sagt die 25-Jährige. Lena fühlt sich jedenfalls nicht unsicher, wenn sie in Frankfurt durch die Straßen geht. "Aber ich habe auch nirgendwo an mir dranstehen, dass ich Jüdin bin", schränkt sie ein. Diesen Satz sagt auch Daniel Neumann. "Solange man es uns nicht ansieht, haben wir nur ein diffuses Gefühl der Sorge, aber keine Angst."

Bedenken, dass sie oder die Kinder aus ihrer Familie bei Aufenthalten in Einrichtungen der jüdischen Gemeinde nicht sicher sein könnten, hat Lena jedoch auch nicht. "Die sind ja alle sehr gut geschützt, da ist man wirklich sicher." Dennoch: "Provozieren muss man aber auch nichts", findet Lena und bezieht sich damit auf die Frage, ob Juden ihre Kippa auf der Straße tragen sollten. Nein, sagt sie. Es könnte einen Radikalen womöglich dazu verleiten, den Kippaträger anzugreifen.

Anderer Ansicht ist da Julian-Chaim Soussan. "Wir sind hier in Deutschland, wir dürfen frei sein", sagt er. Er trage seine Kippa auch in der Öffentlichkeit, weil sie zum normalen Straßenbild gehören solle. Wie das Kopftuch? "Ja", sagt der Rabbiner auf Nachfrage, "wie das Kopftuch."