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Hobbymusiker und Sicherheitsexperte

9. Juli 2003

- Botschafter Wilfried Gruber verlässt Ungarn

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Budapest, 7.7.2003, BUDAPESTER ZEITUNG, deutsch, Gunnar Erth

Würde er es wieder machen? Noch einmal Diplomat werden, mit allen Vor- und Nachteilen, die der Beruf mit sich bringt? Wilfried Gruber, Noch-Botschafter Deutschlands in Budapest, runzelt die Stirn hinter seiner Brille. "Auf jeden Fall", sagt er sofort mit leicht indigniertem Blick. Und das, obwohl er in seiner 33-jährigen Laufbahn in Diensten des Auswärtigen Amts zig Mal umziehen musste. Obwohl er tragische Stunden erleben musste, wie auf seinem Posten in Belgrad, zu Beginn des Nato-Angriffs. Kommende Woche ist es erneut soweit - Wilfried Gruber packt sein Hab und Gut und tritt seine neue Stelle in Bukarest an. Seit April 2000 war er in Budapest.

Lediglich einen anderen Beruf hätte sich der 60-Jährige vorstellen können: Musiker. Seine Bratsche begleitete Wilfried Gruber auf viele Stationen, "aber Zeit für Hausmusik mit meiner Frau Monique, die Flöte spielt, hatte ich kaum", bedauert er. Lediglich vor knapp zwei Jahren, zur Eröffnung der neuen Ungarischen Botschaft am Brandenburger Tor, wurde er als Musiker gefordert. "Der damalige Botschafter Gergely Pröhle ist ein ausgezeichneter Pianist und wollte mit mir und einem weiteren Mitarbeiter des Auswärtigen Amts ein Diplomatentrio spielen, ein Stück von Haydn." Gruber sagte mutig zu und übte vier Wochen lang jeden Tag. So, als ginge es darum, sich auf eine besonders heikle diplomatische Mission vorzubereiten. "Zum Glück hat das Publikum wohlwollend über unsere kleinen Aussetzer hinweggesehen", fügt er schmunzelnd an.

Weiße Haare in Belgrad

Dennoch fand der Tag, der so harmonisch begann, ein jähes Ende. Das Datum war der 11. September 2001, nur wenige Stunden später stürzte das World Trade Center in sich zusammen. Für Gruber nicht die einzige schwere Stunde, die der gebürtige Überlinger im Dienst erlebt hat. Von 1996 bis 1999 war er Botschafter in Belgrad, bis er am 24. März wegen der Nato-Angriffe auf Jugoslawien evakuiert werden musste.

An dem Tag, an dem die ersten Bomben auf Belgrad fielen, verließ er endgültig seinen Posten, nachdem er bereits am 12. Oktober 1998, als die ersten Kriegszeichen sich mehrten, nach Berlin zurück beordert worden war. Um 7.30 Uhr, selbst die Uhrzeit hat sich bei ihm festgebrannt, gab er seinen Ortskräften das Gehalt für die nächsten drei Monate, nicht wissend, ob er sie wiedersehen würde. "Ich hatte ein schlechtes Gefühl, denn Mitglieder des damaligen jugoslawischen Regimes hatten den Landsleuten, die für den Feind arbeiteten, mit harten Maßnahmen gedroht." Seine schwerste Stunde sei dies gewesen, erzählt er ruhig und man sieht ihm an, wie die belastenden Gedanken wieder in ihm aufsteigen. Freunde des Botschafters wissen, dass seine Haare in dieser Zeit schlagartig weiß wurden und erst später wieder nachdunkelten.

In diesen Jahren in Belgrad bewies der bescheidene, hagere Botschafter, dass Diplomat sein nicht immer bedeutet, höflich lächelnd nach Kompromissen zu suchen. "Diplomat sein bedeutet, die Interessen seines Landes zu vertreten, auf eine Weise, dass man Freunde gewinnt", erklärt Gruber. Vielseitig und aufgeschlossen müsse man sein - und gute Nerven haben. "Ich habe allerdings auch ein Mitglied der Milosevic-Regierung einmal angebrüllt", erinnert er sich, und ein Lächeln umspielt seinen Mund, als wolle er sagen, dass er dies auch heute nicht bereut.

Die Jahre in Belgrad bedeuten Gruber viel, noch heute gibt es immer wieder Schnittlinien mit der Gegenwart. "Ich habe an keinem anderen Ort so viele Freunde gewonnen." Auch unter den Oppositionspolitikern, die heute teilweise in der Regierung sitzen. "Und mein Team war auch damals sehr gut." Einmal war er im Kosovo mit seinem Militärattaché im Auto unterwegs, als er in eine Straßensperre geriet. Mitten in der Nacht, umgeben von bewaffneten Betrunkenen. "Während ich mit dem Satellitentelefon versuchte, Hilfe zu bekommen, gelang es meinem Militärattaché, beruhigend auf die Wegelagerer einzureden. Ein phantastischer Mann", lobt der Botschafter.

Auch an den meisten seiner anderen Stationen konnte sich der studierte Politologe, Historiker und Romanist über einen Mangel an Spannung und Aufregung nicht beklagen. Nach seiner Grundausbildung im Auswärtigen Amt war London seine erste Auslandsstation, von 1972 bis 1976, just zum Beitritt zur Europäischen Gemeinschaft. Anschließend war er drei Jahre lang in La Paz und von 1983 bis 1986 in Moskau - zu der Zeit, als Gorbatschow die Reformen einleitete, die die Welt verändern sollten.

Die folgenden zehn Jahre verbrachte er im Auswärtigen Amt. "Ich war in der Zentrale und auch den meisten Auslandsstationen mit Sicherheitspolitik beschäftigt. Das ist der Rote Faden in meiner Karriere." So führte er während der deutschen EU-Präsidentschaft 1999 die Verhandlungen über den Stabilitätspakt für Südosteuropa.

1989 wurde Wilfried Gruber als Fellow für neun Monate an den größten sicherheitspolitischen Think Tank in den USA, die Rand Corporation im kalifornischen Santa Monica, ausgeliehen. Dort schrieb er auch seine erste E-Mail, fünf Jahre, bevor diese Art der Kommunikation auch im Auswärtigen Amt eingeführt wurde.

Der Siegeszug des Computers macht den größten Unterschied in der praktischen Arbeit der Diplomaten im Vergleich zu früher aus. "Zu Zeiten des Nato-Doppelbeschlusses Anfang der 80er Jahre mussten wir noch die Dokumente mit Tipp-Ex korrigieren", erinnert er sich. "Es hatte auch sein Gutes, man musste sorgfältiger formulieren, als dies vielleicht heute geschieht."

Irritationen und Vertrauen

Auf allen Stationen begleitete ihn seine Frau Monique. Die längste Trennung betrug neun Monate, als Gruber 1980 an der KSZE-Folgekonferenz in Madrid teilnahm und diese nur "ein paar Wochen" dauern sollte. Seinen beiden Kindern konnte er immerhin ersparen, dauernd umziehen zu müssen. "Fast ihre ganze Gymnasialzeit fiel in die Zeit, in der ich in der Zentrale arbeitete."

Der EU-Beitritt beschäftigte Gruber hauptsächlich während seiner Zeit in Ungarn. Zwei Regierungen erlebte er in dieser Zeit. Auf die Frage, mit welcher es einfacher war zu kooperieren, antwortet Gruber wieder indirekt mit seinem verschmitzten Lächeln. "Der Unterschied im Stil ist ja bestens bekannt", sagt er in Anspielung auf die oft rustikal handelnde Orbán-Regierung.

Spannungsfrei war das deutsch-ungarische Verhältnis auch unter Premier Péter Medgyessy nicht. "Der Brief der Acht, in dem Ungarn die US-Haltung im Irak-Konflikt unterstützte, hat in Berlin Erstaunen ausgelöst", so Gruber. "Aber das Leben geht weiter, die Irritationen sind beseitigt."

Am 16. Juli zieht Wilfried Gruber in seinen neuen Amtssitz in Bukarest ein. Rumänisch lernt er schon. "2007 will Rumänien in die EU. Ob sie das schaffen, hängt allein von ihnen ab." Ob Wilfried Gruber dann noch dort Botschafter ist, darf bezweifelt werden. Er wird dann schon seinen Lebensabend genießen. Und zurückblicken auf eine Zeit, in der er fast alles noch einmal so machen würde. (fp)