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Iberoamerika-Gipfel beendet

Steffen Leidel16. November 2003

Vier Wochen nach dem Sturz des Präsidenten von Bolivien trafen sich dort Staats- und Regierungschefs zum Iberoamerika-Gipfel. Das Ziel: Eine gemeinsame Politik zu entwickeln. Bis dahin ist es aber ein langer Weg.

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Gastgeber: Boliviens neuer Präsident Carlos MesaBild: AP

Es hatte eine starken symbolischen Charakter, dass der diesjährige Iberoamerika-Gipfel ausgerechnet in Santa Cruz im Tiefland von Bolivien stattfand. Das Land bietet in konzentrierter Form den Konfliktstoff, der sich zurzeit in vielen lateinamerikanischen Länder in unterschiedlicher Ausprägung verbirgt. Es ist die tiefe Kluft zwischen einer reichen Elite und einer zum großen Teil verarmten Bevölkerung. Mehr als die Hälfte der bolivianischen Bevölkerung lebt von weniger als zwei Dollar pro Tag und sieht sich von den politischen Führern nicht repräsentiert.

Diese sozialen Spannungen sind eines der Themen, die mehr als zwanzig Staats- und Regierungschefs aus Lateinamerika, der Karibik sowie Spanien und Portugal auf dem Treffen am Freitag und Samstag (14.11) diskutierten. Erstmals nahm auch UN-Generalsekretär, Kofi Annan, teil. Entscheidungen von großer Tragweite werden beim Iberoamerika-Gipfel gewöhnlich nicht getroffen. Auch dieser Gipfel war keine Ausnahme. Die Staats- und Regierungschefs wollen die soziale Ungleichheit und Armut in der Region bekämpfen und einigten sich auf die Einrichtung eines ständigen Sekretariats.

Statt Entscheidungen zu treffen dient der Gipfel den Regierungschefs und Staatsmännern denn auch eher als Forum, um die Probleme des Kontinents zu diskutieren. Diese sind eben neben der tiefen Armut, die Kritik an der Vormachtstellung der USA und "hausgemachte" Probleme wie Korruption und Drogenhandel. Das Treffen ist auch immer eine Art Barometer für die Stimmungslage Lateinamerikas. Und die ist derzeit vielerorts aufgebracht und angeheizt.

Verarmte Landbevölkerung

Noch bis vor wenigen Wochen war unklar, ob der diesjährige Iberoamerika-Gipfel in Bolivien stattfinden kann. Anfang Oktober hatten indianische Gewerkschaftler und Kokabauern zum Aufstand gegen den Präsidenten Gonzalo Sánchez de Lozada aufgerufen. Die Bilanz: 80 Tote und über 200 Verletzte. Auslöser des Konflikts war der Export von Erdgas über Chile in die USA. Seine Ursachen liegen freilich tiefer: In der Revolte entlud sich der lang angestaute Zorn vor allem der verarmten, indianischen Bevölkerung. Sie sah sich nicht von einem Präsidenten repräsentiert, der in den USA aufgewachsen ist, besser englisch als spanisch spricht und der mit Minengeschäften Millionen Dollar privates Vermögen anhäufte. Der gestürzte Präsident musste schließlich nach Miami fliehen.

Evo Morales, Präsidentschaftskandidat der MAS in Bolivien
Evo Morales, Oppositionsführer in BolivienBild: AP

"Wir müssen den Neoliberalismus begraben", sagte der Anführer der Koka-Bauern und Identifikationsfigur der Ureinwohner, Evo Morales, im Vorfeld des Gipfels. Er ist auch der "Stargast" auf dem alternativen "Sozialgipfel", der parallel zum offiziellen Treffen der Staatschefs in Santa Cruz stattfindet. Hunderte Menschenrechtsorganisationen, Globalisierungskritiker, soziale Bewegungen und über 20.000 Bauern wollen daran teilnehmen und gegen soziale Ungerechtigkeit in Lateinamerika protestieren.

Scharfe Kritik an den USA

Detlef Nolte vom Institut für Iberoamerika-Kunde in Hamburg sieht auch in Peru, Ecuador und Venezuela "Spannungspotentiale". "Auch hier sind die sozialen Probleme nicht gelöst", sagt Nolte im Gespräch mit DW-WORLD. In Ecuador ist die Wirtschaftslage dramatisch, 15 Prozent der Bevölkerung sind ausgewandert. In Peru liegt die Popularität von Präsident Alejandro Toledo am Boden und in Venezuela ist angesichts anhaltender Misere das Image des Populisten Hugo Chavez, einst Vorbild der Armen, angekratzt. Insgesamt leben heute etwa 209 Millionen Lateinamerikaner in Armut, 1990 waren es 190 Millionen.

Nolte glaubt allerdings nicht, dass die sozialen Unruhen auf Länder wie Chile, Brasilien, Argentinien oder auf mittelamerikanische Staaten ausstrahlen werden. "In Argentinien setzt ja gerade eine gewisse wirtschaftliche Erholung ein", sagt der Experte. Ein Reizthema bleibt für die meisten Länder allerdings die von den USA gewünschte gesamtamerikanische Freihandelszone ALCA, die einen gemeinsamen Markt für mehr als 800 Millionen Menschen zwischen Alaska und Feuerland schaffen soll.

Brasilien auf dem Weg zur Nummer Eins

Vor allem Brasilien, schon wegen seiner Größe eine Wirtschaftsmacht, ist am Schutz seines Binnenmarktes interessiert und ist der größte Kritiker der Agrarsubventionen und Handelsbarrieren, die sich Europa und die USA beharrlich leisten. "Präsident Lula versucht eine regionale Führungsposition in Lateinamerika in Anspruch zu nehmen", sagt Nolte. Ein weiterer mächtiger Staat in der Region ist Argentinien. Dort ist nach Ansicht des Experten Präsident Néstor Kirchner noch dabei, seine Macht auf nationaler Ebene zu konsolidieren. Dennoch sind Kirchner und Lula auf dem besten Weg, sich als neue Lenker Lateinamerikas zu etablieren. Erst vor einem Monat haben sie dem "Konsens von Washington", dessen neoliberale Rezepte jährelang die Wirtschaftspolitik viele lateinamerikanischer Länder diktierte, verworfen und ihm den "Konsens von Buenos Aires" entgegengesetzt. Hauptziele sind die regionale Integration, die Festigung der Demokratie und eine gerechtere Verteilung des Wohstands sowie mehr Mitbestimmungsrechte für die zivile Gesellschaft.