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"Ich habe bewusst die Vertrauensfrage gestellt"

16. November 2001

Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) verband am Freitag die Afghanistan-Debatte des Bundestages mit der Vertrauensfrage. Die Rede des Kanzlers dokumentiert dpa in Wortlaut-Auszügen.

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"Die jüngsten Entwicklungen in Afghanistan sind ermutigende Erfolge im Kampf gegen den internationalen Terrorismus. In weiten Teilen des Landes sind die Menschen aus dem Würgegriff des Menschen verachtenden Taliban-Regimes befreit worden ... Durch die militärischen Maßnahmen ist der Weg frei geworden zur humanitären Versorgung der Not leidenden afghanischen Bevölkerung. Gleichzeitig kann und muss jetzt der Prozess einer dauerhaften Stabilisierung des Landes beginnen...

Militärischen Aspekt nicht ausblenden

Der bisherige Verlauf dieser Auseinandersetzung zeigt uns auch, dass es richtig und wichtig war, auf eine umfassende Strategie zur Bekämpfung des Terrorismus zu setzen. Und damit meine ich eben auch den militärischen Aspekt dieser Auseinandersetzung nicht auszublenden. Dabei haben wir stets betont, wir setzen nicht allein und schon gar nicht ausschließlich auf militärische Maßnahmen. Aber es gibt Situationen, in denen eine von allen gewollte politische Lösung militärisch vorbereitet, erzwungen und schließlich auch durchgesetzt werden muss. Wer die Fernsehbilder von den feiernden Menschen in Kabul nach dem Abzug der Taliban gesehen hat, und ich denke hier vor allen Dingen an die Bilder der Frauen, die sich endlich wieder frei auf den Straßen bewegen dürfen, dem sollte es nicht schwer fallen, das Ergebnis der Militärschläge im Sinne der Menschen dort zu bewerten...

Der Kampf gegen den Terror wird noch lange dauern und er wird uns einen langen Atem abverlangen. Schnelle Erfolge sind keineswegs garantiert. Doch der Kampf ist zu gewinnen und wir werden ihn gewinnen, wenn wir alle Mittel, die dafür notwendig sind, aufeinander abgestimmt, aber eben auch konsequent einsetzen...

Gewachsene Verantwortung in der Welt

Die Entscheidung, die für die Bereitstellung deutscher Streitkräfte zu treffen sind, nimmt niemand auf die leichte Schulter, auch ich nicht. Aber sie ist notwendig, und deshalb muss sie getroffen werden. Wir erfüllen damit die Erwartungen unserer Partner, und wir leisten das, was uns objektiv möglich ist und was politisch verantwortet werden kann. Aber mehr noch, durch diesen Beitrag kommt das vereinte und souveräne Deutschland seiner gewachsenen Verantwortung in der Welt nach...

Ich habe bewusst die Vertrauensfrage nach Artikel 68 des Grundgesetzes und den Antrag über die Bereitstellung deutscher Streitkräfte für den Kampf gegen den Terrorismus miteinander verknüpft. Denn der Bundeskanzler kann seinem Amt und kann seiner Verantwortung für das Gemeinwohl nur dann entsprechen, wenn seine Person und wenn sein Programm das Vertrauen und die Zustimmung der ihn tragenden Mitglieder des Hohen Hauses finden. So sehr ich die Bereitschaft der Oppositionsfraktionen begrüße, den Bereitstellungsbeschluss als solchen mitzutragen, so deutlich wird doch am absehbaren Nein der Opposition zur Abstimmung in der Vertrauensfrage, dass eine solche Parlamentsmehrheit eben nicht in dem notwendigen Umfang belastbar ist...

...dass das Nein der Oppositionsfraktion in der Vertrauensfrage kein Nein zum Beschluss über die Bereitstellung deutscher Streitkräfte ist. Dieses ist wichtig zum Ausdruck gebracht zu werden, weil damit klar ist, dass auch die wichtigen Oppositionsfraktionen in diesem Hause die Entscheidung als solche tragen, wenn sie auch gehindert sind, und das ist ein ganz normaler parlamentarischer Vorgang, in der Vertrauensfrage mit Ja zu stimmen.

Keine Einschränkung der Gewissensfreiheit

Der Antrag nach Artikel 68, das ist mir wichtig zu betonen, ist in unserer Demokratie ein verfassungsrechtlich und übrigens auch verfahrenstechnisch eindeutig geregelter Vorgang im Verhältnis zwischen Bundeskanzler und Parlament. Das gilt ausdrücklich auch für die Verbindung der Vertrauensabstimmung mit einer Sachfrage. ... habe ich kein Verständnis dafür, dass der eine oder andere im Vorfeld von einer Einschränkung der Gewissensfreiheit durch eben dieses Verfahren gesprochen hat."