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His Master's Voice

Text: Helene Pawlitzki / Video: Laura Döing30. April 2013

Die Sprache ist die vielleicht mächtigste Waffe des Menschen; sie ist Musik, Politik, Gebet, sie ist Kunst, Gewalt und Ritual. Jetzt steht sie im Mittelpunkt einer Ausstellung im Kulturzentrum Dortmunder U.

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Videoinstallation Interrogation, 2009 von Ignas Krunglevicius(Foto: Ignas Krunglevicius/ Staatliche Museen zu Berlin)
Bild: Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie, courtesy of the artist

Ein Versprechen geben. Den Namen des Geliebten sagen. Andere zu einem Verbrechen anstacheln. Ein Geständnis machen: Worte sind wie Taten - was wir sagen, bleibt nie folgenlos. Die Idee, Sprache als performativen Akt darzustellen, sei ihr roter Faden bei der Auswahl der Werke gewesen, sagt Inke Arns, künstlerische Leiterin des Hartware MedienKunstVereins (HMKV). "Sprache beschreibt nicht nur Dinge. Wir handeln auch durch sie - zum Beispiel bei Hochzeitsritualen: 'Hiermit erkläre ich Euch zu Mann und Frau.' Oder bei Schiffstaufen: 'Ich taufe dieses Schiff Josef Stalin'." Knapp 30 Werke der Gegenwartskunst von 1972 bis heute hat Arns zusammengetragen, meist Performances und Videoinstallationen. Und alle beweisen sie, dass Worte alles andere als flüchtig sind.

Wie Worte die Welt verändern

"Wehe dem, der die Macht des Wortes geringschätzt. Jeder Sprechakt verändert die Welt". Das wird in der Videoinstallation "Interrogation" eindrucksvoll deutlich gemacht. Ignas Krunglevicius zeigt das Schriftprotokoll eines polizeilichen Verhörs aus den USA: Mary Kovic soll ihren Mann erschossen haben; der Polizist Robert John will sie zu einem Geständnis bewegen. Johns Fragen und Kovics knappe, hysterische Antworten werden Zeile für Zeile auf zwei Videoleinwänden eingeblendet - im Sprechtempo, so dass man bald den Eindruck hat, die beiden zu hören, obwohl nur Technobeats und Pieptöne den Rhythmus der Einblendungen untermalen.

Zwei Besucher der Ausstellung mit Kopfhörern betrachten eine Videosequenz (Foto: DW/Helene Pawlitzki)
Hören und staunenBild: DW/Helene Pawlitzki

"Wir können die Vergangenheit nicht verändern. Wir können nur von diesem Punkt an unser Schicksal kontrollieren", beschwört der Polizist die Verdächtige. Doch sie weiß: Alles, was sie sagt, kann gegen sie verwendet werden. Und wenn sie die Geschehnisse in Worte fasst, bekommen diese eine ganz eigene Realität.

Hate Radio

"Sprache ist eine Waffe. Haltet sie scharf", wird Kurt Tucholsky in der Ausstellung zitiert. Fast schon unbedacht wirkt dieser Ausspruch, wenn man danach im Zentrum des Ausstellungsraums das Bühnenbild der Performance "Hate Radio" sieht. Der Völkermord in Ruanda 1994 wäre wohl ohne die Worte des populären Radiosenders RTLM nicht möglich gewesen, der den Hass des Volks der Hutu auf die Tutsi gezielt schürte.

[No title]

Der Schweizer Regisseur und Autor Milo Rau hat eine Bühnenperformance entwickelt, in der Schauspieler die damals von RTLM verbreiteten Hassreden nachsprechen - in einer bis auf die leeren Colaflaschen originalgetreuen Nachbildung des RTLM-Studios.

Wenn Worte sinnlos werden

HaSchem, der Name Gottes, ist es, der den Golem von Prag in der jüdischen Legende zum Leben erweckt - ein Name, der nicht ausgesprochen werden darf, um ihn nicht zu missbrauchen. Denn Namen entwickeln eine ganz besondere Macht, wenn man sie artikuliert.

Der kosovarische Künstler Jakup Ferri hört sich "Two Virgins" an, eine Performance von John Lennon und Yoko Ono, in der sich beide ohne Unterlass gegenseitig beim Namen rufen. All die Weltvergessenheit, all das Ineinanderaufgehen dieses zum Verrücktwerden verliebten Paares stecken in dieser Aufnahme - als gäbe es für sie keinen Gedanken außer den Namen des jeweils anderen. Wäre man einer der anderen drei Beatles, man wäre wohl genervt.

Der kosovarische Künstler Jakup Ferri (Foto: DW/Helene Pawlitzki)
"Jakub! Jakub!" – Der kosovarische Künstler in "Three Virgins"Bild: DW/Helene Pawlitzki

Ferri macht sich zum fünften Beatle, indem er Johns "Yoko"- und Yokos "John"-Rufe immer wieder durch seinen eigenen Namen unterbricht, den er mal gelangweilt, mal heftig hervorstößt. Wie ein Kind, das immer wieder "Rhabarber" sagt, bis das Wort seine Bedeutung verliert und zum amüsanten Klang wird, verlieren auch "John", "Yoko" und "Jakub" nach einer Weile ihren Sinn. Und damit einen Teil ihrer Macht.

Körperlos, sprachlos – machtlos?

"Was in der Ausstellung auch verhandelt wird, ist die Frage: Wer spricht eigentlich, wenn wir sprechen?", erläutert Inke Arns ihr Ausstellungskonzept. "Sind es wirklich wir, die sprechen - oder ist es jemand anders, der durch uns spricht? Oder die Sprache selbst, die durch uns spricht?" Denn wenn Sprache sich verselbstständige, kommt es zum ethischen Konflikt: "Wer soll dann die Verantwortung für die Macht übernehmen, die das Gesagte entwickelt?"

Mann auf Videoleinwand (Foto: DW/Helene Pawlitzki)
Spielball der Werbung?Bild: DW/Helene Pawlitzki

Wie ein Maschinengewehr rattert in der Videoinstallation "Sieben bis zehn Millionen" ein junger Mann einen Monolog über ein mehr oder weniger banales Problem herunter: Offenbar geht es um den Kauf eines elektrischen Geräts. Inke Arns beschreibt sich selbst angesichts dieser Performance als immer wieder "absolut entsetzt": "Man fragt sich: Was spricht da eigentlich durch diesen jungen Mann? Er ist nur noch ein Gefäß, durch den Werbebotschaften sprechen."

Verbotene Wörter

Wenn Sprache Macht ist, dann macht Sprachlosigkeit machtlos. 1985 verbot die türkische Regierung 205 Wörter, darunter "Erinnerung", "Bewegung", "Traum" oder "Theorie". Aslı Çavuşoğlu verwendete 191 dieser Wörter im Test eines Rapsongs. Eine von hundert Schallplatten mit diesem Song ist in der Ausstellung zu sehen - und zu hören.

Noch bis zum 7. Juli 2013 sind die Werke im Dortmunder U zu sehen. Eine ganze Reihe Live-Performances werden die Ausstellung bis dahin ergänzen.