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Ich, der Bundespräsident

24. September 2009

Sie agieren im Hintergrund der Mächtigen, trotzdem laufen bei ihnen alle Fäden zusammen. Die Fitmacher der Politiker sind Redenschreiber, Medientrainer und Verhaltenspsychologen. Kein Politiker kann heutzutage ohne sie.

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Angela Merkel (Foto: dpa)
Machtworte? Was Merkel sagt, haben andere gedachtBild: picture-alliance / dpa

Fast könnte man sagen, er habe Deutschland verändert. Auch wenn Michael Engelhard das so nicht sagen würde. "Ich habe Ideen durch die Reden des Bundespräsidenten in die Gesellschaft getragen", sagt er, um gleich einzuschränken: "Ein Redeentwurf für einen Politiker ist trotzdem nur ein Vorschlag, den er akzeptieren, verwerfen oder ändern kann."

Er hat unzählige Manuskripte für die Ex-Bundespräsidenten Walter Scheel und Richard von Weizsäcker geschrieben. Auch für Hans-Dietrich Genscher, als dieser Außenminister war. Sein Beruf: Redenschreiber. Ein politisches Amt wollte er aber nie selbst ausführen: "Ich herrsche nicht gerne und erteile ungern Befehle. Ich kann mit Menschen nur kommunizieren, wenn sie auf meiner Ebene stehen. Aber ich kann denken." Und das ist unerlässlich für einen Redenschreiber: Er muss immer auf dem neuesten Stand sein, um Redner und Redesituation richtig einschätzen zu können.

Steinmeier umgeben von Medien (Bild: dpa)
Politiker sind moderne Popstars: "Viele brauchen Navigationshilfen"Bild: picture-alliance/ dpa

Sprachrohr der Politiker?

Engelhard hat vor 20 Jahren aufgehört. Heutzutage, sagt er, seien die Redenschreiber oft nur noch das Sprachrohr der Politiker. Das sei aber nicht ihre Aufgabe, sondern die der Pressesprecher. Ein Redenschreiber mache Vorschläge. "Die Redenschreiber von Frau Merkel sind ganz eindeutig Parteimitglieder, die die Position der Kanzlerin verbalisieren."

Er selbst sei "zeitlebens Sozialdemokrat" gewesen, sagt Engelhard, für zehn Jahre sogar mit Parteibuch. Für die FDP-Politiker Scheel und Genscher hat er trotzdem geschrieben, genau wie für den Christdemokraten Weizsäcker. "Die waren liberal genug, um einen Gedanken, nur weil er von einem Sozialdemokraten kam, nicht für miserabel zu halten." Nie hätte er eine glasklare FDP-Ideologie für einen FDP-Bundespräsidenten schreiben können, sagt Engelhard mit Nachdruck. "Ich bin nicht bereit, irgendeinen Satz zu schreiben, den ich für falsch halte."

"Ich kann auch gegen mich argumentieren"

Bundeskanzlerin Merkel und Herausforderer Steinmeier beim TV-Duell
Erst kommt die Gestik, dann der Inhalt: Merkel und Steinmeier beim TV DuellBild: AP

Andreas Franken, der gerade für eine Bundestagskandidatin schreibt, sieht das pragmatischer: "Es fällt mir nicht schwer, über meinen Schatten zu springen und einen Redner auch gegen meine persönliche Überzeugung argumentieren zu lassen."

Wer es in der Politik weit bringt, hat in der Regel einen eigenen, festangestellten Redenschreiber. "Auch von denen haben wir schon einige gecoached", sagt Franken. Die direkten Mitarbeiter würden sich aber oft nicht trauen, ihren Vorgesetzten gegenüber ehrlich zu sein. "Da sehe ich meinen Vorteil als Unabhängiger. Wir sind ja wirklich nirgendwo angestellt und arbeiten nicht im Referat irgendeines Ministeriums, wir dürfen den Leuten in einem Coaching die Wahrheit sagen."

Kompliziert und bürokratisch

Ex-Bundespräsident Walter Scheel (FDP)
Ex-Bundespräsident Walter Scheel (FDP) ließ sich von einem Sozialdemokraten Reden schreibenBild: AP

Und die Wahrheit kann auch mal wehtun: "Angela Merkel gefällt mir nicht als Rednerin. Sie kommt immer noch zu überheblich rüber, obwohl sie es gar nicht nötig hat: Sie hat nämlich Humor. Sie verwendet viel zu viele Substantive und viel zu komplizierte Sätze." An ihrem Herausforderer Frank-Walter Steinmeier lässt Franken allerdings auch kein gutes Haar: "Er wirkt immer noch viel zu dröge, viel zu bürokratisch, er hat dieses Außenministerimage noch nicht ablegen können." Der Mediencoach Christoph Schwab, der Politiker aus CDU- und FDP-Kreisen berät, sieht der Bundeskanzlerin ihre Fortschritte in punkto Medienkompetenz dagegen bei jedem Auftritt an: "Betonung, Intonationsbögen, Satzbau, Choreographie, Körpersprache: da hat sie sich enorm verbessert. Sie ist mittlerweile ein Medienprofi."

Moderne Popstars

Mit nur einem Redenschreiber allein scheinen Spitzenpolitiker heute nicht mehr weit zu kommen, ein ganzer Stab von Beratern ist für sie zuständig. "Politiker sind heute wie moderne Popstars und die Medien fördern das enorm. Da brauchen viele wirklich dringend Navigationshilfe", sagt Schwab. Zum Rat müsse aber auch die Tat kommen. "Ich spiele im Training mit den Politikern originalgetreue Szenen nach, setze sie unter Druck, greife an, kritisiere und versetzte mich in die Situation des Kontrahenten. Das Ganze wird mit der Kamera aufgenommen und dann immer wieder reflektiert und analysiert." So kann ein Medientraining schon mal wie Schauspielunterricht ablaufen. Umkrempeln könne und wolle er trotzdem niemanden: "Nicht jeder Politiker ist coachbar."

Erst Emotionen, dann Inhalt

"93 Prozent unserer Aufmerksamkeit werden von Gestik, Mimik und dem äußeren Erscheinungsbild eines Politikers eingenommen", erklärt Schwab. Ein Lächeln hier, eine einladende Geste dort: Um die Wähler zu überzeugen, zählen nicht zuerst die Argumente. "Emotionale, gestische, mimische oder rhetorische Elemente dienen immer dazu, den Zuschauer zu erreichen, um dann den Inhalt darüber setzen zu können", erklärt Schwab. Michael Engelhard spricht einen weiteren entscheidenden Punkt an: "Bei Frank-Walter Steinmeier spürt man hinter den Sätzen, mit denen er zu überzeugen versucht, eine Rationalität. Aber man spürt nicht, dass der Mann dahinter steht. Man weiß nicht, wovon er eigentlich überzeugt ist." Glaubwürdigkeit sei das A und O. "Es muss eine Einheit von politischer Vision und Person geben. Dann erst hören die Wähler zu".

Autorin: Clarice Wolter

Redaktion: Elena Singer