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Hilfe tut not, aber mit Augenmaß

Günter Knabe22. Januar 2002

Mit vollen Händen wollte Afghanistans Regierungschef Karsai nach Kabul zurückkehren. Die Geberkonferenz scheint den Wunsch erfüllt zu haben. Rund 4,5 Milliarden Dollar sind zugesagt. Ein Kommentar von Günter Knabe

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Schnelle Hilfe ist doppelte Hilfe. Das gilt gerade für Afghanistan in seiner Not. Die Menschen dort brauchen in diesem Winter sofortige materielle Hilfe zum schieren Überleben. Danach aber geht es um den Wiederaufbau all dessen, was in dem Land am Hindukusch in mehr als zwei Jahrzehnten sowjetischer Besetzung, Widerstandskampf dagegen und nachfolgendem Bürgerkrieg zerstört wurde. In vielen Bereichen müssen die Afghanen bei Null anfangen. Vor allem hinsichtlich einer funktionierenden Regierung und Verwaltung, ebenso beim Schul- und Gesundheitswesen. Gewaltige Aufgaben liegen vor den Afghanen und allen, die ihnen helfen wollen.

Die Teilnehmer der Geberkonferenz für Afghanistan in Tokio waren sich dessen bewusst. Vertreter aus 60 Nationen und von 22 Hilfsorganisationen einigten sich in Japans Hauptstadt auf große Geldsummen, um den Afghanen zu helfen. Eindrucksvoll ist der zugesagte Gesamtbetrag: Insgesamt 4,5 Milliarden US-Dollar sollen über einen längeren Zeitraum verteilt für den Wiederaufbau nach Afghanistan fließen - allein 1,8 Milliarden US-Dollar in diesem Jahr.

Der afghanische Interims-Ministerpräsident Hamid Karsai hatte allerdings mit der immensen Summe von 45 Milliarden US-Dollar weitaus mehr gefordert. Er argumentierte, soviel sei nötig für Afghanistans Wiederherstellung als normal funktionierender Staat. Die Vereinten Nationen schätzten den Bedarf auf ein Drittel der afghanischen Forderung, also 15 Milliarden US-Dollar. Keiner sagte jedoch, auf welcher Grundlage diese Forderungen erhoben wurden. Es gibt keine verläßlichen Daten aus und über Afghanistan. Noch nicht einmal über die Größe der Bevölkerung weiß man präzise Bescheid - und schon gar nicht über den messbaren Umfang der Schäden. Die Afghanen und ihre Helfer wären gut beraten, wenn sie nach der Nothilfe zum Überleben zunächst einmal zügig, aber möglichst präzise erfassen würden, was in dem Land - und nicht nur in der Hauptstadt- konkret wirklich wiederhergestellt, neu eingerichtet oder gebaut werden muss. Dies sollte zusammen mit der betroffenen Bevölkerung festgelegt werden. Nicht ein grandioser Masterplan auf Grund ungesicherter Schätzungen sind vonnöten, sondern solide, überschaubare Projekte.

Mit Sorge sehen die Geberländer, dass die Sicherheit im Lande noch längst nicht garantiert ist. Schusswechsel im Norden Afghanistans zwischen Kämpfern aus zwei Gruppierungen, die auch in der Übergangsregierung sitzen, sind alarmierende Zeichen. Die Weltöffentlichkeit darf Afghanistan auch deswegen nicht aus den Augen lassen.

Hilfsbereitschaft und Aufmerksamkeit halten meist nicht lange an.

Die afghanische Übergangsregierung muss wissen: Hilfe zu fordern ist das eine, sie dann auch effizient und ohne allzu großen Schwund glaubhaft umzusetzen, ist das andere. Die Geberländer dürfen deswegen nicht nur Dollars versprechen, sie müssen auch so strikt wie möglich ihre Verwendung kontrollieren. Zusammen mit den Afghanen muss dafür ein vernünftiger Rahmen erarbeitet werden.

Die große Hilfsbereitschaft der Politiker aller Geberländer ist gut. Sie muss aber über eine politische Demonstration für den Augenblick hinausreichen. Die Ungeduld der afghanischen Übergangsminister ist verständlich. Besorgnis aber erregt der Größenwahn, der aufflackert, wenn diese Regierung erklärt, sie wolle eine Armee von

bis zu 250.000 Mann aufstellen. So etwas muss gezügelt werden. Auch das ist eine Verantwortung aller, die Afghanistan helfen wollen.

Schnelle Hilfe ist doppelte Hilfe. Zu schnelle Hilfe in zu großem Umfang ohne strikte Kontrolle ist vergeudetes Geld. Wenn die Afghanen ihr Land Schritt für Schritt, aber nachhaltig aufbauen wollen, ist nüchterne Arbeit gefragt. Sonst verpuffen die Milliarden am Hindukusch und Korruption in größtem Umfang droht. Opfer wäre wieder das afghanische Volk.