1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

EU-Flüchtlingskrise verschärft sich

Bernd Riegert14. Januar 2016

EU-Flüchtlingskommissar Avramoupolus zeichnet bei einer Befragung im EU-Parlament ein düsteres Bild. Ist die Krise noch zu meistern? Bernd Riegert aus Brüssel.

https://p.dw.com/p/1Hdse
Flüchtlinge unterwegs mit Gepäck. Foto: Foto: Karlheinz Schindler, AfP
Bild: Getty Images/AFP/B. Kilic

"Ich bin ein optimistischer Mensch, aber diesmal bin ich nicht sehr zuversichtlich", sagte der EU-Flüchtlingskommissar Dimitris Avramopoulos bei seiner Anhörung im Europäischen Parlament in Brüssel. Er sei nicht sicher, ob 2016 ein "glückliches neues Jahr" für die Europäische Union werde, meinte Avramopoulos mit Blick auf die sich verschärfende Flüchtlingskrise. "Die Situation wird schlimmer", so Avramopoulos. Alle bisherigen Mechanismen und Maßnahmen, wie die Verteilung von Flüchtlingen, die die EU eingeleitet hat, würden nicht die gewünschten Effekte bringen, nämlich eine Verringerung der Flüchtlingszahlen.

Krise ohne Pause

"Über Weihnachten und Neujahr kamen täglich 3000 bis 4000 Menschen in Griechenland an", sagte der EU-Kommissar im Parlament. In diesem Jahr gebe es keine "Winterpause", also einen Rückgang der Flüchtlingszahlen durch schlechtes Wetter oder unruhige See. Immer mehr Staaten der Schengen-Zone, in der ja Reisefreiheit ohne Grenzkontrollen gelten solle, gingen zur Wiedereinführung von Kontrollen über. Noch seien die Grenzen nicht geschlossen, aber "wenn Schengen völlig zusammenbricht, dann wird das der Anfang vom Ende des europäischen Projektes sein", warnte der EU-Kommissar mit düsterer Miene.

Dimitris Avramopoulos zählte eine lange Liste von Maßnahmen auf, die die EU-Kommission auf den Weg gebracht hat, um der Lage in Griechenland, Italien, auf der Balkan-Route und auch in Deutschland Herr zu werden. Doch auf die vielen Fragen der Abgeordneten im Parlament konnte Avramopoulos immer nur beschwichtigend antworten. Alles dauert länger als erwartet, manche Projekte wie ein gemeinsamer Grenz- und Küstenschutz der Europäischen Union werden noch Jahre in Anspruch nehmen, bis sie wirklich funktionieren.

Dimitris Avramopoulos. Foto: REUTERS/Francois Lenoir
Avramopoulos: Der Anfang vom Ende?Bild: Reuters/F. Lenoir

Unzufrieden mit der Türkei und der EU

Die Zusammenarbeit mit der Türkei klappt auch nicht so, wie sich die EU das vorstellt, meinten viele Abgeordnete. Die Unterbringung der Flüchtlinge habe sich nicht verbessert. Die Schleuserbanden würden nach wie vor ungestört arbeiten können. Die Türkei gehe offenbar dazu über, syrische Flüchtlinge ohne Prüfung wieder nach Syrien abzuschieben, kritisierte die grüne Abgeordnete Franziska Keller.

EU-Kommissar Avramopoulos ging auf diese Vorwürfe nicht ein, sondern sagte nur, er sei mit der Umsetzung der Abkommen mit der Türkei noch nicht zufrieden. Auch auf europäischer Seite knirscht es noch. Die drei Milliarden Euro, die die Türkei als Beihilfe in der Flüchtlingskrise erhalten soll, sind von den EU-Mitgliedsstaaten trotz mehrfacher Zusagen immer noch nicht finanziert. Die von der EU-Kommission immer wieder angekündigten Registrierungszentren für Flüchtlinge und Migranten, die sogenannten Hotspots in Griechenland und Italien sind nach wie vor nicht komplett eingerichtet. In Italien gibt es erst zwei von geplanten fünf. Nur zögerlich laufen in Griechenland die Bauarbeiten für weitere Hotspots auf den Ägäis-Inseln, die nahe der türkischen Küsten liegen.

CSU-Abgeordnete: Die Zeit wird knapp

Die Registrierung an den Außengrenzen klappe also immer noch nicht und das trotz Terrorgefahren und großer Sicherheitsbedenken, bemängelten viele Europaabgeordnete. "Die Zusammenarbeit mit Griechenland ist nach wie vor extrem schlecht. Zu jedem Schritt muss Griechenland mühselig bewegt werden", kritisierte die CSU-Abgeordnete Monika Hohlmeier im Gespräch mit der Deutschen Welle. Die Koordination der Mitgliedsstaaten, die untereinander nicht einig seien, funktioniere nicht. Hohlmeier befürchtet, dass Europa die Zeit davon renne in der Flüchtlingskrise, da jeden Tag Tausende neue Flüchtlinge in Deutschland ankommen.

Monika Hohlmeier: Die Zeit wird knapp

Wie lang kann die Bundesregierung noch auf die angekündigte europäische Lösung des Problems warten, bevor auch Deutschland die Aufnahme von Flüchtlingen und Asylbewerbern drastisch reduziert? "Der Zeitrahmen ist knapp und es gibt Möglichkeiten, die ersten Schritte ganz konkret anzugehen", sagte die EU-Abgeordnete Monika Hohlmeier der DW. "Ich habe schon den Eindruck, dass die Bundeskanzlerin willens ist, hier tätig zu werden, Straftäter früher zurück zu senden, konsequent die Rückführung zu beschleunigen. Das sind wesentliche Schritte, aber der eigentliche Schritt beginnt an der griechischen Küste."

Neue Dublin-Regeln im März

Die CSU und Teile der CDU-Fraktion im Bundestag fordern von Bundeskanzlerin Angela Merkel eine deutliche Absenkung der Flüchtlingszahlen und notfalls eine Schließung der Grenzen. Viele EU-Abgeordnete in Brüssel gehen davon aus, dass Merkel noch bis zum nächsten EU-Gipfel Mitte Februar auf eine "europäische Lösung" warten wird. Sollte es dann nicht zu einer einheitlichen Linie komme, müsse die Bundeskanzlerin ihre Flüchtlingspolitik wohl ändern.

Griechenland Chios Registrierungs Zentrum Flüchtlinge (c) DW/D. Cupolo
Hotspot auf Chios (Griechenland): Bedingt funktionsfähigBild: DW/D. Cupolo

EU-Kommissar Avramopoulos kündigte an, er wolle im März neue Regeln für die Asylpolitik und die Aufnahme von Flüchtlingen vorlegen. Das bisherige "Dublin-System" müsse grundlegend überarbeitet werden. Die Regel, dass ein Asylsuchender in dem Land seinen Aufnahmeantrag stellen soll, in dem er ankommt, soll aufgehoben werden. Ein permanenter Verteilmechanismus soll die alte, längst nicht mehr befolgte Dublin-Regel ersetzen. Ob diese Pläne von den Mitgliedsstaaten jemals akzeptiert werden, sei aber sehr fraglich, meinten EU-Abgeordnete nach der Anhörung im Parlament.