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Hinter Stoibers Ostdeutschen-Schelte steckt Kalkül

16. August 2005

Parteienforscher Klaus Detterbeck gibt im wöchentlichen Wahlkampf-Check Antworten auf Fragen zur Wahl 05. Diesmal: Welche Ziele verfolgt Stoiber und welche Rolle spielt die Außenpolitik in diesem Wahlkampf?

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DW-WORLD: Die Diskussion um die abfälligen Bemerkungen des bayerischen Ministerpräsidenten und CSU-Vorsitzenden Edmund Stoiber über die Ostdeutschen hält an. War es wirklich ein Ausrutscher oder steckt politisches Kalkül dahinter?

Klaus Detterbeck: Es gibt zwei mögliche Interpretationen der Äußerungen Stoibers. Die eine, sozusagen die "Frustrations-These", verweist auf das Trauma der knapp verloren gegangenen Wahl 2002. Damals war es maßgeblich die Schwäche der CDU im Osten, die Stoiber um die Kanzlerschaft gebracht hatte. Aus Frust und Panik über die schwächer werdenden Prognosen für die Union nun also die Retourkutsche des bayrischen Ministerpräsidenten? Oder gar ein absichtliches Foul an Frau Merkel? Das erscheint mir nicht realistisch. Dafür ist der Wahlkampf zu professionell organisiert, dafür sind die Reden im Wahlkampf zu geplant, dafür ist die Union insgesamt zu sehr auf den Regierungswechsel erpicht.

Spezialbild: Angela Merkel und Stoiber
Bild: Paolo Calleri

Ich halte es eher mit der zweiten Interpretation, der "Strategie-These". Die Äußerungen Stoibers, wie ja auch die seines Amtskollegen aus Stuttgart, Günther Oettinger, zielen auf die Stammwählerschaft der Union im Süden der Republik. Das politische Kalkül ist, dass die CDU/CSU die Wahl nur dann gewinnt, wenn es ihr gelingt, ihre Stammwähler ausreichend zu mobilisieren. Stoiber will die eigenen Anhänger "wachrütteln", wie er sagt, damit sie nicht im Gefühl des schon sicheren Sieges den Wahlkampf verschlafen und am 18. September nicht in ausreichender Zahl ihre Stimme für die Union abgeben.

Die Prozentpunkte, die der Union im Osten entgehen, auch durch die Linkspartei, sollen durch ein Spitzenergebnis in Bayern und Baden-Württemberg wettgemacht werden. Nicht unerheblich dabei ist sicherlich auch, dass ein solches Resultat das Gewicht der CSU wie der Südwest-CDU in einer zukünftigen Regierung Merkel stärken würde.

Aber geht diese Rechnung auf?

Hier habe ich starke Zweifel. Die Ostdeutschen werden diese Worte Stoibers nicht so schnell vergessen, ganz sicher nicht bis Mitte September – dafür werden auch SPD und Linkspartei sorgen. Das Werben um die Stammwähler im Süden wird viele Wechselwähler im Osten verprellen. Und noch ein Problem hat Stoiber hervorgerufen: Angela Merkel muss nun beweisen, dass sie in der Union das Sagen hat, gerade gegenüber den "Landesfürsten". Gelingt dies nicht bald, werden die Zweifel an ihrer Befähigung zur Kanzlerschaft steigen und die Chancen der Union weiter sinken.

Nach seinen umstrittenen Äußerungen will sich Stoiber in einem Schlagabtausch mit dem Linkspartei-Spitzenkandidaten Oskar Lafontaine messen. Wer wird davon profitieren?

Zunächst einmal halte ich es für einen gelungenen Schachzug Stoibers. Er kommt damit in die Offensive, stärkt sein bislang ja etwas fadenscheiniges Argument, dass er nur die Spitzen der Linkspartei angreifen wollte und verschiebt somit die öffentliche Debatte in Richtung inhaltlicher Fragen, also: Was hat die Linkspartei wirklich zu bieten? Hier ist es dem Fakten-Politiker Stoiber durchaus zuzutrauen, dass er seine sachliche Kompetenz gegenüber Lafontaine ausspielen kann. In gewisser Weise wird Stoiber damit zur Entzauberung der Linkspartei beitragen, die wir sicherlich über die nächsten Wochen und Monate erleben werden. Ich denke, - sollte es zu einem TV-Duell und nicht Print-Duell kommen -, dass Lafontaine zwar menschlich sympathischer, Stoiber jedoch als der ernsthaftere Politiker erscheinen wird: der Luftikus gegen den Aktenfresser. Und da wird sich mancher Wähler, ob in West oder in Ost, fragen, wem er eher die Bewältigung der wirtschaftlichen Probleme Deutschlands zutraut.

Spezialformat: Gysi und Lafontaine
Bild: Paolo Calleri

Gegenüber dem Duell Schröder-Merkel birgt diese Auseinandersetzung sicherlich mehr politische Spannung. Es wird das Thema Ost-West noch weiter zu einer zentralen Achse dieses Wahlkampfes machen; für die Union derzeit nicht ungefährlich. Andererseits wird es für die Union eine der wenigen Chancen sein, sich im Osten wieder in ein günstigeres Licht zu setzen. Edmund Stoiber ist mit seinen bisherigen Äußerungen ein hohes Risiko eingegangen; durch das Duell mit Lafontaine erhöht er noch einmal den Einsatz. Ohne Zweifel: Stoiber ist bislang der auffälligste Spieler dieses Wahlkampfes 2005.

Schröder hat am Wochenende bei einem Wahlkampfauftritt und in Interviews einer Militäraktion zur Verhinderung einer iranischen Atombombe eine klare Absage erteilt. Seine Äußerungen sind von Union und FDP kritisiert worden. Welche Rolle spielt die Außenpolitik in diesem Wahlkampf?

2002 hat die klare Haltung der Regierung zur Irak-Krise eine wichtige Rolle beim Wahlsieg von Rot-grün gespielt. Die Iran-Krise 2005 ist ähnlich gelagert, wieder setzt die US-Regierung auf militärischen Druck gegenüber europäischen Verhandlungsbemühungen. Die SPD wird versuchen, dieses Thema im Wahlkampf stark zu machen, denn hier verfügt sie bei der Bevölkerung über einen Vorteil gegenüber den bürgerlichen Parteien. Ob dies gelingt, hängt im Wesentlichen von zwei Faktoren ab: Zum einen von der außenpolitischen Entwicklung selbst; kommt es in den nächsten Wochen zu einer Eskalation, etwa einem Abbruch der diplomatischen Verhandlungen durch den Iran, wird das Thema, ähnlich wie 2002, in den Vordergrund drängen. Zum anderen aber vom Geschick der CDU/CSU. Eigentlich wollte die Union im Wahlkampf die wirtschaftspolitischen Fehler der Regierung aufzeigen und Alternativen anbieten. Bislang ist ihr dies kaum gelungen. Bleibt es bei der derzeitigen Konfusion im Adenauer-Haus wird es die SPD verstehen, auf dem außenpolitischen Feld zu punkten und den Rückstand zur Union weiter zu verkürzen.

Klaus Detterbeck Bundestagswahl 05 Experte Porträtfoto

Der Politologe und Parteienforscher Klaus Detterbeck (Jahrgang 1966) lehrt und arbeitet am Institut für Politikwissenschaft der Universität Magdeburg.