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Weihnachten für Obdachlose in Köln

23. Dezember 2009

Zum Weihnachtsfest im Kölner Vringstreff kommen Obdachlose und "Sozialschwache": Menschen, die kein Geld, keine Wohnung und zumeist keine Familie haben. Wie erleben sie das Fest?

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Aufenthaltsraum der karitativen Einrichtung "Vringstreff" in Köln (Foto: DW/Weitz)
Bild: DW/ Weitz

Richtig Lust auf Weihnachten hat hier niemand. Auch nicht Peter Lorbach. Er sitzt im Vringstreff an einem Tisch, und rührt in einer Tasse mit dampfendem Pfefferminztee. Der 61-Jährige ist Hartz IV-Empfänger und geschieden. Die Weihnachtstage will er einfach nur möglichst schnell hinter sich bringen. Der Alkohol soll ihm dabei helfen, dass er nicht viel vom Fest mitbekommt. "Ich mag Heiligabend nicht. Da hau ich mir eine, zwei Flaschen Grog rein", sagt Peter Lorbach. "Wenn ich dann wieder zu mir komme, haben wir Ersten Weihnachtstag Mittag, dann ist Weihnachten für mich so gut wie rum." Dann ist er erleichtert. Es klingt ungeduldig, wie er das sagt.

"Will nicht das fünfte Rad am Wagen sein"

Peter Lorbach kommt jedes Jahr hierher zum Weihnachtsfest im Vringstreff. Es ist für ihn das kleinste Übel, und viel anderes bleibt ihm auch nicht übrig. Die Eltern sind bereits gestorben, die Kinder, so sagt er, kommen nur zu ihm, wenn er ihnen helfen soll, wenn sie etwas von ihm haben wollen. Bei seinen Geschwistern könne er Heiligabend verbringen. Aber auch das scheint ihm keine gute Option zu sein. "Da kommen nur wieder die ganzen Streitereien von früher auf", erklärt er. Und überhaupt, er fühlt sich dort als "fünftes Rad am Wagen"; überflüssig, ungewollt.

Eine obdachlose Frau sitzt unter einem Vordach neben einem Einkaufswagen mit ihrem gesamten Besitz (Foto: dpa)
In Deutschland gibt es 227.000 ObdachloseBild: picture alliance/ dpa
Aushängeschild der karitativen Einrichtung "Vringstreff" (Foto: DW/Weitz)
Der "Vringstreff" - eine karitative EinrichtungBild: DW/ Weitz

Im Vringstreff brennen die Kerzen am Adventskranz, der Weihnachtsbaum ist mit bunten Kugeln geschmückt. Keiner von den Gästen sagt offen, dass es ihm etwas ausmacht, diese Tage allein zu verbringen. Anton Kluth, ebenfalls Hartz IV-Empfänger, spielt gerne Schach mit den anderen im Vringstreff, seit zehn Jahren schon. Sein langer Bart ist struppig, Anton Kluth schnauft leise, wenn er spricht.

Der 58-Jährige hat einen guten Grund, Weihnachten unwichtig zu finden, schließlich sei er Atheist. "Das ist 'n Fest, das die Christen feiern, das sollen sie ja auch tun. Aber ich selber habe da wenig Bindung zu." Er fügt hinzu: "Aus der Kindheit halt." Aus der Kindheit halt - das ist, als würde Anton Kluth verblichene, abgegriffene Schwarz-Weiß-Fotos aus der Tasche seines abgewetzten Mantels ziehen, sie vorzeigen und dann stirnrunzelnd andeuten, wie er früher Weihnachten verbrachte. "Na, mit der Familie halt, wir hatten einen Weihnachtsbaum, gingen in die Kirche. Klar gab es auch Geschenke." Dabei wiegt Anton Kluth den Kopf hin und her. Er verliert kein Wort zu viel darüber, was für Kindheitserinnerungen er an das Hohe Fest hat.

"An Weihnachten sind die Leute für kurze Zeit anders"

227.000 Obdachlose gibt es in Deutschland, Anton Kluth ist einer von ihnen. Er übernachtet in einer Notschlafstelle für Männer. Er sagt, dort kann man mit niemandem vernünftig reden, denn es wird zu viel getrunken. Deshalb hat auch dieses Jahr das Weihnachtsfest im Vringstreff vorgezogen, hier gilt absolutes Alkoholverbot. Wie immer singen die Gäste Lieder und trinken Kaffee zum Kuchen. Für jeden gibt es eine Geschenktüte mit Gebäck, einer Kerze oder einer Tasse.

Anton Kluth mag das. Aber wenn Weihnachten vorbei ist, dann denkt er jedes Mal, wie heuchlerisch er dieses Fest findet. "Die frommen Wünsche und das ganze Getue, was man über Weihnachten gemacht hat, sind dann vergessen. An den drei Tagen sind die Leute vielleicht etwas anders, aber danach sind sie genauso wie sie vorher waren." Anton Kluth weiß, an Weihnachten, da gehen die Leute in sich. Für ihn aber macht die Zeit an den Feiertagen nicht halt.

"Meine fetten Jahre sind vorbei"

Tobias ist an diesem Tag der Jüngste im Vringstreff. Obwohl es warm hier drinnen ist, trägt er eine Fellmütze, von der seltsame Zotteln baumeln. Dazu ein Fleece-Pulli im Armee-Muster und eine Jogginghose. Er hat mal als Spüler gearbeitet, diese Zeit nennt er seine "fetten Jahre". Die sind jetzt vorbei; Tobias ist heute arbeitslos und lebt von 345 Euro im Monat. Dieses Jahr bringt die Weihnachtszeit für ihn nichts Gutes: Er musste nach einer Räumungsklage seine Wohnung verlassen. Tobias spricht sehr leise, und dabei lächelt er fast ohne Unterbrechung. Was er sich zu Weihnachten wünscht? "Ich hätte gerne wieder eine Wohnung, so 35qm, Bad, Küche, das reicht. Hauptsache, ich hab mein eigenes Zuhause."

Ein Mann sucht in einem Mülleimer nach etwas Verwertbarem (Foto: AP)
Auf der Suche nach etwas VerwertbaremBild: AP

Mit Weihnachten sei er aufgewachsen, erzählt Tobias. Er habe immer zusammen mit seinen Eltern gefeiert. Wenn er jetzt an das Weihnachten seiner Kindertage zurückdenkt, hört sich der 32-jährige merkwürdig alt an. "Ja, das war eine schöne Zeit. Aber sobald man älter wird, ist es ganz anders, dann vernachlässigt man das."

Tobias wäre dieses Jahr Weihnachten gerne zu seinen Eltern gefahren, aber es fehlte am Geld. Immerhin, im neuen Jahr könnte es klappen, denn er hat einen guten Weg gefunden, legal an Geld zu kommen: Er sammelt Pfandflaschen."Für Plastikflaschen kriegt man 25 Cent. Das klappt unterschiedlich gut, je nachdem, in der Schulzeit auf Schulhöfen verdiene ich am besten." An Weihnachten hingegen sind die Einnahmen immer mau. Erst an Silvester gehen die Leute wieder raus zum Feiern. Tobias hofft, dass er dann besonders gut verdient.


Autorin: Brigitta Moll
Redaktion: Hartmut Lüning