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Historische Wahl in Tunesien

23. Oktober 2011

Die Tunesier haben eine verfassunggebende Versammlung gewählt und damit die erste große Hürde auf dem Weg zur Demokratie gemeistert. Ob sich das Land in einen liberalen Staat verwandelt, ist aber noch offen.

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Tunesier vor einem Wahllokal (Foto: pa/dpa)
Großer Andrang vor den WahllokalenBild: picture-alliance/dpa

Eine freie Abstimmung und keine größeren Zwischenfälle: Millionen von Tunesiern haben am Sonntag (23.10.2011) eine verfassunggebende Versammlung gewählt. Sie soll im Laufe eines Jahres das Grundgesetz für die mehr als zehn Millionen Einwohner des kleinsten Maghreb-Staates ausarbeiten, eine Übergangsregierung bestimmen und die Präsidenten- und Parlamentswahl vorbereiten. Damit hat Tunesien einen wichtigen Schritt in Richtung Demokratie gemacht.

Politischer Konsens

Dass die ersten freien Wahlen des Landes friedlich und ohne große Störungen abliefen, zeigt, dass es auch neun Monate nach dem Sturz des alten Regimes einen großen politischen Konsens gibt. "Die Tunesier wollen diese Wahl", sagt Michael Gahler, EU-Abgeordneter und Leiter der Wahlbeobachter-Kommission der Europäischen Union in Tunesien. "Sie unterstützen die unparteiische Wahl-Kommission." Dass die Tunesier die Demokratie wollen, haben sie damit bewiesen. Ob sie eine liberale Demokratie wollen, wird das für Dienstag erwartete Wahlergebnis zeigen. Noch ist unklar, welches politische Lager in der verfassunggebenden Versammlung die Mehrheit stellen wird.

Tunesier vor Wahlplakaten (Foto: pa/dpa)
Etwa 100 Parteien standen zur Wahl - längst nicht alle haben ein klares WahlprogrammBild: picture-alliance/dpa

Beobachter rechnen damit, dass die islamistische Ennahda-Bewegung von Rachid Ghannouchi die stärkste Einzelpartei wird. Sie war unter Ben Ali verboten, verfügt aber fast als einzige Partei über Organisationsstrukturen. Wofür die Ennahda genau steht, ist unklar. Es gibt Befürchtungen, dass sie radikalen Strömungen wie den Salafisten nahesteht. Diese sind für eine Trennung von Frauen und Männern in der Öffentlichkeit und halten Wahlen für unislamisch. Im Wahlkampf hat es die Ennahda – wie auch einige andere Parteien – vermieden, Details zu ihrer Politik zu nennen. Verbindungen zu Salafisten hat sie aber zurückgewiesen – und zur Überraschung vieler betont, dass es jeder Frau freistehen müsse, ein Kopftuch zu tragen oder nicht.

Gespaltene Partei

Klaus Loetzer, Leiter des Auslandsbüros Tunesien der Konrad-Adenauer-Stiftung, glaubt, dass die Partei gespalten ist: "Die einen folgen mehr dem türkischen Modell und wollen die Trennung von Kirche und Staat", erklärt er im Interview mit DW-WORLD.DE. "Die anderen wollen die Einheit von Staat und Religion – also die Scharia als Grundlage für staatliches Handeln und den Rechtsrahmen der Bürger." Da die Ennahda nur wenige mögliche Koalitionspartner hat, ist fraglich, ob sie die politische Führung übernehmen kann.

Insgesamt standen den Tunesiern etwa 100 Parteien zur Wahl. Beobachter rechnen damit, dass ungefähr zehn von ihnen in der verfassunggebenden Versammlung vertreten sein werden – wobei auch unabhängige Kandidatenlisten dazu gehören können, also Einzelpersonen, die nicht in Parteien organisiert sind. Das Verhältniswahlsystem begünstigt tendenziell kleine Parteien und unabhängige Kandidaten. Insgesamt gibt es 27 Wahlkreise in Tunesien und sechs weitere im Ausland. Das Wahlgesetz sieht einen Sitz pro 60.000 Einwohner vor. In der verfassunggebenden Versammlung werden 217 Abgeordnete vertreten sein.

Autorin: Anne Allmeling
Redaktion: Hans Spross