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Hoffen auf eine neue deutsche Klassik

Mathis Winkler / cs 23. Februar 2005

Deutsche Orchester kämpfen ums Überleben. Der Fortbestand einer der weltweit vielfältigsten Musikszenen steht auf der Kippe. Der Grund: radikal gekürzte öffentliche Zuschüsse. Innovationen sollen die Ensembles retten.

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Eigentlich wollte Andreas Moritz, Direktor des Berliner Symphonieorchesters, dieses Jahr das 40-jährige Bestehen seines Ensembles feiern. Jetzt deutet vieles darauf hin, dass er stattdessen das nahe Ende der Berliner Kulturinstitution verkünden muss.

"Wenn wir in den nächsten Wochen keinen 'major partner' nach amerikanischem Modell finden, dann wird das Orchester für alle Zeiten verschwinden", sagt Moritz. Schuld an der Misere ist der Berliner Senat, der im vergangenen Jahr mehrere Millionen Euro Zuschüsse gekürzt und das Symphonieorchester damit an den Rand des Ruins gebracht hat.

Inzwischen arbeiten die Musiker für nahezu kein Gehalt, nur um ihr Programm aufrecht erhalten zu können. Das sei die einzige Möglichkeit, potentielle Investoren anzuwerben, sagt Moritz. Er würde keine Sekunde zögern, ein Firmenlogo auf seine Webseite zu setzen, wenn sich denn ein Sponsor finden ließe. Moritz kann sich sogar noch viel mehr vorstellen: Um sein Orchester vor der Pleite zu retten, könnten die Musiker auch in bunten Fracks auftreten. In den Farben der Sponsor-Firma.

Die öffentliche Unterstützung schwindet

Berliner Symphoniker mit Nena
Popsängerin Nena und die Berliner SymphonikerBild: dpa

Das Berliner Symphonieorchester steht stellvertretend für viele der 136 professionellen Orchester, die es in Deutschland gibt. Ähnlich wie das Berliner Orchester stehen auch das Deutsche Filmorchester in Potsdam und das Bayerische Rundfunkorchester kurz vor dem Aus.

Die schwierige wirtschaftliche Situation in Deutschland zeigt deutliche Auswirkungen auf die deutsche Kulturszene. Nach Jahren üppiger öffentlicher Unterstützung wird jetzt an allen Ecken gespart. Vor allem die Orchester, die sich bisher nahezu ausschließlich über öffentliche Gelder finanzierten, müssen sich etwas einfallen lassen, um in Zukunft aus eigener Kraft zu überleben.

"Es ist absolut notwendig, der Kultur das Elitäre zu nehmen. Das ist die einzige Chance, den Streichungen in der Kultur die Argumente zu nehmen", so Moritz.

Das sieht auch Gerald Mertens, der Direktor der Deutschen Orchester-Vereinigung, so. Vor allem in Ballungsräumen mit einem großen Angebot, wie in Berlin, München oder in Nordrhein-Westfalen stünden die Ensembles unter Druck, ihr Profil zu schärfen und eine breitere Hörerschaft anzulocken.

"Orchester sind gefordert, ihren Stellenwert in der Gesellschaft noch mehr zu dokumentieren." Deutschland sei zwar nach wie vor weltweit die Nummer eins in klassischer Musik, liege aber in Sachen Innovation der Orchester weit hinter Großbritannien und vor allem den USA zurück.

Die Jugend begeistern

Das Filmorchester Babelsberg im Großen Saal des ehemaligen DDR-Rundfunks in Berlin
Das Fillmorchester Babelsberg hatte bereits einen Gastauftritt bei den Academy AwardsBild: dpa

US-amerikanische Orchester finanzieren im Schnitt nur vier Prozent ihres Budgets aus staatlichen Zuschüssen. In Deutschland ist es nahezu umgekehrt: Hier alimentiert der Staat, die Unterstützung durch private Investoren macht gerade einmal durchschnittlich 13 Prozent des Etats aus.

"Die Notwendigkeit (von Innovation) wurde gar nicht erkannt. Es gab den Glauben, dass der Staat als Vertretung der Bürger dazu da sei, dieses kulturelle Angebot aufrecht zu erhalten", sagt Martin Maria Krüger, Präsident des Deutschen Musikrats.

Krüger sieht die Zukunft der deutschen Klassik-Musikszene vor allem in der Begeisterung der Jugend für das musikalische Erbe.

Auf den Nachwuchs setzen auch andere. Hermann Bäumer, der Musikdirektor des Osnabrücker Symphonie-Orchesters, tut mehr, als nur Schulkonzerte zu organisieren. Er bietet Kindern Musik-Erlebnis-Touren. So fährt er mit ihnen zum Beispiel in eine stillgelegte Kohle-Mine, wo sie den Sound einer alten Dampfmaschine aufnehmen. Damit sollen sie später ihre eigenen Werke komponieren.

Kultur und Profit

Simon Rattle in Berlin
Sir Simon RattleBild: AP

Aber nicht nur die Orchester in der so genannten Provinz und die Zweit- und Drittorchester in großen Städten müssen sich anstrengen - auch die "Großen" und "Berühmten" der Branche sind gefordert. Beispiel: die Berliner Philharmoniker. Zwar steuert der Berliner Senat knapp die Hälfte zum 30-Millionen-Euro-Etat des Orchesters bei, aber das Orchester hat bereits einen privaten Sponsor angeworben: Das Logo der Deutschen Bank prangt unübersehbar auf der Website der Philharmoniker.