1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

„Hört – und ihr werdet leben“ (Dtn 4,1)

11. Juli 2015

„Höre!“ – beginnt Benedikt von Nursia seine Mönchsregel. „Hört – und Ihr werdet leben!“ heißt es im Alten Testament. Pater Heribert Arens OFM von der katholischen Kirche über eine Grundhaltung des gottgläubigen Menschen.

https://p.dw.com/p/1Fw9W
Zwei Jungen flüstern sich News und Geheimnisse ins Ohr
Bild: Fotolia/Markus Bormann

Hört - und ihr werdet leben

Stellen Sie sich vor, Ihre Ohren würden den Dienst versagen, sie könnten nicht mehr hören. Sie könnten keine Musik mehr hören und erleben, diese Wunderwelt von Melodien, Stimmen und Klängen, Harmonien und Disharmonien, die in der Lage sind, Ihre Gemütsverfassung aufzufangen und auszudrücken. Wären Ihre Ohren taub, Sie könnten beim Waldspaziergang das Gezwitscher der Vögel nicht hören, das Rascheln des Windes in den Blättern, das Klopfen des Spechtes. Nicht zuletzt: Sie würden zwar die Menschen um sich sehen, aber nicht mitbekommen, was sie sagen, nicht ihre hässlichen Worte, aber auch nicht ihre liebevollen.

Wie viel Lebensreichtum wird mir durch meine Ohren geschenkt:
das gute Wort, das mir sagt, dass ich geliebt bin,
das wegweisende Wort, das mir zur Orientierung hilft,
das lobende Wort, das einfach gut tut,
das Wort der Verzeihung, das den Neuanfang ermöglicht,
das Wort der Diskussion, das anregt und manchmal aufregt,
das witzige Wort, das mich lachen lässt.

Hören baut Brücken
Hören ist eine Lebensquelle. Sie bereichert mein Leben, ja, sie erschließt Leben.
Wenn ich gut zuhöre, bringe ich dadurch zum Ausdruck, dass ich mir nicht selbst genüge: ich bin nicht die ganze Welt, ich brauche Ergänzung, die nicht aus mir selbst kommt, sondern von außen. Durch mein Zuhören zeige ich, dass ich Erwartungen an meine Mitmenschen habe: „Ich traue Dir zu, dass Du mir Wichtiges, vielleicht auch Schönes zu Gehör bringst.“ Hörend zeige ich: „Ich schätze Dich, ich baue auf Deine Gaben und Begabungen.“ „Ich weiß, Du bist reich, wo ich arm bin, Du kannst und willst geben, wo ich bedürftig bin.“ Hören ist Ausdruck meiner Wertschätzung.

Indem ich höre, baue ich eine Brücke nicht nur zum Verstand des Mitmenschen, sondern auch zu seiner Seele: ich nehme Anteil an dem, was ihn beglückt, erfreut oder schmerzt. Hören baut Brücken!

„Hört, und Ihr werdet leben“ (Dtn 4,1) – Diese Aufforderung richtet Mose in einer Rede an das Volk Israel. Hören als Weg zum Leben – das hat mich schon überrascht! Wenn ich mir die Fernsehwerbung anschaue, sind es ganz andere Dinge, die mir als Weg zum Leben angepriesen werden: Diäten, Weltreisen, Computerspiele, Wellnessurlaub – Genieß das, und dein Leben gewinnt an Qualität!

Aber hören? Hören soll ein Weg zum Leben sein? Je mehr ich darüber nachdenke, umso mehr bin ich davon überzeugt: das ist ein wahres Wort!
Eltern wissen um diese Wahrheit, wenn sie ihrem Kind vorhalten: „Kannst du denn nicht hören?!“ Mit dem, was sie ihrem Kind sagen, wollen sie ihm gute Wege ins Leben zeigen. Der alte Mensch weiß, wieviel Lebensqualität verlorengeht und wie sehr der Kontakt zur Außenwelt und damit der Anschluss an den Fluss des Lebens gestört ist, wenn die Ohren nachlassen.

Hören – ein Weg zum Leben
So verwundert es nicht, dass „hören“ auch eine entscheidende Bedeutung für die Beziehung des Menschen zum Gott des Lebens hat:
„Höre, Israel!“ (Dtn 6,4) – so lautet die werbende Einladung Gottes an sein Volk. Sie sollen auf ihren Gott hören, denn der hat „Worte des Lebens“ – wie es in der Bibel heißt. Darum hat das „Höre, Israel!“ eine so große Bedeutung für die Menschen der Bibel und für das jüdische Volk bis auf den heutigen Tag. Es ist das Morgen- und Abendgebet des frommen Israeliten. Es findet sich, auf Pergament geschrieben, in einer Schriftkapsel, der Mesusa, an den Türpfosten der Häuser. Die Mesusa wird beim Gehen und Kommen ehrfürchtig berührt – ähnlich wie Katholiken das Weihwasser nehmen. „Höre, Israel!“ – mit diesen Worten beginnt das israelitische Glaubensbekenntnis. Es erinnert an die befreienden Taten Gottes in der Geschichte.

„Hört – und Ihr werdet leben!“ Gehe ich auf diese Einladung ein, werde ich reich beschenkt, denn viele Geschenke nehmen den Weg über meine Ohren in mein Herz. Dort will das Hören münden, denn, in Anlehnung an Antoine de Saint-Exupéry, „man hört nur mit dem Herzen gut, das Wesentliche bleibt den Ohren verborgen.“

Zum Autor:

Pater Heribert Arens OFM Geismar Kloster Hülfensberg
Pater Heribert Arens OFMBild: Heribert Arens

Der Franziskaner, Pater Heribert Arens, lebt im Kloster Vierzehnheiligen bei Bad Staffelstein in Oberfranken. Der Autor und Herausgeber mehrerer Bücher, insbesondere zu Predigt und Spiritualität, ist Mitarbeiter bei der Zeitschrift „Der Prediger und Katechet“ und Mitglied im Kuratorium für den „Deutschen Predigtpreis“.


Redaktionelle Verantwortung: Dr. Silvia Becker, Katholische Hörfunkbeauftragte, und Alfred Herrmann