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Spritzen und Blutabnahmen

Gudrun Heise
4. Juni 2021

Impfungen oder Blutabnahmen können bei manchen zu Panikattacken bis hin zu Ohnmachtsanfällen führen. Gefährlich kann es werden, wenn Betroffene deswegen auf Arztbesuche und Therapien verzichten.

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Ein Mediziner entnimmt Blut aus der Arm-Vene eines Patienten
Jetzt besser nicht hinschauen!Bild: picture-alliance/dpa/B. Thissen

Stunden, manchmal Tage vor einer Blutabnahme oder einer Impfung  peinigen Stress und Angst Menschen, die kein Blut sehen können oder bei denen der pure Anblick einer Spritze den  Blutdruck  und den Stresslevel  in die Höhe schnellen lässt. Aus Angst davor vermeiden einige sogar den Arztbesuch, selbst wenn er dringend angesagt ist. 

Lieber nicht zum Arzt

Ein leicht mulmiges Gefühl vor einer Spritze haben viele, und es gibt wohl niemanden, der eine Injektion gerne über sich ergehen lässt. Menschen mit einer ausgeprägten Spritzenangst aber entwickeln diese schon, wenn sie nur daran denken, wie die Nadel in die Haut eindringt, und sie malen sich regelrechte Horrorszenarien aus. 

Ein Kinderarzt impft ein einjähriges Kind in den Oberschenkel mit dem Impfstoff Priorix
Spritzen lösen bei manchen Menschen eine Phobie ausBild: Julian Stratenschulte/dpa/picture alliance

Dabei ist eine einfache Injektion oder eine Blutabnahme kaum schmerzhaft, und die Patienten verspüren lediglich einen kleinen Piks. Auch wenn ihnen ihr Verstand sagt, dass es keinen Grund zur Panik gibt, kommt es bei diesen Menschen zu oft unerklärlichen Ängsten.

Einige fürchten sich auch davor, einfach umzukippen, die Kontrolle über ihr Handeln und über Reaktionen zu verlieren. Vielleicht ist ihnen das früher schon einmal passiert: Sie sind in Ohnmacht gefallen. Die Panik vor einem solchen Ereignis wird dann von Mal zu Mal größer. 

Ich kann einfach kein Blut sehen

"Mir wird schlecht, und ich bekomme weiche Knie", ist eine der häufigsten Beschwerden, die Menschen beschreiben, die Angst vor Blut haben. Beginnt die Person darüber hinaus zu schwitzen, wird ganz bleich und das Blut versackt in den Beinen, kommt es nicht mehr in ausreichender Menge im Gehirn an. Die Person wird für kurze Zeit bewusstlos. 

Experten führen diese Angst vor Blut auf die Evolution zurück und darauf, dass Blut seit Urzeiten Gefahr bedeutet. Die Körper unserer Vorfahren haben reagiert, indem sie eine Art SOS-Programm gestartet haben. Dabei ist der ganze Körper zunächst für kurze Zeit intensiv auf erhöhte Aufmerksamkeit eingestellt, der Blutdruck steigt. Dann aber fährt der Körper den Kreislauf ganz schnell wieder runter.

Das bedeutet, dass Blutdruck und Herzschlag rapide absinken. So kann der Körper dafür sorgen, dass es beispielsweise bei einer Verletzung und bei Wunden zu möglichst geringem Blutverlust kommt und dass die Gerinnung gewährleistet ist. 

Beutel mit aus Vollblut gewonnenem Erythrozyten-Konzentrat (Blutkonserven) hängen in einem Labor
Manche ertragen den Anblick von Blut nichtBild: picture-alliance/dpa/S. Hoppe

In Ohnmacht zu fallen, ist also gewissermaßen ein Notfallprogramm des Körpers. 

Aus Angst wird Phobie

In Deutschland leiden mehr als drei Millionen Menschen unter Spritzenangst. Mediziner sprechen auch von Blut-Spritzen-Verletzungsphobie oder Trypanophobie und bei der Angst vor Nadeln von Belonophobie.

Nicht mehr von Angst sondern von einer Phobie sprechen Mediziner allerdings erst, wenn es zu gravierenden Einschränkungen und panischen Verhaltensweisen kommt. Eine solche Phobie betrifft vor allem junge Menschen und Kinder.

Gerade sie haben oft Angst vor Spritzen und Nadeln. Schließlich kann beides in den Augen eines Kindes furchteinflößend wirken. Obwohl viele Kinder noch keine Erfahrung damit haben, weinen sie oft so heftig, als ginge es um Leben und Tod.

Manche Kinder aber machen auch schon schlechte Erfahrungen mit Spritzen und Injektionen, etwa weil die Krankenschwester oder der Arzt die Vene bei der Blutabnahme nicht direkt getroffen haben und sie die Spritze mehrfach ansetzen müssen. Die Angst davor ist oft ein lebenslanger Begleiter. 

Auch die Genetik kann eine Rolle bei der Angst vor Spritzen und vor Blutabnahmen spielen. Die Eltern vererben eine Spritzenphobie aber nicht. Im Fall von Trypanophobie ist es eine genetische Komponente, die für bestimmte Reaktionen verantwortlich ist. 

Ein verzerrtes Foto symbolisiert einen Schwindelanfall in einer Arztpraxis
Bei manchen Menschen lösen Blut und Spritzen Panikattacken ausBild: picture-alliance/Klaus Rose

Keine Impfung, bitte

Zu einer Spritzenphobie gehört auch die Angst davor, sich impfen zu lassen. Ärzte und Schwestern sind bei Menschen mit Spritzenangst extrem gefordert. Sie müssen wissen, wie sie mit Erwachsenen, aber auch mit Kindern im besten Fall umgehen, um ihnen die Angst zu nehmen. Erfahrungsgemäß hilft ein gewisses Maß an Empathie dabei, die Situation zu beruhigen, denn eine Beruhigungsspritze vor der Spritze - das funktioniert natürlich nicht.

Mediziner bezeichnen die Angst vor Impfungen als Vaccinophobie, und sie kann weitreichende Folgen haben, etwa einen gefährlichen Wundstarrkrampf, wenn sich jemand bei einer Verletzung infiziert. Eine Impfung gegen Tetanus kann das verhindern und ist genauso wichtig wie etwa die Impfung gegen Diphterie und Polio und gegen verschiedene tropische Krankheiten, wenn es in entfernte Länder gehen soll. Impfungen können lebensrettend sein. Während die Impfung selbst nur ein kurzer Piks ist, kann die Angst davor schlimme Folgen haben.

Ein Mann spritzt sich Insulin mit einem Injektor in den Bauch
Menschen mit Typ-1-Diabetes müssen täglich Insulin spritzenBild: picture-alliance/imageBROKER/J. Tack

Wenn gar nichts mehr geht 

Viele Menschen mit einer chronischen Erkrankung sind darauf angewiesen, dass Fachpersonal ihnen in regelmäßigen Abständen eine Spritze gibt oder sie müssen dies selbst tun, wie etwa bei Diabetes. Menschen mit Typ-1-Diabetes sind auf Insulin angewiesen und müssen es sich spritzen. Für jemanden mit Spritzenangst eine vermutlich unvorstellbare Pein. 

Weg von der Angst

Psychiaterinnen und Psychiater, Verhaltenstherapeuten und -therapeutinnen können dabei helfen, den Menschen ihre Ängste zu nehmen oder ihnen zumindest zeigen, wie sie ihre Phobie in den Griff bekommen können.

Längerfristig hilft vor allem die sogenannte kognitive Verhaltenstherapie. Diejenigen, die von Ängsten geplagt werden, lernen zunächst auf psychischer Ebene, aber auch auf körperlicher Ebene damit umzugehen. Stufenweise wird die Schmerzschwelle erhöht bis die Reize nicht mehr zu panischem Verhalten und Ohnmachtsanfällen führen. Der Therapeut oder die Therapeutin konfrontieren die Betroffenen dabei mit den Reizen, die eine Panik auslösen. Bilder von Verletzungen reichen da oft schon aus. 

Eine Medizinerin entnimmt einem jungen Mann Blut aus dem Arm
Blutabnahmen werden mit einer sogenannten Hohlnadel durchgeführtBild: Cem Adam Springer

Am Ende einer solchen Therapie steht dann in vielen Fällen eine echte Blutabnahme, bei der mit einer Hohlnadel das Blut entnommen wird. Empathie mit der Patientin oder dem Patienten hilft oft schon dabei, eine Panikattacke in den Griff zu bekommen. Hilft das nicht, gibt es immer noch eine andere Möglichkeit, nämlich die Po- und Unterschenkelmuskulatur an- und abspannen. So werden die Venen zusammengedrückt, das Blut sackt nicht mehr in die Beine, es kommt nicht zu einer Ohnmacht. Im Zweifel also: Die Pobacken zusammenkneifen und weiteratmen.