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Hintergrund: Vergangenheitsbewältigung auf Französisch

Daryush Ghadimi26. November 2001

General Paul Aussaresses muss sich in Paris wegen "Verherrlichung von Kriegsverbrechen" in Algerien vor Gericht verantworten

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"Frankreich im Angesicht seiner Verbrechen in Algerien" - so titelte die französische Tageszeitung "Le Monde". Die kommunistische "l'Humanité" wurde noch drastischer: "Bekenntnis eines Staatsverbrechens". Anfang Mai 2001 beherrschten die Enthüllungen des Generals Paul Aussaresses die französische Tagespresse. Ab Montag (26.11.) steht er in Paris vor Gericht, wo er sich wegen "Verherrlichung von Kriegsverbrechen" verantworten muss. In seinen Memoiren unter dem Titel "Spezialeinheiten, Algerien 1955-1957" beschreibt der jetzt 83-jährige General und Mitglied der Ehrenlegion die damals üblichen Praktiken der französischen Spezialeinheit während des Algerien-Krieges, deren Befehlshaber er war. Diese bestanden, wie Aussaresses nun darlegt, aus systematischer Folterung und Massen-Exekutionen auch von Zivilisten.

Folter als tägliches Brot

"Folter wirkt, die meisten kippen und fangen an zu reden. Dann, jedenfalls in den meisten Fällen, gab man ihnen den Rest. Sicher, man hätte sie der Justiz übergeben müssen, das geschah aber nur in einigen Ausnahmefällen. In der Regel hatte man dafür aber keine Zeit. Ob mir das Gewissensnöte bereitet? Ich muss das verneinen. Ich habe mich einfach daran gewöhnt", heißt es in dem Buch. Die französische Öffentlichkeit war schockiert. Die Ausführungen des Generals wurden als zynisch empfunden.

Dass die französische Armee während ihres Kolonialkrieges zwischen 1954 und 1962 die algerische Freiheitsbewegung mit systematischer Folter, Massenhinrichtungen und Massakern an der Zivilbevölkerung einzuschüchtern versuchte, war in Frankreich bisher ein offenes Geheimnis, über das man am besten nicht sprach. Erst Ende letzten Jahres wurde die Diskussion entfacht, als Aussaresses und ein weiterer hoher Militär öffentlich die Verbrechen zugaben.

Frankreichs blutige Zeitgeschichte

1957 wurde Aussaresses, der bereits im Zweiten Weltkrieg und in Indochina gekämpft hatte, nach Algier berufen. Die algerische Freiheitsfront (FLN) führte einen erbitterten Guerilla-Kampf gegen das Kolonialregime. Tägliche Bombenattentate in Kinos, Straßen und Cafés sollten die französischen Besatzer mürbe machen. Aussaresses wurde als Geheimdienst-Chef beauftragt, mit allen Mitteln die Ordnung in Algier wieder herzustellen. Um potentielle Attentäter ausfindig zu machen und das Netz der FLN zu infiltrieren, galt der Grundsatz: Der Zweck heiligt die Mittel. Aussaresses verschweigt in seinen Memoiren keineswegs, dass er gelegentlich selbst mit eigenen Händen zupacken musste, um von Gefangenen Informationen zu bekommen. Zitat: "Ich habe mir dabei nichts gedacht, geschweige, dass ich seines Todes wegen etwas empfunden hätte. Wenn ich irgend etwas bedauert hätte, dann nur, dass er nicht geredet hat, bevor er starb." Er schreibt in dem Ton eines Militärs, der auch Verbrechen im Dienste seines Vaterlandes beging. Aussaresses nennt dies: "Verantwortung zeigen".

Die Einsicht, dass Frankreich nicht nur das Land der Aufklärung, sondern auch der brutalen Unterdrückung seiner Kolonialvölker ist, kommt spät. Vor einigen Jahren wurde zunächst ein anderes dunkles Kapitel der Geschichte Frankreichs offengelegt: Die Zeit der Kollaboration mit dem nationalsozialistischen Deutschland während des Zweiten Weltkrieges. Der Historiker Pierre Vidal-Naquet gehört zu den ersten, der die Verbrechen der französischen Armee anklagte: "Der Prozess Maurice Papon war diesbezüglich von großem Interesse, denn obwohl Papon nur wegen seiner Beteiligung an der Deportation der Juden juristisch verfolgt wurde, änderte dies nichts an der Tatsache, dass er als Chef der Pariser Polizei ebenfalls der Verantwortliche war, der die algerischen Demonstranten 1961 durch Polizisten in der Seine ertränken ließ. Und dies kam bei seinem Prozess zur Sprache. Deshalb führte gerade die Aufarbeitung der Rolle Frankreichs während der Nazibesatzung zu einer Aufarbeitung der Geschichte Frankreichs während des Algerienkrieges."

Einblick in die Mitwisserschaft

Einen Prozess, der den hochangesehenen Politiker Maurice Papon 1998 noch im Greisenalter wegen Verbrechen an der Menschlichkeit ins Gefängnis brachte, hat Aussaresses indes kaum zu befürchten. Denn das Amnestie-Gesetz von 1968 stellt alle mutmaßlichen Kriegsverbrecher des Algerien-Krieges von einer juristischen Verfolgung frei. Dabei stünde mit Aussaresses nicht nur ein Einzelverantwortlicher auf der Anklagebank, sondern die gesamte damalige sozialistische Regierung. In seinen Memoiren lässt der General keinen Zweifel, dass er mit Einwilligung der damaligen regierenden Politiker agierte. Dazu bemerkt der Historiker Vidal-Naquet: "Es stimmt, dass die Politiker über die Folter in Algerien Bescheid wussten und sie sogar billigten. Das ist der Fall bei drei Ministern der Regierung von Guy Mollet: Robert Lacoste, besonderer Minister für Algerien, Max Lejeune, Generalsekretär der Armee, und Verteidigungsminister Maurices Bourgès-Maunoury. Die Rolle von Francois Mitterand war, wenn man so will, etwas blasser. Er war derjenige, der von alldem nicht zuviel wissen wollte. Das, was man ihm vorwerfen kann, ist, bis zuletzt in der Regierung Guy Mollets geblieben zu sein. Was Guy Mollet betrifft: Der wusste alles."