Hotline zwischen Peking und Neu-Delhi
16. Dezember 2010Die beiden aufstrebenden Mächte Asiens wollen ihre Zusammenarbeit erweitern und ihre bilateralen Handelsbeziehungen bis 2015 massiv ausbauen. So heißt es in einer gemeinsamen Erklärung des indischen Regierungschefs Manmohan Singh und seines chinesischen Gastes und Amtskollegen Wen Jiabao nach ihrem Treffen an diesem Donnerstag (16.12.2010). Insgesamt drei Tage dauerte Wens Staatsbesuch im Nachbarland. Ein Besuch mit zwei inhaltlichen Schwerpunkten: Neben wirtschaftlichen Interessen geht es auch darum, das belastete Verhältnis beider Länder zu verbessern.
Demonstrative Harmonie
Diesbezüglich verschwendete Wen Jiabao keine Zeit. Gleich zum Auftakt seiner Indien-Reise am Mittwoch hatte der chinesische Ministerpräsident zur verbalen Charme-Offensive angesetzt. "China und Indien sind Partner in der Zusammenarbeit und nicht Rivalen im Wettbewerb", betonte Wen vor Wirtschaftsvertretern beider Nationen. Es gebe genug Platz auf der Welt für die Entwicklung beider Länder - und auch zahlreiche Möglichkeiten und Bereiche zur Zusammenarbeit. Sein Besuch solle dabei helfen, "die Freundschaft zu fördern und Kooperationen auszuweiten".
Aufeinander angewiesen?
Seit Jahren florieren die Handelsbeziehungen zwischen den beiden aufstrebenden Wirtschaftsmächten Asiens. Im vergangenen Jahr betrug das Handelsvolumen 43 Milliarden US-Dollar. In diesem Jahr peilen die Länder einen Warenaustausch im Umfang von 60 Milliarden an, und im Jahr 2015 wollen sie die 100-Milliarden-Dollar-Marke knacken.
Allerdings: Die Handelsbilanz ist nicht ausgeglichen. China exportiert deutlich mehr Waren nach Indien als umgekehrt. Neu Delhi wirft Peking daher vor, sich Wettbewerbsvorteile zu verschaffen. Agenturberichten zufolge gelang es dem indischen Ministerpräsidenten Singh auch beim jüngsten Treffen nicht, seine Pläne durchzusetzen und einen besseren Zugang für indische Pharmazie- und Softwarefirmen zum chinesischen Markt zu erreichen.
Viele Konflikt-Themen
"Chinesisch-indische Beziehungen sind sehr fragil, leicht zu beschädigen und schwer zu reparieren", brachte es der der chinesische Botschafter in Indien, Zhang Yan, im Vorfeld des Wen-Besuchs auf den Punkt. 60 Jahre nach der Aufnahme diplomatischer Beziehungen ist das Verhältnis der beiden Länder immer noch angespannt. Das Misstrauen gegenüber Peking ist in Neu-Delhi groß. So beäugt Indien beispielsweise mit Argusaugen, welchen Kurs China gegenüber dem Erzrivalen Pakistan einschlägt. Seit Jahrzehnten unterstützt Peking Islamabad militärisch, und seit kurzem investieren die Chinesen auch im pakistanischen Teil Kaschmirs in die Infrakstruktur.
Nicht zuletzt die Tatsache, dass Wen Jiabao von Indien aus anam Freitag (17.12.) direkt weiter nach Pakistan reiste, dürfte in Delhi für Stirnrunzeln sorgen. China auf der anderen Seite kritisiert den freundschaftlichen Umgang des Nachbarlandes mit dem Dalai Lama und die Tatsache, dass Indien die tibetische Exilregierung bei sich aufgenommen hat. Und erst vor wenigen Tagen ist die Liste der sensiblen Themen noch einmal länger geworden: Indien schickte einen Vertreter zur Verleihung des Friedensnobelpreises an den inhaftierten chinesischen Bürgerrechtler Liu Xiaobo - ungeachtet aller Boykottaufrufe Pekings.
Alter Grenzstreit
Neben den aktuellen Konfliktthemen gibt es zwischen den beiden bevölkerungsreichsten Nationen der Erde noch einen weiteren strittigen Punkt, dessen Wurzeln bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts zurückreichen. Indien und China haben eine rund 4000 Kilometer lange gemeinsame Landesgrenze. Wo diese allerdings genau verlaufen sollte, darüber gehen die Meinungen auseinander. 1914 hatten sich Vertreter der ehemaligen Kolonialmacht Großbritannien, Chinas und Tibets auf die sogenannte McMahon-Linie als Grenze zwischen Britisch-Indien und China geeinigt. Diese Grenze erkennt Peking aber nicht mehr an. Immer wieder kam es deshalb zu Streitigkeiten, die 1962 sogar in einen kurzen Krieg mündeten.
In den vergangenen zehn Jahren blieb es weitgehend ruhig an der Grenze, größere Zwischenfälle gab es nicht. Zuletzt aber schien es, als würde sich die Situation wieder zuspitzen. Indischen Medienberichten zufolge ließ Peking vermehrt die Muskeln spielen. 2009 habe es demnach mehr als 270 Grenzverletzungen und weit über 2000 Provokationen gegeben, heißt es dort. Nach dem Gespräch zwischen Wen und seinem Amtskollegen Singh scheinen die Zeichen jetzt wieder auf Entspannung zu stehen. Die beiden Ministerpräsidenten bekräftigen ihre Absicht, die Grenzstreitigkeiten beizulegen - unter anderem durch die Einrichtung der ständigen Telefonverbindung.
Autorin: Esther Broders
Redaktion: Nicola Reyk