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Hunger aktiviert körperliche Abwehr

2. März 2010

Forscher der Universität Bonn haben einen Abwehrmechanismus entdeckt, der zusätzlich zum Immunsystem wirkt. In Hunger- oder Stresssituationen schüttet der Körper Peptide aus, die vor gefährlichen Bakterien schützen.

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Prof. Dr. Michael Hoch vom LIMES Institut in Bonn (Foto: LIMES)
Prof. Dr. Michael Hoch, Universität BonnBild: LIMES

DW-WORLD.DE: Michael Hoch, Sie sind einem neuen Abwehrsystem auf die Spur gekommen, das neben dem normalen Immunsystem wirkt und über den Stoffwechsel gesteuert wird. Wozu gibt es denn ein zusätzliches, dem Immunsystem vorgeschaltetes Abwehrsystem?

Prof. Michael Hoch: Das Abwehrsystem, das wir jetzt gefunden haben, findet in den sogenannten Barriere-Epithelien wie zum Beispiel im Darm oder der Haut statt. Wenn der Körper Energie verliert, indem er über längere Zeit weniger Kalorien zu sich nimmt, sich körperlich anstrengt oder unter Stress steht, wird dieses zusätzliche Abwehrsystem aktiviert. Das normale Immunsystem kann nicht permanent aktiv sein, denn im Körper leben schließlich auch Bakterien, die uns helfen. Die dürfen nicht bekämpft werden. Eine Infektion tritt dann auf, wenn pathogene, krankmachende Bakterien in den Körper eingedrungen sind. Das Immunsystem ist nur im Infektionsfall aktiv. Die antimikrobiellen Peptide wirken schon dann, wenn wir noch keine Infektion haben.

Antimikrobielle Peptide, was heißt das?

Das sind Abwehrproteine, die Bakterien zerstören, bevor eine Infektion eintritt. Man glaubt, dass sie sich in die Membran der Bakterienzelle setzen, dort Löcher produzieren und die Bakterien dadurch zerstört werden. Die antimikrobiellen Peptide sind sozusagen kleine Tornados, die von den Körperzellen ausgesandt werden, um feindliche Bakterien zu zerstören.

Woher erkennen die antimikrobiellen Peptide denn, dass es sich um feindliche Bakterien handelt?

Das wissen wir nicht genau. Wir wissen: Wenn der Energiespiegel sinkt, dann wird dieses System aktiviert und mehrere Peptide werden produziert. Aber wie die ganz genau wirken, ob eins stimulierend wirkt auf die guten Bakterien und wodurch die krankmachenden Bakterien zerstört werden, das ist nicht klar.

Biomediziner vom LIMES-Institut der Uni Bonn im Labor (Foto: Frank Homann)
Biomediziner vom LIMES-Institut der Uni Bonn (links: Prof. Michael Hoch) haben einen Immunmechanismus entdeckt, der direkt an den Stoffwechsel gekoppelt istBild: Frank Homann, Uni Bonn

Sie sagen - je weniger ich gegessen habe, umso wacher ist das vorgeschaltete Abwehrsystem?

Ja, Sie sind dann fitter. Krankmachende Bakterien, die sich zu einem Zeitpunkt irgendwo auf oder im Körper befinden, haben eine schlechtere Chance, die Körperzellen zu infizieren.

Was passiert, wenn Menschen zuviel essen?

Wenn wir zuviel Nahrung zu uns nehmen, werden die Peptide heruntergeschaltet. Dann wirkt dieser Mechanismus nicht. Der wirkt erst, wenn ich über längere Zeit weniger Nahrung zu mir nehme oder wenn ich in Stress komme. Das heißt umgekehrt: Wenn wir zuviel essen, also übergewichtig sind, nehmen die Abwehrfunktionen ab. Die Folge wäre, dass Menschen, die an Diabetes oder an methabolischen Erkrankungen leiden, stärker zu Infektionen - zum Beispiel am Darm oder der Haut - neigen, weil die Barrieren brüchiger werden und die Bakterien leichter eindringen können.

Übergewichtige Menschen sind also gefährdeter?

Ganz genau. Die Tatsache, dass die Zellen ein Überangebot an Nahrung haben und der Stoffwechsel damit hochreguliert ist, würde dazu führen, dass weniger Peptide produziert werden.

Und diese Abwehr-Peptide werden auch unter Stress ausgeschüttet?

Vielleicht haben Sie das an sich selbst auch schon mal beobachtet: Wenn man zum Beispiel zu einem bestimmten Zeitpunkt eine Arbeit fertig stellen muss, ist man meistens so beschäftigt, dass es sehr viel Energie kostet. Wenn man danach ein paar Tage frei hat, werden die meisten Leute krank. Es ist unklar, warum das passiert. Ich will damit nicht sagen, dass unser Mechanismus der einzige ist, der für dieses Phänomen zuständig ist, aber es ist eine sehr interessante Korrelation. Unter Stress sind die Abwehrproteine aktiviert, die pathogenen Bakterien werden in Schach gehalten. Und wenn wir uns entspannen, der Stress also abnimmt und wir im Urlaub auch noch gut essen, ist dieses Abwehrsystem herunterreguliert. Und die Wahrscheinlichkeit, dass pathogene Bakterien eine Infektion auslösen können, ist höher.

Heißt eine stärkere Abwehrfunktion durch Peptide auch, dass wir länger leben?

Viele verschiedene Arbeiten sehen einen Zusammenhang zwischen verminderter Kalorienaufnahme und höherem Alter. Personen, die über einen längeren Zeitraum weniger Kalorien zu sich nehmen – ausgewogen, aber trotzdem weniger – können ihre Lebensspanne verlängern. Wir untersuchen gerade, ob wir länger leben, weil das Abwehrsystem an der Barriere aktiviert ist. Aber wir sind noch weit davon entfernt, sagen zu können, ob das die alleinige Ursache für längeres Leben ist.

Aber eigentlich haben wir ja über die Jahre immer mehr Nahrung zur Verfügung gehabt. Trotzdem leben wir länger als unsere Vorfahren. Wie passt das zusammen?

Es ist sicherlich so, dass das längere Leben in den Industrienationen auch mit dem Fortschritt in der Medizin und mit der Ausgewogenheit der Ernährung zusammenhängt. Trotzdem haben wir bei Tieren ganz klar die Beobachtung gemacht: Wenn weniger Kalorien aufgenommen werden, kann die Lebensspanne um 30 bis 40 Prozent verlängert werden. Das trifft sicher auch auf den Menschen zu. Das ist sehr eindrucksvoll, aber es ist nicht klar, warum das passieren kann. Und ich glaube, dass der Mechanismus, den wir entdeckt haben, ein Aspekt dessen ist. Je älter wir werden, desto löchriger werden die Barriere-Epithelien und es folgen Infektionen. Das heißt, die Barriere spielt eine wesentliche Rolle im Alterungsprozess. Wenn wir die Barriere verstärken könnten, würde man auch älter werden.

Wenig Nahrung ist aber nicht gleichzusetzen mit einem permanenten Hungergefühl?

Nein, soweit würde ich nicht gehen. Wir wissen ja auch, was passiert, wenn jemand zu stark hungert. Die Nahrungsaufnahme muss ausgewogen sein. Nicht zu viel, aber ausgewogen. Alle Körperfunktionen müssen normal funktionieren. Aber Sie müssen sehen, dass wir in unseren Industrienationen daran gewöhnt sind, andauernd zu essen. Das passt eigentlich nicht zur Biologie unserer Spezies. Denn wir haben in der Frühzeit der Evolution immer mal wieder viel gegessen, aber auch mal viele Wochen nicht. Wenn unsere Vorfahren zum Beispiel erfolgreich gejagt haben, haben sie Fleisch gegessen, dann aber auch wieder Wurzeln und anderes, weil der Jagdertrag ausblieb. Auf dieses Verhalten sind unsere Körperfunktionen eigentlich abgestimmt.

Prof. Michael Hoch ist Leiter der Molekularen Entwicklungsbiologie am Forschungszentrum LIMES (Life & Medical Sciences Institut) in Bonn.

Das Interview führte Sarah Steffen
Redaktion: Judith Hartl