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Film

"Ich übernehme Verantwortung für die Figur"

Hans Christoph von Bock
30. September 2016

Sebastian Koch ist einer der profiliertesten Schauspieler Deutschlands. Im DW-Interview spricht er über seine Rollen als Persönlichkeiten der deutschen Zeitgeschichte und seinen neuen Film "Nebel im August".

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Spanien Sebatian Koch beim San Sebastian International Film Festival
Bild: picture alliance / Geisler-Fotopress

Er  ist einer der gefragtesten deutschen Schauspieler für Charakterrollen im deutschen und internationalen Kino. Er hat den RAF-Terroristen Andreas Baader, den Hitler-Attentäter Ernst Graf von Stauffenberg, den Architekten Albert Speer und Alfred Nobel verkörpert. International war Sebastian Koch in den letzten Jahren in großen Filmen wie "Bridges of Spies", "The Danish Girl" sowie in der renommierten Serie "Homeland" zu sehen. In seinem aktuellen Film "Nebel im August" spielt er einen NS-Arzt, der eine Nervenheilanstalt leitet und das Euthanasie-Programm der Nazis durchführt. Die DW sprach mit Koch über sein Rollenverständnis und den deutschen Film.

Woher kommt Ihre Vorliebe, Figuren der Zeitgeschichte zu verkörpern?

Das ist gar keine Vorliebe im eigentlichen Sinne. Es waren einfach gerade die besten Drehbücher, die ich auf den Tisch bekam. Das Zeitgeschichtliche ist darin ja zum großen Teil von autobiografischen Sujets bestimmt. Die Vorbereitung für diese Art von Rollen macht an sich keinen großen Unterschied zu einem rein fiktiven Stoff. Also Speer, den kennt jeder, da hat jeder eine Haltung dazu, eine betimmte Meinung. Und auch zu Stauffenberg. Für mich aber ist es spannend, meinen eigenen Zugang zu der Figur zu finden. Auch bei Baader: Man kann ihn sicherlich als totalen Macho und damit völlig eindimensional spielen. Aber das war er sicher nicht nur. Er hatte einen ganz schillernden Charakter, ganz viele Seiten. Die herauszufinden und zu erarbeiten, macht Spaß. Natürlich übernehme ich damit auch eine Verantwortung für die Figur, was mir auch gefällt.

Hans Christoph von Bock, Sebastian Koch und Scott Roxborough
Die KINO-Moderatoren Scott Roxborough und Hans Christoph von Bock (v.l.) mit Schauspieler Sebastian Koch (Mitte)Bild: DW/H-J Kassube

Der wichtigste Film ist ja immer der, den man gerade gemacht hat. In "Nebel im August" sind Sie wieder in die jüngste deutsche Vergangenheit eingetaucht, in ein ganz finsteres Kapitel der deutschen Geschichte. Es geht um das planmäßige Vernichten des sogenannten "unwerten Lebens" - die Euthanasie-Programme der Nazis. Sie spielen den Arzt Dr. Werner Veithausen.

Dr. Werner Veithausen ist ein Psychiater, der eine Anstalt leitet - eine Nervenheilanstalt. Mir war bei diesem Film, dieser Rolle, besonders wichtig, die Nazizeit nicht ausschließlich zum Hauptthema zu machen. Was mich interessierte, hat einen ganz anderer Ansatz: Die Rassenhygiene war der Ende des 19. Jahrhunderts ein enorm wichtiges Thema in der Gesellschaft. Es wurde wissenschaftlich und medizinisch diskutiert, wie man das Erbgut verbessern könnte. Die Nazis haben diese Theorie Anfang der 30er Jahre durch immer schärfer werdende Gesetze zugespitzt und für ihre Zwecke ausgenutzt. Für mich ist dieser Dr. Veithausen jemand, der es in seiner im Wortsinne "ver-rückten" Denkweise in medizinischer Hinsicht gut gemeint hat. Der hat an ein wissenschaftliches Unternehmen geglaubt, nämlich Erbmasse zu regulieren, um so nur ideale Menschen auf die Welt kommen zu lassen. Wenn man nun heute die Pränatal-Diagnostik als sehr weit ausgereifte medizinische Technik betrachtet, mit der man bereits während der Schwangerschaft physische Merkmale feststellt und damit die Möglichkeiten hat, zu sagen: 'Okay ich möchte mein Kind so und so und so haben', dann erscheint da plötzliche eine Parallele zu einem irrtümlichen Denkansatz, der gefährlich werden könnte.

Sebastian Koch und Fritzi Haberlandt in einer Krankenhausszene, Foto: Studiocanal
In "Nebel im August" spielt Sebastian Koch einen Arzt in einer Nazi-EuthanasieanstaltBild: Studiocanal

Also auch eine Art von Auslese?

Es ist eine Art von Auslese, die aber schon vor der Geburt stattfindet. Wenn man dies auf Kinder mit Down-Syndrom übertragen möchte, die in der Nazizeit damals als vermeintlich unwertes Leben getötet wurden, so werden sie heute gar nicht erst geboren. Gerade weil die Ärzte auch angehalten sind, gezielt zu fragen: 'Wollen Sie sich und dem Kind das  antun?' Und das finde ich gefährlich. Jede Familie muss für sich selbst frei entscheiden. Ich denke, es ist wichtig, darüber sehr ernst nachzudenken, weil alle Eltern oder Familien mit so genannten behinderten Kindern, die ich gesprochen habe, heute überglücklich sind, diese Kinder zu haben. Ich möchte einfach darauf aufmerksam machen, dass heute in unserer Medizin, in unserem Gesundheitswesen, eine Tendenz gegeben ist, die für mich persönlich bedenklich erscheint. Umso entscheidender auch, um den Opfern des Nazi-Horrors gerecht zu werden.

Wie spielt man so einen Arzt, dass er eben nicht nur das Monster ist?

Wenn man einfach nur den bösen Nazi darstellen wollte und dann den Dr. Veithausen zeigt, wie er in seinem Büro sitzt, eine Strichliste macht und damit  "unwertes Leben" vernichtet, damit der Krieg gewonnen werden und für die verwundeten Soldaten Platz in den Hospitalbetten gemacht werden kann und so weiter… das ist zu einfach. Das Böse ist ja  in der augenblicklichen Betrachtung nie eindimensional. Es wird erst im Nachhinein böse. Für mich war daher im Ansatz für die Figur wichtig, dass dieser Doktor ganz liebevoll mit den Kindern umgeht, sie umarmt und ein "guter" Anstaltsleiter ist. Aber halt mit diesem Euthanasie-Programm im Kopf. Im Nachhinein kann man sagen: 'Das war ein böser Plan'  - und die Leute haben an diesen Plan geglaubt. Das ist brutal, aber aus seiner Sicht der Dinge eine Selbstverständlichkeit. Und das ist es ja, was es so unheimlich macht. 

Filmstill Das Leben der Anderen mit Schauspielerin Martina Gedeck, Foto: picture alliance/Mary Evans Picture Library
Sebastian Koch mit Martina Gedeck in "Das Leben der Anderen"Bild: picture alliance/Mary Evans Picture Library

Ihren größten Erfolg und internationalen Durchbruch hatten Sie 2006 mit "Das Leben der Anderen". Sie spielen einen Theaterschriftsteller, dessen gesamtes Leben ausspioniert und überwacht wird von der Stasi. Wenn Sie jetzt heute zurückblicken, wie wichtig war "Das Leben der Anderen" für Ihre persönliche Karriere?

Es war eine der schönsten, intensivsten Arbeiten, die ich überhaupt gemacht habe mit dem ganzen Team um Regisseur Florian Henckel von Donnersmarck, und das von einer Genauigkeit, einer Sensibilität und Intelligenz, die sich selten so vereint. Wenn sowas dann tatsächlich zum Erfolg führt, gar nicht nur im Karrieresinne, sondern dahingehend, dass etwas, in das man soviel Herzblut hineingelegt hat, auch gemocht wird und Menschen wirklich berührt: Das ist einfach nur schön.

"Das Leben der Anderen" war natürlich Türöffner für eine Reihe internationaler Produktionen in denen Sie mitgewirkt haben "Black Book" von Paul Verhoeven, "The Danish Girl", "Stirb langsam" mit Bruce Willis und kürzlich "Bridge of Spies", inszeniert von Steven Spielberg. Wie gewichten Sie diese Rollen an der Seite von großen internationalen Stars in Ihrem schauspielerischen Schaffen?

Berlin Premiere Film Bridge Of Spies von Regisseur Steven Spielberg
Die Schauspieler Burghart Klaussner, Sebastian Koch, Tom Hanks, Regisseur Steven Spielberg, US-Schauspielerin Amy Ryan und Mikhail Gorevoy bei der Premiere von "Bridge Of Spies" 2015 in Berlin Bild: picture-alliance/dpa/B. Pedersen

Es sind für mich Projekte, die wichtig sind. Die Cohen Brüder haben das Drehbuch für "Bridge of Spies" mit so viel Humor, Witz und Intelligenz geschrieben. Beim Lesen des Buches dachte ich, 'wow', da möchte ich einfach mit dabei sein. Meine Rolle des DDR-Anwalts Wolfgang Vogel war jetzt nicht wahnsinnig ausgeschrieben, aber sie war so spannend, dass ich gerne zugesagt habe. Einfach auch, um diese Art der Arbeit mal kennenzulernen.

Wie unterscheiden sich solche Großproduktionen von deutschen Arthouse-Filmen?

Das ist letztlich immer regieabhängig. Bei Steven Spielberg zum Beispiel war zwar der ganze Hollywood-Apparat da, bei dem alles größer und aufwendiger ist. Aber Spielberg schafft es, am Drehort einen ganz intimen, künstlerischen Raum zu kreieren, in dem man sich entfalten kann und in dem die eigene Meinung gewünscht ist. Ein Raum, in dem man was entwickeln kann. Das hat mich echt beeindruckt und begeistert.

Sie leben in London und in Berlin. Wie hat sich die deutsche Filmszene verändert?

Ich lebe seit fast 27 Jahren in Berlin. Der Fall der Mauer und Christos Reichstagsverhüllung waren für mich Meilensteine für diese Stadt. Als zum ersten Mal diese Toleranz und diese Offenheit zu spüren war und das, was Berlin mal werden könnte. Als diese Insel - dieser Inselstaat - sich plötzlich öffnete und zugänglich für die Welt wurde und aus allen Nationen die Menschen kamen und auf dieser Wiese vor dem Reichstag saßen: Die ganze Stadt war plötzlich von einem vollkommen anderen Geist erfüllt, was auch heute noch nachhaltige Spuren hinterlassen hat. Und filmtechnisch betrachtet, hat "Das Leben der Anderen" sicher den deutschen Film und auch vor allem die deutschen Schauspieler noch einmal anders gesehen und aussehen lassen. Vorher hatten wir immer die Nazis, diese blonden, blauäugigen Figuren, die ich immer angeboten bekam und nie angenommen habe. Und plötzlich bekomme ich ein Angebot von "Homeland" oder von Steven Spielberg. Und mit Daniel Brühl und Christoph Waltz haben wir ja viele Schauspieler, die mittlerweile sehr intensiv mit den Amerikanern drehen. Ich glaube schon, dass gerade "Das Leben der Anderen" signalisierte, dass es in Deutschland auch gute, ernstzunehmende Schauspieler gibt - und nicht nur Nazis.

Das Interview führte Hans Christoph von Bock. 

Mehr zu Sebastian Koch und dessen neuen Film "Nebel im August" in der aktuellen Ausgabe von KINO.