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Hoffnung auf eine bessere Zukunft

2. April 2004

- Das Gandhi-Gymnasium im ungarischen Pecs bringt Roma-Kinder durchs Abitur

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Bonn, 2.4.2004, DW-RADIO / Rumänisch, Cristian Stefanescu

In den kommunistischen Diktaturen Mittel- und Osteuropas war es für Roma fast unmöglich, ihre Kinder zur Schule zu schicken. Viele schulpflichtige Roma-Kinder besuchten die Regelschule nur unregelmäßig oder gar nicht - nicht nur, weil sie von den Mitschülern und Lehrern benachteiligt wurden, sondern auch weil sie ihre eigene Geschichte, Sprache und Erfahrungswelt in den staatlichen Schulen nicht wiederfinden konnten. Für die Schüler blieb es bei einer im bestem Fall halbherzigen Teilnahme am Unterricht - die meisten gaben dann sowie so auf. Ein Roma-Kind mit Abitur ist bis heute noch eine absolute Ausnahme. Doch seit zehn Jahren gibt es im ungarischen Pecs ein Roma-Gymnasium. Cristian Stefanescu berichtet:

15 Jahre nach dem Zusammenbruch des Kommunismus ist die Lage der Roma in vielen Regionen Mittel- und Osteuropas besser geworden. Das zeigt die hohe Akzeptanz der EU-Programme, aber auch der nationalen Projekte bei den Roma in Rumänien, der Slowakei oder Ungarn. Dennoch ist der Anteil der Roma-Jugendlichen, die keinen Schulabschluss erreichen, immer noch alarmierend hoch. Folge: geringe Chancen auf einen qualifizierten Beruf, darauf folgende soziale Marginalisierung, die zu Verelendung führt - ein Teufelskreis, der nur schwer zu durchbrechen ist.

Die meisten Roma-Kinder müssen nach wie vor schon sehr früh zum Lebensunterhalt der Familie beitragen. Von ihren Eltern und Großeltern lernen sie, dass sie sich auf die Institutionen der Nicht-Roma nicht verlassen können. Viele Eltern haben selbst keine Schule besucht, somit werden die entscheidenden Erfahrungen für das Erwachsenenleben oft in der Familie und auf der Straße gemacht.

Das 1994 in Pecs gegründete Gandhi-Gymnasium war bis vor kurzem die einzige Schule in Ungarn, in der junge Roma für die Hochschulen vorbereitet wurden. Nun folgen langsam andere Schulen. Karin Adamek ist Gastlehrerin aus Deutschland und schildert die Probleme der Roma in einer "normalen" Schule:

"Man versucht in vielen ungarischen Schulen die Kinder von ungarischen Kindern zu trennen. Die Eltern wollen nicht dass ihre Kinder zusammen mit Roma-Kindern unterrichtet werden. Gängige Vorurteile: schmutzig, sie stehlen und so weiter. Das heißt, dass sie dort auch weniger Ausbildung bekommen, wenige gute Lehrer haben und dann eben später einfach den Anschluss nicht mehr finden. "

Zur Zeit gibt es auf dem Gandhi-Gymnasium 256 Schüler - eine beachtliche Zahl, wenn man bedenkt, wie schwierig es ist, schulwillige Jungen und Mädchen für das Gymnasium zu finden. Lehrer und Sozialarbeiter fahren durch das Land, von einer Roma-Siedlung zur anderen, und versuchen die Eltern zu überzeugen und die Kinder zu motivieren. Die Skepsis ist bei den Roma sehr groß: Werden sich die Kinder nicht von der eigenen Kultur entfremden? Und auch die Kosten für die Schule!

(Adamek) "Die Schule wird vom Staat bezahlt, über eine Stiftung. Und es gibt drei Sponsoren: der eine ist eben durch Fachaufsicht und Projektmanagement das Goethe Institut, dann die Niermann-Stiftung in Düsseldorf und die Schulz-Speyer Einrichtungsfirma für Bibliotheken. Die Schule bezahlt alles, auch das Fahrgeld nach Hause".

Seit 1994, seitdem das durch die Gandhi-Stiftung gegründete Gymnasium existiert, haben vier Jahrgänge die 12. Klasse des Gymnasiums abgeschlossen und ihr Abitur gemacht. Etwa ein Drittel der Schüler brechen die Ausbildung ab. Viele Mädchen heiraten sehr früh, wie es die Tradition vorschreibt, viele Jungen müssen früh zum Lebensunterhalt ihrer Familie beitragen. Doch 20 bis 30 Schüler schaffen jedes Jahr das Abitur an der Schule und sind fit für die Uni. Manche wollen Lehrer werden, andere Sozialarbeiter oder Rechtsanwälte - was immer der Roma- Gemeinschaft nützlich ist.

Neuerdings [seit dem 31. 3. 2004] gibt es am Gandhi-Gymnasium in Pecs ein zusätzliches Lern- und Freizeitangebot: eine Bibliothek, das in Zusammenarbeit mit dem Budapester Goethe-Institut aufgebaut wird. Die Leiterin des Instituts, Ulrike Kreienberg, erzählt, wie es überhaupt zu dieser Idee kam:

"Die Schule hatte bislang keine Bibliothek in dieser Form. Dass war der Traum des Direktors, den Kindern Literatur bereitzustellen, gerade diesen Kindern, die von zuhause keinen Kontakt zu Büchenr haben."

Die Initiatoren hoffen, dass das Projekt auch in anderen Ländern der Region Schule macht, so dass auch Roma in Serbien, Kroatien oder Rumänien ähnliche Bibliotheken nutzen können:

(Kreienberg) "Wir hoffen, dass diese Bibliothek einen modellhaften Charakter haben wird. Es ist ein Pilotprojekt gewesen, in der Hoffnung, dass es ausstrahlt auf die umliegenden Länder, die alle mit ähnlichen Problemen kämpfen." (TS)