Hoffen bis zuletzt
26. Dezember 2009Überall hat sie ihn gesucht. Auf der Straße, in Einkaufszentren, sogar in der eigenen Wohnung. "Wenn ich einen jungen Mann mit einer weißen Kappe sah, dachte ich sofort an Adam", erzählt Halina Schejok. Sie wollte einfach nicht glauben, dass ihr Sohn nie mehr aus Thailand zurückkommen würde. "Dabei habe ich es am 26. Dezember sofort gespürt, als uns die Nachricht vom Tsunami erreichte."
Da stand die 57-jährige Polin, die seit zwanzig Jahren mit ihrer Familie in Deutschland lebt, gerade in der Küche und bereitete das Weihnachtsessen vor. Keinen Bissen habe sie mehr hinuntergebracht, als die ersten Bilder des Seebebens im Fernsehen zu sehen waren, erzählt sie. Ihr Mann und die Tochter fuhren zu den Flughäfen, riefen beim Auswärtigen Amt an, machten bei den Behörden Druck. Halina Schejok aber saß nur wie gelähmt wie zuhause.
Gemeinsam hoffen und trauern
"Erst das Projekt 'Hoffen bis zuletzt' hat mir geholfen, aus dieser Lähmung herauszufinden", erzählt sie. Im April 2005 luden sie Seelsorger der Evangelischen Kirche zum ersten Angehörigentreffen ein. "Dort habe ich mich verstanden und geborgen gefühlt", sagt Halina Schejok. Das Gespräch mit anderen Betroffenen, das gemeinsame Weinen und das Gedenken an die Toten sei für sie sehr wichtig gewesen. Besonders in den neun langen Monaten, bis die Kleidungsstücke ihres Sohnes, eines 25-jährigen Maschinenbaustudenten, gefunden wurden.
"Es gab viele Menschen, die ihre Angehörigen nicht beerdigen konnten", erzählt Projektleiter Joachim Müller-Lange. "Die bis zuletzt hofften, dass der vermisste Mensch doch überlebt hat." Andere mussten mit ansehen, wie ihre Familie von der Welle fortgerissen wurde. "Diese Katastrophe hatte ganz andere Ausmaße als alles, was ich bislang erlebt hatte", sagt der Theologe. Deshalb gründete er schon einige Wochen nach dem Seebeben gemeinsam mit anderen evangelischen Seelsorgern und dem Deutschen Roten Kreuz das Projekt "Hoffen bis zuletzt".
Konfrontation mit dem Meer
600 Hinterbliebene hat Joachim Müller-Lange mit einem Team von rund 70 Seelsorgern in den vergangenen fünf Jahren begleitet. Er hat sie zuhause besucht, Angehörigentreffen organisiert und Gedenkfeiern veranstaltet. Auch in Thailand. Dort sind die Seelsorger dreimal mit einer Gruppe von Angehörigen gewesen, um Blumen am Strand von Khao Lak niederzulegen. Die Gestecke seien von der der ruhigen, aufkommenden Flut ins Meer geschwemmt worden, erzählt Müller-Lange. "Es war ein Symbol dafür, dass dieses Meer nicht nur grausam ist, sondern auch friedlich sein kann."
An der Reise im Dezember 2008 hat auch Halina Schejok mit ihrer Familie teilgenommen. Voller Angst sei sie dort hingefahren, sagt sie. Aber auch voller Hoffnung, das Schicksal ihres Sohnes endlich akzeptieren zu können. Einen Ort der Trauer zu finden. "Sein Grabstein in Deutschland kam mir immer künstlich vor, denn er starb ja in Thailand."
Versöhnt mit Gott
Alle Orte, an denen sich ihr Sohn Adam damals aufhielt, hat Halina Schejock auf der Reise kennengelernt. Sie war am Strand, im Hotel, in den Restaurants. Erst sei sie voller Hass auf das südostasiatische Land gewesen, erzählt sie. Doch mit jedem neuen Tag habe sie die Schönheit Thailands erkennen und die Begeisterung ihres Sohnes für dieses Urlaubsland verstehen können.
Am Ende der Reise brachte sie am internationalen Denkmal für die Opfer des Tsunami eine Gedenktafel für Adam an. In diesem Augenblick habe sie sich mit dem Schicksal ihres Sohnes und auch mit Gott versöhnen können, erzählt die Polin. "In Thailand habe ich verstanden, dass Gott uns nicht verlassen hat, sondern uns jetzt hilft, diesen schweren Weg zu gehen und das alles zu ertragen."
Autorin: Sabine Damaschke
Redaktion: Klaus Krämer