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Hort der Avantgarde?

Meret Kiderlen / dpa16. Juli 2003

"Bayreuth hits the 21st Century!" Ist das der neue Trend auf dem Grünen Hügel? Das Engagement von unkonventionellen Regisseuren erregt Aufsehen - noch bevor sich der Vorhang für die erste Vorstellung gehoben hat.

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Wolfgang Wagner will "unverbrauchte Talente"Bild: AP

Mit der Neuinszenierung der Oper "Der fliegende Holländer" durch Claus Guth starten die Festspiele am 25. Juli 2003 in eine neue Ära. Jahrzehntelang hatte Festspielchef Wolfgang Wagner Bayreuth mit seinen Inszenierungen geprägt. Im vergangenen Jahr erklärte er seinen Abschied als Regisseur.

Jetzt ist der Grüne Hügel frei für die Kunst der jüngeren Generation. "Ich versuche, seelische Abgründe und unbewusste Prägungen an die Oberfläche zu bringen", erklärte der 39-jährige Guth kürzlich in einem Interview. Wie Guth ist auch "Holländer"-Dirigent Marc Albrecht ein Bayreuth-Debütant. Die beiden hatten bereits 2001 in Dresden bei der Uraufführung der Oper "Celan" von Peter Ruzicka erfolgreich zusammengearbeitet und waren danach von Festspielchef Wolfgang Wagner für Bayreuth verpflichtet worden.

Neuanfang nach der "Ära Wagner"?

Generell scheint der 83-Jährige Wagner-Chef, der das Haus in Bayreuth seit mehr als 50 Jahren führt, keine Lust mehr auf konservative Inszenierungen zu haben.

Schlingensief - Quiz 3000
Der Theatermacher Christoph Schlingensief im Frankfurter SchauspielhausBild: AP

Der so genannte Theaterprovokateur Christoph Schlingensief wird nächstes Jahr "Parsifal" auf die Bühne bringen. 2005 inszeniert Christoph Marthaler "Tristan und Isolde" und 2006 soll der dänische "Skandalregisseur" Lars von Trier seine Chance mit dem "Ring der Nibelungen" bekommen. "Es war schon ein merkwürdiger Moment als der Anruf kam. Schließlich hatte ich mir das seit Jahren gewünscht," erzählte Schlingensief in einem Gespräch mit DW-WORLD.

Vorauseilene Beschwichtigung

Auch in Bayreuth selber wird noch um Haltung gerungen. "Wir wollen das Wechselspiel zwischen Tradition und Erneuerung fortsetzen, die Werke bewahren und beständig erneuern", heißt es in der "Werkstatt Bayreuth". Angst vor Skandalen wie beim Jahrhundert-"Ring" von Patrice Chéreau im Jahr 1976 haben Wolfgang Wagner und seine Mannen nicht.

Christoph Schlingensief
Theaterregisseur Christoph Schlingensief bei der Vorstellung seines Hamlet-ProjektesBild: AP

"Schlingensief, Marthaler und von Trier sind keine Bilderstürmer, die Wagners Tempel zerstören", beschwichtigt Festspielsprecher Peter Emmerich potenzielle Kritiker."Es geht darum, zeitgemäße Interpretationen zu finden, mit denen die Einzigartigkeit und die Notwendigkeit von Bayreuth auch in Zukunft gerechtfertigt ist."

Opern im modernen Theaterstil?

Dass er kein wirklicher Opern-Experte sei, muss Schlingensief dann doch zugeben. Bei Wagner interessiere er sich vor allem für sein politisches Denken und den Versuch, das Göttliche auf die Erde zu holen.

Wagner und Schlingensief als Seelenverwandte?! Warum nicht: Auch Richard Wagner hat sich zeit seines Lebens sowohl der Kunst als auch der Politik gewidmet und mit seinen Arbeiten häufig geschockt. Mit der Zeit eilte auch ihm der Ruf eines Provokateurs voraus. Aber Schlingensief will keine Provokationswünsche erfüllen, sondern Musiktheater machen. "Musik ist eine Anweisung nach innen! Sie holt die Bilder in mir heraus, die schon vor der Belichtung da waren."

Lars von Trier in Cannes
Lars von Trier, beim Cannes-FilmfestivalBild: AP

Die Feuilletons kommentieren die neuen Trends am "Grünen Hügel" mit Skepsis und neugieriger Vorfreude auf ein spektakuläres Ereignis. Der Präsident des Deutschen Bühnenvereins, Klaus Zehelein, befürchtet jedoch, dass das Ergebnis "letztlich gedankenlos, konzeptlos und ohne Vision sein" wird. Um die Gunst des Publikums muss sich Festspielleiter Wolfgang Wagner allerdings keine Sorgen machen. "Wir sind 9,9-fach überbucht", heißt es aus dem Kartenbüro.