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Höhepunkte des Jazzfest Bonn 2016

Conny Paul7. Mai 2016

Auch im siebten Jahr seines Bestehens bot das Jazzfest Bonn viele Beispiele dafür, was Jazz ist, und was Jazz sein kann. Große Stimmen und herausragende Pianisten standen experimentellen Neuentdeckungen gegenüber.

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Michael Wollny (Foto: Jazzfest Bonn)
Bild: Jazzfest Bonn/Lutz Voigtländer

Der künstlerische Leiter und Gründer des Jazzfest Bonn, Peter Materna, hielt an seinem Konzept fest und präsentierte vom 22. April bis zum 7. Mai an jeden Festivalabend zwei Konzerte hintereinander. Dabei setzte er, wie bereits gewohnt, auf Reibung: Das Publikum kam in den doppelten Genuss, jeweils einen renommierten Act und zusätzlich meist sehr experimentierfreudige Künstler zu erleben.

Auftakt voller Emotionen

Vier Wochen vor dem Beginn des Bonner Jazzfestes sorgte die Nachricht vom plötzlichen Tod des deutschen Jazzsängers Roger Cicero für großes Entsetzen. Der 45-jährige Musiker hatte eigentlich am 22. April das siebte Jazzfest im "Telekom Forum" eröffnen sollen. Nun sprang sein Kollege, der Bassbariton Thomas Quasthoff, ein. Der weltweit erfolgreiche frühere Konzertsänger hatte sich 2012 aus gesundheitlichen Gründen von der großen Bühne verabschiedet. Seitdem tritt er sehr oft mit einem Jazzprogramm auf.

Thomas Quasthoff (Foto: Jazzfest Bonn)
Thomas Quasthoff - eingesprungen für den plötzlich verstobenen Musiker Roger CiceroBild: Jazzfest Bonn

Mit seinen exzellenten Musikern Frank Chastenier am Klavier, Dieter Ilg am Bass und dem Schlagzeuger Wolfgang Haffner widmete er seinem Freund Roger Cicero den Song "We'll be Together Again" von Frank Sinatra. Thomas Quasthoff begeisterte anschließend sein Publikum vor allem mit seinen Interpretationen von Jazzstandards. Zuvor war das Bundesjazzorchester unter der Leitung von Niels Klein aufgetreten. Die Big Band mit den besten Nachwuchsmusikern der deutschen Jazzszene spielte ein Programm, das voller Gegensätze war und mit der Gegenüberstellung von Schönklang und Soundbrüchen experimentierte.

Große Stimmen

Sängerinnen und Sänger mit wirklich starken Stimmen begeisterten das Publikum. Was mit Thomas Quasthoff begann, setzte einen Tag später die Berlinerin Lisa Bassenge fort. Im Haus der Geschichte präsentierte sie Lieder ihres aktuellen Albums "Canyon Songs", das sie in Los Angeles eingesungen hat. Es vereint Coverversionen von Balladen wie "All stripped Down" von Tom Waits oder "Riders on the Storm" von den Doors. Eine weitere starke Stimme aus Deutschland: Julia Zipprick aus Köln. Am dritten Festivaltag verzückte sie mit ihrem feinen Gespür für das Wechselspiel von Ernsthaftigkeit, Melancholie und Augenzwinkern das Publikum im Volksbankhaus.

Lisa Simone (Foto: Jazzfest Bonn)
Jazz, Soul, Funk, Blues: Lisa Simone bot eine ganz große ShowBild: Jazzfest Bonn/Lutz Voigtländer

Lisa Simone, die Tochter der legendären Jazzsängerin und -Pianistin Nina Simone zog alle Register ihrer Stimme und verwöhnte das Publikum mit einer Mischung aus Jazz, Blues, Soul und Funk. Ebenso überzeugend war ihre Band mit drei Musikern aus Paris. Das Publikum bedankte sich mit Standing Ovations.

Am 1. Mai strömten die Bonner Jazzfans in die Aula der Universität. Star des Abends: Bettye LaVette. Gerade siebzig geworden, präsentierte die Soul-Diva mit ihrer erstklassig besetzten Band Songs ihres aktuellen Albums "Worthy". Sie interpretierte mit ihrer ausdrucksstarken Stimme auch Hits von Bob Dylan, den Rolling Stones oder den langsamen Blues "Isn't it a Pity" von George Harrison.

Ein weiteres Highlight war das Konzert der dänischen Sängerin Cæcilie Norby und ihres Begleiters an Kontrabass und Cello, Lars Danielsson, aus Schweden. Das Ehepaar gilt als "Traumpaar der nordischen Jazzszene" und fesselte das Publikum mit wunderbaren Melodien. Pop und Jazz verschmolzen mit großer Virtuosität. Die Fans feierten die beiden Künstler mit frenetischem Applaus.

Grandiose Pianisten

Wolfgang Dauner (Foto: Jazzfest Bonn)
Wolfgang Dauner zeigt auch mit 80 noch jede Menge SpielfreudeBild: Jazzfest Bonn/Walter Schnabel

Auch eine Reihe beeindruckender Jazzpianisten kam an den Rhein. Allen voran der deutsche Jazzer Wolfgang Dauner, der vor nicht allzu langer Zeit seinen 80. Geburtstag gefeiert hat. Er tourt derzeit mit seinem Sohn Flo am Schlagzeug munter und voller Spielfreude durch Deutschland. Vater und Sohn sorgten mit ihrem kreativen Zusammenspiel für eine hervorragende Stimmung.

Ramón Valle reiste aus Kuba an, Matt Herskowitz mit seinem Trio und Richie Beirach im Duo mit dem Saxofonisten Dave Liebman kamen aus den USA nach Bonn.

Für besondere musikalische Überraschungen ist seit mehreren Jahren und diversen Alben der deutsche Pianist Michael Wollny bekannt. Sein Prinzip: Es gibt immer einen auskomponierten zentralen Teil eines Stückes. Immer neu gestaltet, weil improvisiert, sind der Anfang und das Finale. So ereignet sich stets Unerwartetes. Wollny möchte mit jeder neuen Platte eine neue Geschichte erzählen oder einen neuen Klang ausprobieren. Das Publikum in der ausverkauften Aula der Universität war begeistert von Wollny und seinen Mitstreitern Christian Weber am Bass und Eric Schaefer an den Drums. Für sein aktuelles Trio-Album "Nachtfahrten" wird der 37-jährige Schweinfurter Ende Mai den Musikpreis ECHO Jazz erhalten. Wollnys Album schaffte es in Deutschland sogar in die Popcharts.

Michael Wollny Trio (Foto: Jazzfest Bonn)
Viel umjubelt: das Michael Wollny TrioBild: Jazzfest Bonn/Lutz Voigtländer

Freud und Leid des Experimentierens

Festivalchef Peter Materna wollte von Beginn an auch experimenteller Musik eine Bühne geben - auch auf die Gefahr hin, dass solche Sound-Experimente dem Publikum missfallen könnten. Dazu lud er unter anderem den Schlagzeuger Antonio Sanchez nach Bonn ein. Der Grammy-Gewinner wurde in Mexiko geboren und lebt heute in New York. Mit seiner Band Migration spielte er am Stück eine rund 75-minütige Suite. Das Publikum brauchte Durchhaltevermögen. Denn das Werk betörte zum einen mit sphärischen Klängen und provozierte gleichermaßen mit brutalen Rockelementen, die voll auf die Trommelfelle einschlugen.

Sehr mutig zeigte sich auch die Kopenhagener Formation Girls in Airports. Allerdings gingen die Musiker um den Saxofonisten Martin Stender dabei ganz anders vor als Migration. Nach Motiven oder sogar Melodien hielten die Jazzfans vergebens Ausschau. Einige fühlten sich von der Band sogar völlig allein gelassen und konnten der Musik nur wenig oder überhaupt nichts abgewinnen.

Sidsel Endresen & Stian Westerhus (Foto: CF-Wesenberg/kolonihaven.no)
Ohne Worte! Sidsel Endresen und Stian WesterhusBild: CF-Wesenberg/kolonihaven.no

Auch das Konzert der Sängerin Sidsel Endresen aus Norwegen polarisierte. Sie hat schon vor Jahren beschlossen, keine Worte mehr zu singen. Seitdem ist sie auf der Suche nach den unterschiedlichsten Klängen, die sie mit ihrer Stimme generieren kann. Sie trat in der Brotfabrik mit dem Gitaristen Stian Westerhuis auf. Auch hier waren Melodie und Harmonie Fehlanzeige. Alles reduzierte sich auf Geräusche. Manchen drängte sich der Eindruck auf, dass die Beschallungsanlage eventuell defekt sei. Die Auswirkungen waren deutlich: Rund die Hälfte des Publikum verließ während des Konzerts den Saal.

Reibung hin - Reibung her: Für das treue Bonner Publikum ist das Festival inzwischen zu einer Art Familienfest geworden. Jazzfans treffen Freunde und Verwandte, genießen zusammen die Stars der Szene und wundern sich über so manches musikalische Experiment. Grund genug, sich schon jetzt auf die großartigen Musiker und Überraschungen beim achten Jazzfest Bonn im nächsten Jahr zu freuen.

Die DW ist Medienpartner des Jazzfest Bonn und wird in diesem Jahr sechs exklusive Konzertmitschnitte als Audio-Podcasts anbieten. Zwei weitere Konzerte werden in der TV-Sendung "Europe in Concert" ausgestrahlt.