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Ist der Friedensprozess tot?

2. April 2009

Israels neuer Außenminister Lieberman hat in seiner Antrittsrede den Annapolis-Friedensprozess für beendet erklärt. Suleiman Abu-Dayyeh im DW-WORLD-Interview über verbleibende Chancen, Rassismus und die neue Regierung.

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Suleiman Abu Dayyeh von der Friedrich Naumann Stiftung in Jerusalem (Foto: DW)
Befürchtet gewaltsame Auseinandersetzungen: Abu DayyehBild: S. Abu Dayyeh

DW-WORLD.DE: Als am Dienstagabend Benjamin Netanjahu nach langen Verhandlungen seine Regierungskoalition in der israelischen Knesset bestätigt bekam, was haben Sie da gedacht?

Suleiman Abu Dayyeh: Das ist die rechteste Regierung, die Israel je gehabt hat: Sie hat Mitglieder, die klare rassistische Ansichten gegenüber Palästinensern haben. Diese Regierung ist weder an einer Fortsetzung des Friedensprozesses interessiert, noch an der Gründung eines palästinensischen Staates und der Einstellung der Siedlungstätigkeiten in den palästinensischen Gebieten.

Der neue Außenminister Lieberman hat in seiner Antrittsrede den Annapolis-Friedensprozess mit den Palästinensern für beendet erklärt und damit alle Verhandlungen mit den Palästinensern über die Kernfragen des Nahost-Konfliktes und einen eigenen Staat ausgeschlossen, solange sie nicht alle Auflagen der "Road Map" von 2003 erfüllt haben. Ist der Friedensprozess damit tot?

Ich denke schon. Wenn die Regierung sich noch nicht einmal an das gebunden fühlt, was die vorherige unterschrieben hat, dann erwarte ich nichts anderes, als dass sie nicht an einer Fortsetzung der Friedensgespräche mit den Palästinensern interessiert ist. Nicht nur das: Ich glaube, sie will auch keinen weiteren Dialog mit Syrien. Netanjahu und Lieberman haben ganz klar zum Ausdruck gebracht, dass sie auch nicht an einen Rückzug aus dem Golan denken. Insofern weiß ich nicht, über was man in einem Friedensprozess mit dieser Regierung noch verhandeln will.

Ist denn Verteidigungsminister Ehud Barak von der sozialdemokratischen Arbeitspartei kein Gegengewicht innerhalb der Koalition?

Ehud Barak ist die Inkarnation der Siedlungstätigkeit in Israel. Für mich ist die Arbeitspartei in der Koalition eine rein kosmetische Maßnahme, ein Feigenblatt. Er verfolgt im Grunde keine andere Politik als Netanjahu. Insofern sehe ich ihn nicht als Gegengewicht innerhalb der Koalition, vor allem, weil er die Siedlungstätigkeit betont und den Rückzug aus den Golanhöhen ausschließt.

Demnach werden sich die Fronten zwischen Israelis und Palästinensern verhärten. Was müsste denn passieren, um wieder Bewegung in den Friedensprozess zu bekommen?

Man kann nur hoffen, dass sich die internationale Gemeinschaft an ihre Verantwortung erinnert und Israel dazu auffordert, sich an die internationalen Beschlüsse - vor allem die der UN - gebunden zu fühlen und sie umzusetzen. Wenn sie nicht intervenieren, dann befürchte ich dramatische Entwicklungen in dieser Region und eine Verschärfung der Lage. Ich schließe auch eine gewalttätige Auseinandersetzung mit den Nachbarn Israels nicht aus.

Befürchten Sie auch eine weitere gewalttätige Auseinandersetzung zwischen Israel und den Palästinensern?

Je nachdem, wie sich die Praxis der israelischen Armee in den besetzten Gebieten entwickelt. Wenn sie die Abriegelung in den besetzten Gebieten verschärfen und weiterhin den Gazastreifen abriegeln, schließe ich solche Auseinandersetzungen nicht aus und sogar den Ausbruch einer dritten Intifada halte ich für möglich. Aber das hängt von den Praktiken der neuen Regierung ab und davon, wie sie mit der Bewegungsfreiheit der Palästinenser umgeht: Die Palästinenser leben und arbeiten seit vielen Jahren in einer Blockadesituation, so dass ein normales Wirtschaften unmöglich gemacht wird!

Sie sind Palästinenser und arbeiten in Israel. Wie fühlen Sie sich, wenn der neue Außenminister Liebermann von den palästinensischen Israelis einfordert, sie sollten ihre Solidarität mit Israel unter Beweis stellen?

Mich selber betrifft das nicht, aber diejenigen, die die israelische Staatsangehörigkeit besitzen. Ich denke, wir steuern auf eine direkte Konfrontation zwischen der palästinensischen Minderheit in Israel und der jüdischen Bevölkerung zu. Vor allem, wenn man die rassistischen Verlautbarungen und Positionen Liebermans und anderer Minister hört, in denen von der Deportation tausender Palästinenser aus Israel die Rede ist. Und von ihnen verlangen sie den Beweis ihrer Loyalität gegenüber einem Staat, der sie nie gleichberechtigt behandelt hat, obwohl sie die ursprüngliche Bevölkerung dieses Landes sind!



Suleiman Abu-Dayyeh wurde in Beit Jala (bei Bethlehem) geboren. Er studierte Sozialwissenschaften in Bochum, Münster, Bonn und Bremen und leitet seit 1994 das Palästina Desk der Friedrich-Naumann-Stiftung in Jerusalem.

Das Interview führte Sarah Mersch (ina)