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Hintergrund: Eine politische Lösung für Afghanistan

Said Musa Samimy20. November 2001

Die Einnahme Kabuls könnte eine wirkliche gewesen sein. Erstmals zeichnet sich die realistische Chance einer politischen Lösung des Afghanistan-Konflikts ab.

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Die Einnahme der einstmals majestätischen, nun in Ruinen liegenden afghanischen Hauptstadt Kabul durch die Einheiten der Nordallianz stellt zweifellos einen großen militärischen Sieg dieses Bündnisses dar. Aber es handelt sich nicht allein um eine militärische, sondern auch um eine tiefergehende Wende in dem nun seit 23 Jahren andauernden blutigen Bürgerkrieg am Hindukusch. Denn die bitteren Erfahrungen der vergangenen Jahrzehnte in dem Vielvölkerstaat haben eines ganz deutlich bewiesen: Militärische Erfolge, egal welcher der Konfliktparteien, sind auf Sand gebaut, wenn sie nicht durch eine politische Lösung flankiert werden: Eine Lösung, die eine angemessen Beteiligung der politischer Vertreter aller Volksstämme garantiert und damit ein Mitwirken der afghanischen Völkerschaften an der Zentralverwaltung. Diesmal scheint die Chance für eine solche politische Lösung zu bestehen.

Zersplitterung bestimmte die Geschichte

Das Schicksal der Menschen am Hindukusch ist schon immer durch ein kompliziertes Zusammenwirken einer Reihe von inneren und äußeren Faktoren bestimmt gewesen: Da sind die undurchschaubaren sozialen Strukturen unterschiedlicher Volksstämme, die extrem unterschiedlichen geographischen Gegebenheiten des Landes und nicht zuletzt die regionalen und geo-strategischen Machtinteressen ausländischer Mächte.

Das Zusammenwirken dieser inneren und äußeren Faktoren hat, wesentlich unterstützt durch die Luftangriffe der USA, eine neue Dynamik gewonnen. Die Einheiten der Nordallianz haben fünf Jahre lang mit abgetragenen Schuhen, zerrissenen Kleidern und unzureichender Bewaffnung in den Steppen und den Schluchten des Landes gegen die Taliban-Despotie ausgeharrt. Dass von dieser Despotie eine Gefahr für den Weltfrieden über die Grenzen von Zentralasien hinaus ausgeht, hatte der ermordete legendäre Kommandeur der Nordallianz, Ahmad Shah Masud, ohne Resonanz schon früh verkündet. Erst durch die Terrorangriffe auf New York und Washington erkannte die Außenwelt die Realität dieser Bedrohung und schloss sich zur Anti-Terror-Allianz zusammen.

Eine neue Qualität der Eroberung

Vor dem Hintergrund dieser internationalen Koalition findet die Einnahme von Kabul also unter ganz anderen Umständen statt als frühere Eroberungen im afghanischen Bürgerkrieg. Die politischen und diplomatischen Sondierungen unter Beteiligung verschiedener afghanischer Gruppierungen weisen darauf hin, dass sich die Parteien und Volksstämme Afghanistan über die Notwendigkeit einer politischen Lösung im klaren sind. Mit Ausnahme der Taliban-Milizen, die sich jetzt in die Gebiete ihres stärksten Rückhalts im Süden des Landes zurückziehen, plädieren andere am Konflikt maßgebend beteiligten Parteien für die Bildung einer Koalitionsregierung auf breiter Basis.

Ein gemeinsamer Feind einte die Opposition

Über die legitime Bildung einer derartigen Zentralverwaltung bestehen jedoch immer noch gewisse Differenzen. Die 1997 gegründete "Islamische Einheitsfront zur Rettung Afghanistans", bekannt als Nordallianz, wird hauptsächlich von drei Organisationen getragen, die sich wiederum als Vertreter der ethnischen Gruppen der Tadschiken, der Usbeken und der Hasaras verstehen. Als Vertreter der größten einzelnen Volksgruppe, der Paschtunen, bietet sich der umstrittene Ex-Monarch Afghanistans, Mohammad Sahir Schah, an. Trotz der großen Unterstützung, die Sahir Schah durch Washington genießt, kann der seit 1973 im italienischen Exil lebende Ex-Monarch nur dann eine Schlüsselrolle spielen, wenn er die Loyalität der paschtunischen Stammesführer gewinnt. Wenn nicht, wäre Sahir Schah nur eine machtlose Galionsfigur.

Als Legitimation zur Bildung einer Übergangsregierung auf breiter Basis bietet sich die in der Tradition des Landes verankerte Institution der Loja Dschirga an, also der Großen Ratsversammlung von einflussreichen Persönlichkeiten wie Stammesältesten und anderen angehörigen der politischen Elite des Landes. Afghanistan benötigt aber über nicht nur eine durch traditionelle Institutionen legitimierte Übergangsregierung, sondern eine Friedensstrategie für den ökonomischen und sozialen Aufbau des zerrissenen Landes.

Viele Schritte sind noch nötig

Es gibt vielfältige Hinweise darauf, das die des Krieges müde, sozial zerrüttete und wirtschaftlich ruinierte Bevölkerung des Landes mit ihrem toleranten Volksislam zu diesem Neuanfang bereit ist. Dazu benötigt sie aber die aktive Unterstützung der Weltgemeinschaft. Unter den vorherrschenden Bedingungen scheinen die Vereinten Nationen in enger Abstimmung mit der internationalen Koalition gegen den Terror zur Erfüllung dieser historischen Aufgabe prädestiniert zu sein. Die internationale Koalition gegen den Terror hat mit ihrem Beitrag zur Vertreibung der Taliban-Milizen aus Kabul einen Etappensieg errungen.